Auf den Punkt 36:  Erziehungsratgeber ohne Ohrwürmer

Auf den Punkt 36: Erziehungsratgeber ohne Ohrwürmer   Staatsoper Hamburg / 4. Dezember 2024

Foto: Archiv 2014 Luisa Miller © Monika Rittershaus

Please take an educated guess. Auf der Bühne liegen zwei Liebende. Beide tot, erweiterter Suizid. Gift war auch im Spiel. Wie heißen die Hauptpersonen der Oper? Romeo und Julia, sagen Sie spontan? Bei meinen spärlichen Hinweisen eine gute Antwort, ist indes gleich doppelt falsch. 

Giuseppe Verdi / Luisa Miller

Chor der Hamburgischen Staatsoper
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Lorenzo Passerini / Musikalische Leitung
Andreas Homoki / Inszenierung

 Staatsoper Hamburg / 4. Dezember 2024

von Jörn Schmidt

Tot sind am Ende Luisa Miller und Rodolfo. Die beiden sind ein Liebespaar, aber mitnichten die Hauptpersonen. Hauptpersonen sind ihre Väter, Herr Miller und Graf von Walter. Die beide Erziehungsberechtigten, so unterschiedlich sie sind, haben eines gemeinsam. Auf sie trifft zu: Gut gemeint ist noch lange nicht  gut gemacht.

Miller hat seine Tochter Luisa, wie man heute sagen würde, ein Stück weit antiautoritär erzogen. Insbesondere soll sie heiraten dürfen, wen sie will beziehungsweise liebt. Das ist edel, eine richtig gute Sache. Gerade damals. Aber Miller hat die Rechnung ohne den seinerzeitigen Zeitgeist gemacht.

Ganz anders Graf von Walter. Er will seinem Sohn den eigenen Lifestyle auferlegen, über ihn bestimmen. Ihm gar eine Ehefrau zuweisen. Ausgerechnet seine Jugendfreundin, die   einflussreiche Federica von Ostheim.

Diese Konstellation ist schon im richtigen Leben problematisch, in der Oper endet das böse. Rodolfo vergiftet sich und Luisa. Im Angesicht des Todes erkennen die Beiden, wie perfide sie um ihre Liebe betrogen wurden.

Archiv 2014 Luisa Miller © Monika Rittershaus

Anders als in Friedrich Schillers Vorlage Kabale und Liebe trimmt Verdi das Geschehen nicht so sehr auf  Gesellschaftskritik, ihn interessieren die menschlichen Regungen des Quartetts.  Die sind wie immer komplex, aber die Kernbotschaft ist eindeutig: Vorsicht vor Helikopter-Vätern.

Überbehütung und exzessive Einmischung in die Angelegenheiten der Kinder gehen selten gut. Erst recht, wenn verbunden mit Lügen, Intrigen und Volten… Luisa und Rodolfo haben zusehends mit der Abhängigkeit von ihren Vätern zu kämpfen, ihr Durchhaltevermögen sinkt von Minute zu Minute.

Andreas Homoki zeichnet eindringlich aber subtil nach, wie die Sache eskaliert, bis die Kinder keinen Ausweg mehr wissen. Hätten Miller und Walter bloß einen vernünftigen Erziehungsratgeber gelesen…

Verdi versteht beim Thema Vater-Kind-Konflikt keinen Spaß, er lässt das Orchester glutvoll-konzentriert auf den emotionalen Abgrund zustürmen. Ganz ohne Ohrwürmer und das später berüchtigte Verdi-Rumtata. Großartig.

Lorenzo Passerini liegt die Partitur sichtlich,  er lässt das Staatsorchester mit kühler italienischer Eleganz spielen. Nicht selbstverliebt, sondern als Mittel zum Zweck. Die Partitur ist übervoll von Verdis menschliche  Wärme, die auf diesem Klangteppich besonders gut kommt.

Die Orchestermitglieder und zuvörderst die Stimmführer werden bei Passerini zu Protagonisten, die sich bombig mit dem ausnehmend homogenen Ensemble verstehen. Bass Adam Palka als Conte di Walter, Bariton George Gagnidze als Miller, Sopran Narea Son als Luisa und Tenor Giorgio Berrugi als Rodolfo – es wäre unfair, einen Sänger hervorzugeben. Alle stimmgewaltig und vor allem mit vertieftem Rollenverständnis.

Die Interaktion zwischen Bühne und Orchester machte Laune, rundum zufriedene  Gesichter  im Orchestergraben. Solo-Pauker Jesper Tjærby Korneliusen hatte offenkundig Spaß an der raffiniert-prägnanten Rhythmik, was ziemlich zum Fluss der Musik beitrug.

Kapellmeisterschule und Orchestererziehung heißt ein lesenswerter Artikel von Hans Swarowsky (ÖMZ 14, 1959, S. 257f.). Wenn man so will, hat Lorenzo Passerini gestern aus jedem das Beste herausgeholt.  So geht Erziehung heute.

Jörn Schmidt, 5. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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