Foto Archiv Falstaff © Monika Rittershaus
Schreib’ doch bitte mehr über die Sänger, hat mir Andreas Schmidt, der Herausgeber von klassik-begeistert, neulich mit einer schönen Portion Wohlwollen zugerufen. Sänger, Sänger, Sänger. Das interessiert die Leser. Nö, habe ich gedacht und erst mal Folge 50 über den in Wien geborenen Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek abgeliefert. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Denn gestern gab’s in Hamburg Giuseppe Verdis Alterswerk Falstaff mit einem in der Summe schlichtweg umwerfenden, ziemlich englischen Sänger-Ensemble. Mastermind war indes Finnegan Downie Dear.
Giuseppe Verdi / Falstaff
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Finnegan Downie Dear / Dirigent
Die Hamburgische Staatsoper, 10. April 2025
von Jörn Schmidt
Sir John Falstaff war mit dem Briten Christopher Purves besetzt. Der katalanische Regisseur Calixto Bieito hat die Titelrolle als primitiven alten Sack angelegt. Lässt ihn als Trottel dastehen, der andere Menschen ausnutzt.
Also nicht gerade ein Charakterkopf, Purves’ Spezialität. Wie geht Purves damit um? Er macht Falstaff zum Charakterkopf und verleiht dem armen Kerl Eleganz und Persönlichkeit. Schauspielerisch wie stimmlich. Sein Bariton mag nicht ohne Ende durchschlagskräftig sein, aber die Stimme ist markant und steckt voller Lebensfreude.

Wie Purves seine Rolle angelegt hat, das funktioniert besonders gut, weil er mit Simon Keenlyside einen herrlich nachtragenden Gegenspieler hat. Keenlyside ist ebenfalls Brite und Bariton. Und gab den Ford als souveränen Strippenzieher. Der weiß, dass sein Plan aufgehen wird.
Auch bei Keenlyside stand der Spaß im Vordergrund, die Rolle zu gestalten. Eine gescheite Krafteinteilung half, stimmlich bestens über die Runden zu kommen und alle Facetten seiner Rachsucht und Schadenfreude betörend in Klangfarben umzusetzen. Keenlyside wird zuvörderst mit Mozart assoziiert, kann aber auch Verdi.
Und dann die Frauen. Darstellerisch auch hier große Spielfreude.

Danielle de Niese verhilft als Alice Ford dem Racheplan ihres Gatten mit strahlendem Sopran zum Erfolg. Mrs. Quickly ist von Verdi als Mezzosopran angelegt, Anna Kissjudit kann Mezzosopran und Alt. Als burschikose Quickly profitierte Kissjudit von der Bandbreite und der Fülle ihrer Stimme. Souverän.
Die Engländerin Olivia Warburton glänzt als Nannetta mit der Arie als Elfenkönigin. Elfengleich ihr Sopran. Seungwoo Simon Yang (Fenton), Jürgen Sacher (Dr. Cajus), Daniel Kluge (Bardolfo), Tigran Martirossian (Pistola), und Kady Evanyshyn (Meg Page) lassen sich von der guten Laune anstecken und ergänzen das Ensemble perfekt.
Die musikalische Leitung lag bei Finnegan Downie Dear. Übrigens auch Engländer. 2020 hat er die Mahler Competition gewonnen, den Nachwuchsdirigenten-Wettbewerb der Bamberger Symphoniker.
Die Jury hat dem Briten seinerzeit bescheinigt, er habe magische Momente geschaffen. Und genau das ist gestern in Hamburg gelungen. Mit viel Gespür für die Qualitäten und eben auch Schwächen der Sänger hat Downie Dear ein famoses Ensemble geschmiedet.
Das auftrat, als habe es schon immer zusammen auf der Bühne gestanden. Dafür braucht es am Dirigentenpult jede Menge Empathie und einen messerscharfen Verstand. Außerdem eine Partiturkenntniss , die ich einem 35-jährigen Jungspund nicht zugetraut hätte.
Besonders hervorzuheben ist Downie Dears Fähigkeit, dem Orchester harsche Wechsel in Dynamik, Klangfarbe, und Rhythmik abzuverlangen. Gleich einem wendigen Schnellboot, als ob das Philharmonische Staatsorchester Hamburg ein Kammerorchester wäre. Wobei dies nie zu Lasten des musikalischen Flusses ging.
Wie gut muss der Mann erst in 50 Jahren sein?
Jörn Schmidt, 11. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Auf den Punkt 53: Paolo Arrivabenis Trovatore-Sinfonie Hamburgische Staatsoper, 5. April 2025
Auf den Punkt 52: Lebensatem Musik… klassik-begeistert.de, 4. April 2025
Auf den Punkt 51: Klaus Mäkelä macht in Risikomanagement Elbphilharmonie, 2. April 2025