Georges Delnon, scheidender Intendant der Staatsoper Hamburg © wikipedia.de
In seinem aktuellen Interview mit klassik-begeistert hat Tobias Kratzer, der designierte Intendant der Hamburgischen Staatsoper, uns in den Block diktiert: „Jeder Abend soll bei uns Premiere sein.“ Das wird großartig, ist mein Eindruck nach unserem Gespräch. Jetzt aber hat sich erst mal Georges Delnon verabschiedet und unbewusst gezeigt, wie sein Nachfolger das gemeint haben könnte.
Wolfgang Amadeus Mozart / Le nozze di Figaro
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Nicholas Carter/ Dirigent
Hamburgische Staatsoper, 3. Juli 2025
von Jörn Schmidt
Unlängst hat der ebenfalls scheidende Generalmusikdirektor Kent Nagano den Hamburger Orchestergraben mit einem orchestral fulminanten Tristan verlassen. Das war eine Ansage, lesen Sie dazu gerne Folge 63 meiner Kolumne.
Auf den Punkt 63: Kent Naganos Abschied Hamburgische Staatsoper, 10. Juni 2025
Auch Georges Delnon hat sich etwas dabei gedacht, als er Stefan Herheims legendäre Inszenierung von Mozarts Le nozze di Figaro als letzte Oper seiner Amtszeit auf den Spielplan gesetzt hat. Sein Statement: Wiederaufnahmen können musikalisch, inszenatorisch und darstellerisch spannend sein und begeistern wie Premieren.

Der Abend hat gezeigt, was die letzten 10 Jahre Delnons Rezept war.
Ein sicheres Gespür für zeitlose Inszenierungen
Herheims Inszenierung aus dem Jahr 2015 vereint in großer Harmonie Leichtigkeit mit Tiefgang, ganz wie Mozarts Musik. Der Klamauk dabei stets wohldosiert. Tagespolitik spielt keine Rolle, das wäre viel zu schnell Schnee von gestern.
In die gleiche Kategorie fällt L’elisir d’amore von Gaetano Donizetti. Inszenierung und Bühnenbild nach Jean-Pierre Ponnelle hatten am 18. Juni 1977 Premiere. Und doch: Immer noch frisch, man kann sich daran nicht satt sehen. Ästhetisch über jeden Zweifel erhaben.
Auf den Punkt 13: Georges Delnon beweist Stehvermögen klassik-begeistert.de, 3. Juni 2024
Oder Olivier Tambosis Inszenierung der Oper Jenůfa von Leoš Janáček (1998). Usf.
Ein exzellentes Händchen für junge Gastdirigenten
Eines der berührendsten Mozart-Dirigate hat nach meinem Dafürhalten Louis Lohraseb im Mai 2024 abgeliefert. Anlässlich von – genau, Herheims Figaro. Ich habe seinerzeit getitelt:
Sensationell neu? Dem romantischen Mozart-Puristen Louis Lohraseb gelingt ein beispiellos unideologischer, höchst menschlich klingender Figaro
Auch Nicholas Carter, dem Dirigenten des Abends, ging Mozart gut von der Hand. Wenn auch nicht so berührend wie Maestro Lohraseb… Weitere musikalische Glücksfälle: Finnegan Downie Dear (Falstaff), Lorenzo Passerini (Luisa Miller), Ben Glassberg (La clemenza di Tito) und Giedrė Šlekytė (Manon).
Harmonie im Sänger-Ensemble
Die Zeiten, wo Intendanten gesanglich aus dem Vollen schöpfen konnten, sind vorbei. Weltstars gibt es wenige, und die kennen dann den Weg nach Hamburg nicht. Wer dagegen jung mit großer Hoffnung startet, ist schnell verschlissen.
Die wohl beste Methode, das Publikum gleichwohl zu beglücken? Harmonie im Ensemble. Wenn der Eindruck entsteht, alle auf der Bühne verstünden sich bestens und seien gerade allerbester Laune. Dann überträgt sich das auf das Publikum und lässt Defizite verschmerzen. So wie heute.
Die Aufführung am 3. Juli 2025 war die letzte Vorstellung, die neue Intendanz nimmt Herheims Inszenierung Stand in der kommenden Saison nicht wieder auf. Auch das ein Statement, das neugierig macht auf Tobias Kratzer: Seine Wiederaufnahme-Premieren dürften einem anderen Konzept folgen.

Bereits vor der Oper hatte Senator Dr. Carsten Brosda rhetorisch gewohnt brillant die Ära Delnon gewürdigt und verraten, was nun folgt. Georges Delnon wird Geschichte studieren. Follow your dreams!
Jörn Schmidt, 4. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview: kb im Gespräch mit Tobias Kratzer, Teil I Hamburgische Staatsoper, 2. Juli 2025
Interview: kb im Gespräch mit Tobias Kratzer, Teil II Hamburgische Staatsoper, 4. Juli 2025
Auf den Punkt 64: Wie Billy Joel, nur cooler Hamburgische Staatsoper, 25. Juni 2025