Barbara Hannigan sollte lieber nur singen

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 7. Dezember 2017
LUDWIG Orchester
Barbara Hannigan Sopran, Dirigentin
Luigi Nono Djamila Boupachà (Canti di vita e d’amore Nr. 2) (1962)
Arnold Schönberg Verklärte Nacht op. 4 (Fassung für Streichorchester 1943) (1899/1943)
Alban Berg Lulu-Suite. Symphonische Stücke aus der Oper «Lulu» für Koloratursopran und Orchester (Libretto: Alban Berg) (1934)
George Gershwin Girl Crazy Suite (Bearbeitung: Bill Elliott und Barbara Hannigan, Orchestrierung: Bill Elliott) (1930)

Von Bianca Schumann

Frauenschicksale wollte Barbara Hannigan mit dem Programm, das sie zusammen mit dem Orchester LUDWIG vorstellte, in den Fokus stellen: Djamila Boupachà im gleichnamigen Lied Luigi Nonos, das fiktive weibliche lyrische Ich in Arnold Schönbergs „Verklärter Nacht“, Lulu in der gleichnamigen Suite von Alban Berg und schließlich das verrückte Mädchen in George Gershwins „Girl Crazy Suite“.

Eine weibliche Persönlichkeit wurde dabei mit ganz besonderer Aufmerksamkeit bedacht: Barbara Hannigan selbst.

Wer am Donnerstagabend den Großen Saal des Wiener Konzerthauses aufgesucht hatte, um über Theatralik und Selbstinszenierung zu lernen, war genau an der richtigen Adresse. Wer sich von der stimmlichen Qualität der Spezialistin für Musik des 19. bis 21. Jahrhunderts überzeugen wollte, war ebenso mit der richtigen Erwartungshaltung gekommen. Wer jedoch erschienen war, weil er ein Liebhaber symphonischer Musik ist, wurde enttäuscht. Doch eins nach dem anderen.

Die Orchestermusiker betreten die Bühne. Alle Augen sind auf den Bühneneingang gerichtet. Nun wird Hannigan auftreten. Doch, Pustekuchen. Das Licht geht aus, es ist zappenduster. Durch die Dunkelheit bahnt sich die Kanadierin den Weg zum Dirigentenpult. Die anfänglich gesummten Töne der Komposition Nonos erklingen in Finsternis. Mit dem ersten erschütternden Aufschrei der Sopranistin erstrahlt dann nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihre Gestalt, mitten im nur auf sie gerichteten Scheinwerferlicht. Spot on!

Keine Frage, Hannigan kann singen. Die frei tonale Liedkomposition ist für Sopran Solo geschrieben und besteht fast ausschließlich aus aneinandergereihten, riesigen Intervallsprüngen. Ständig wechselt die Dynamik vom leisesten Piano ins berstende Forte. Immer wieder jagt Hannigan ihre Stimme in die höchsten Frequenzbereiche. Ein riesiges Spektakel.

Mit dem letzten Ton, der von genauso zarter Natur ist, wie der allererste es war, dreht sich die 45 Jahre alte Sängerin langsam zu ihrem bislang nur als Kulisse dienenden Streichorchester um und entlockt dem Ensemble die ersten Töne der symphonischen Dichtung Schönbergs.

Sofortige Enttäuschung. Die Musik schleppt sich durch den Beginn. Wieso denn dermaßen langsam? Dann die ersten solistischen Einwürfe. Leider nicht ganz sauber. Besonders die Bratschen werden im weiteren Verlauf noch den ein oder anderen Fehlgriff hinlegen.

Es soll nicht abgesprochen werden, dass es dem Orchester LUDWIG gelang, ein paar wunderschöne klangliche Momente in diesem Werk zu kreieren, doch der große Bogen, der innerliche Zug, von dem diese Musik lebt, der ihr den Atem einhaucht, ging der Aufführung völlig ab. Es hatte den Anschein, als zerbröselte das Werk in viele kleine Unterkapitel.

Gewiss hat Hannigan Schönbergs Werk geistig durchdrungen, schätzt es, glüht womöglich für selbiges, doch es fehlt ihr eindeutig das Handwerk als Dirigentin, ein so komplexes Werk, wie „Verklärte Nacht“ zusammenzuhalten. Nur von Gefühl wird niemand satt. Dass Schönbergs Frühwerk bei solch einer Ausführung dennoch seine Wirkung nicht gänzlich verfehlte, spricht definitiv für die Größe der Komposition.

Hannigans Dirigat ist äußerst unorthodox. Ihre Ellenbogen fliegen zumeist weit von ihrem Körper entfernt in der Gegend herum, unablässig wirft sie imaginative Dinge ins Orchester. Obwohl das Konzertprogramm große stilistische Vielfalt aufweist, bleibt Hannigans Dirigat einförmig, böse Zungen könnten gar meinen, nichtssagend. Würde man den Klang abdrehen und nur auf die Schlagtechnik achten, wäre es unmöglich zu erraten, ob gerade Schönberg oder Gershwin an der Reihe ist. Bemerkenswert.

Aber gut, die Sängerin, die dirigiert, hat nie Dirigat studiert. Dafür schlägt sie sich dann auch wiederum gar nicht so schlecht. Alles eine Frage der Perspektive.

Die „Lulu-Suite“ für Koloratursopran und Orchester, die Berg als Promotion für seine Oper Lulu zusammenstellte, kommt dem Ensemble weit mehr entgegen als das empfindliche Werk Schönbergs. Bei Berg ist auf der Bühne viel los. Neben den gewöhnlichen Orchesterinstrumenten sind ebenso Klavier, Harfe, eine ganze Reihe an Schlagwerkinstrumenten und Saxophon aufzufinden. Der dichte Satz verschleiert die ein oder andere intonatorische Unsicherheit. Generell macht es den Eindruck, als sei das Orchester mit diesem Werk bestens vertraut. Vielleicht ist es ein festes Repertoirestück und Schönberg wurde neu mit ins Programm aufgenommen? Wer weiß.

Fakt ist, dass Berg bei Weitem erträglicher war als Schönberg und dass Hannigan das berühmte Lied der Lulu spitzenklassig sang.

Das absolute Showhighlight kam dann am Schluss. Die schmissigen Stücke der „Girl Crazy Suite“ singt Hannigan mit Mikrophon. Dass sie aber ja nicht nur singender Star der Show ist, sondern ja eigentlich nebenbei auch noch dirigieren sollte, stellt sie hinten an. Man kann eben doch nicht alles alleine machen?

Hannigan fuchtelt, während sie sich von einem Stück zum nächsten singt und bald auch tanzt, in der Luft herum, scheint entweder sich selbst oder das Publikum zu „dirigieren“ und benutzt die vermeintlichen Einsätze, um eine selbstkreierte Choreographie vorzuführen. Und was macht das Orchester derweil? Nun ja, es spielt. Die Blicke der Musiker sind an ihre Notenpulte geklebt, Hannigans Schlag beachtet da niemand mehr.

Den Abend Revue passierend hatte es generell den Anschein, als hätten die Stimmführer die Sache auch ganz gut alleine im Griff gehabt und dass Hannigan hätte machen können, was sie will – was sie aber wahrscheinlich eh getan hat.

Nun gut. Die Show war groß, einigen Konzertbesuchern hat es gefallen: Sie grölten am Ende des Konzerts durch den ganzen Saal und hätten am liebsten die Bühne gestürmt. Vielen anderen Konzertbesuchern hat das Ganze maximal wenig gefallen, wenn man nach dem bescheidenen Applaus urteilt.

Hannigan kümmerte sich nicht um den nur geringen Zuspruch, sie nahm den Applaus mit weit von sich gestreckten Armen entgegen, feierte ihr Orchester und sich, als hätten sie gemeinsam ein Jahrhundertkonzert abgeliefert und kam trotz bereits abebbenden Applauses wiederholt auf die Bühne.

Ein schaler Nachgeschmack begleitet den ein oder anderen Besucher auf dem Heimweg, und immer wieder erscheint da die Frage: „Warum singt sie nicht einfach nur?“

Bianca Schumann, 8. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.at

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