Foto: Dittus (c)
Auch die Musikliebhaberin und Hamburgerin Angela Merkel war begeistert
Elbphilharmonie Hamburg, 24. März 2018
Bayerisches Staatsorchester
Kirill Petrenko Dirigent
Julia Fischer Violine
Daniel Müller-Schott Violoncello
Johannes Brahms, Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102
Georg Friedrich Händel
Passacaglia (Suite Nr. 7 g-Moll HWV 432 für Cembalo) (Bearbeitung für Violine und Violoncello: Johan Halvorsen) [als Zugabe der Solisten]
Peter I. Tschaikowsky, »Manfred«-Sinfonie in vier Bildern h-Moll op. 58
von Sebastian Koik
In wunderbaren Konzerten kann es gelegentlich zu körperlichen Reaktionen kommen: Gänsehaut, Rührung, Glückstränen, unkontrolliertes Grinsen, Luft anhalten, surreale Wachheit, Energieschübe, Schwitzen, meditative Ruhe, himmlischer Frieden oder gar dem Gefühl, von Elektrizität durchflossen zu werden.
Und dann ereignen sich hin und wieder Konzerte, in denen man schon in den ersten Sekunden Gänsehaut und Co. bekommt. Geigerin, Cellist, Orchester: Vom ersten Ton an brillante Perfektion, gepaart mit Leidenschaft, Feuer.
Es gibt ein paar ganz hervorragende Dirigenten auf der Welt. Und wenn man sich einen musikalischen Spielleiter schnitzen müsste, käme vermutlich Kirill Petrenko dabei heraus. Der Mann brennt für die Musik! Petrenko hat sichtlich riesigen Spaß bei der Arbeit. Wenn man ihn beim Dirigieren sieht, dann hält man es für unmöglich, dass dieser Mann in diesem Moment an irgendeinem anderen bekannten oder unbekannten Ort im Universum lieber wäre.
… und in der Folge denkt man als Zuschauer oder Zuhörer dasselbe. Und jedem einzelnen Musiker im Orchester dürfte es genauso gehen: Was kann einem beruflich Schöneres passieren, als mit Kirill Petrenko zu arbeiten?! Wie kann man bei einem Dirigenten wie diesem besonderen Menschen nicht 100 Prozent geben und mit Leidenschaft, Feuer, Liebe und Freude musizieren?!
Was sind das aber auch für perfekte Zutaten an diesem Abend! Auf der Bühne versammeln sich: Einer der besten Dirigenten der Welt, eines der besten Orchester, eine der besten Geigerinnen, einer der besten Cellisten der Welt. Mehr geht wirklich nicht.
Und doch ist so ein Konzert immer ein einmaliges Ereignis. Es sind Menschen auf der Bühne! Auch die Besten der Besten können auch mal einen schlechten Tag haben.
Doch an diesem Abend in der Elbphilharmonie passt alles.
Julia Fischer an der Violine und Daniel Müller-Schott am Violoncello rühren mit ihren Interpretationen. Ihr musikalisches Timing ist perfekt! Brahms hätte große Freude daran! Fischer und Müller-Schott sind virtuose Meister, die ihre Instrumente komplett beherrschen, ja regelrecht transzendieren. Die beiden spielen technisch und künstlerisch Schwierigstes mit einer wundervollen Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, die nur den Allerbesten eigen ist.
Frau Fischer dreht sich während des Konzertes immer wieder nach links und rechts und hinten und schaut bewundernd und voller Freude lächelnd in die Ränge der einzigartigen Elbphilharmonie. Sie fühlt sich sichtlich wohl und genießt den Abend.
Auch das Orchester zaubert selbst den verwöhntesten und anspruchsvollsten Zuhörern mit Perfektion in allen Orchesterteilen ein Lächeln ins Gesicht.
Brahms‘ Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102 kann man nicht besser hören als an diesem großen Abend in der Elbphilharmonie. Selten hat Brahms so viel Spaß gemacht. Die Solisten und das Orchester musizieren herrlich zupackend und mit großer musikalischer Spannung. Die Zuhörer sind elektrisiert.
Nach einem fulminanten ersten Satz beginnen edle Hörner den langsamen zweiten, der gänzlich anders im Charakter ist und nicht minder wundervoll. Feinste Flöten, schönstes Blech und himmlisch sanfte Streicher machen das Andante zum Fest.
Wunderbar die Dynamik des Orchesters, besonders im dritten Satz. Herrlich das fein-ziselierte Spiel von Julia Fischer, das Bilder von tanzenden Sonnenstrahlen heraufbeschwört.
Von Fischer und Müller-Schott kann man nicht genug kriegen, und sie schenken dem Publikum noch eine herrliche Zugabe: Georg Friedrich Händels Passacaglia (Suite Nr. 7 g-Moll HWV 432 für Cembalo) in der Bearbeitung für Violine und Violoncello von Johan Halvorsen.
Julia Fischer musiziert herrlich luftig und erfrischend und dabei mit grenzenloser Sensibilität. Was sie an komplexesten und tiefgründigsten Zwischentönen aus der Partitur gräbt und kratzt ist schlichtweg sensationell! Man kann nicht besser Geige spielen als Frau Fischer!
Und bei all dem Zauber steht die Violinistin so natürlich, fest und selbstverständlich auf der Bühne wie eine deutsche Eiche, in deren Blätterkleid das Sonnenlicht funkelt und deren feinen Zweige sanft im Wind wogen. Perfekte Schönheit und Harmonie.
Frau Fischer löst Gänsehaut, Überwältigung und das Gefühl totaler Präsenz und Gegenwärtigkeit beim Zuhörer aus. Das Publikum jubelt!!!
Im zweiten Teil dann Peter Tschaikowskys »Manfred«-Sinfonie in vier Bildern h-Moll op. 58 mit ganz großer Orchesterbesetzung. Von Beginn an sind vollkommene Spannung, Dramatik und große Emotionalität in der Musik. Das Orchester packt, braust gewaltig und mit schönster Dynamik auf. Die Perkussionisten sind hoch präzise, die Musik ist körperlich fühlbar, die Pauken massieren die Bauchdecken der Zuschauer auf das Wundervollste. Das ist stark!
Und von einem Moment auf den nächsten verführen die Musiker mit feinster Zärtlichkeit.
Kraft, Monumentalität, Harmonie. Die Zuhörer sind mitgerissen, halten die Luft an. Nach dem letzten Ton des ersten Satzes hört man ein kollektives Ausatmen aus dem großen Rund der Elbphilharmonie, wie es der Saal bisher trotz zahlreicher Highlights vielleicht bisher noch nicht erlebt hat.
Den zweiten Satz beginnen flirrende und tanzende Holzbläser herrlich spritzig. Die Musik beschwört beim Zuhörer wunderbarste Bilder voller Leben und Liebe auf. Imaginär öffnet sich das Dach der Elbphilharmonie, der Himmel über dem Publikum ist königsblau, die Sonne scheint. Alles ist schön und gut und voller Frieden, bis die Dramatik wieder einbricht in die heile Welt. Es grollen die Pauken! Nach dem Ende des zweiten Satzes mit sphärisch hohen Geigen geht ein Raunen durch das Publikum. Das Konzert lässt an diesem Abend keinen kalt und erweckt durch das gemeinsame Erleben ein besonderes Kollektivgefühl.
Vielleicht kann unsere Kanzlerin sogar ein paar Inspirationen aus diesem Erlebnis hinüber in die Alltagswelt tragen! Die große Musikliebhaberin und gebürtige Hamburgerin Angela Merkel sitzt zusammen mit ihrer Mutter und Freunden herrlich unaufgeregt und entspannt mitten unter anderen musikbegeisterten Bürgerinnen und Bürgern. Unabhängig von Politik und Meinungen: Musikalisch beweist die erste Frau des Landes großen Geschmack.
Der dritte Satz beginnt friedlich. Es regieren zunächst Harmonie, Wärme und Unschuld, immer wieder unterbrochen von Dramatik, Unruhe, Bedrohung, exzellent verkörpert von Pauken und Trompeten, Schärfe im Streicherklang und Glockenschlägen.
Petrenko dirigiert jetzt mit weit ausladenden Armen und scheint die ganze Welt zu umarmen. Sanft und mit einem fröhlichen Tänzeln voller Licht lässt der Magier den dritten Satz verklingen.
Stark ist auch die Komposition des letzten Satzes von Tschaikowsky!!! Es gibt viel Musik, in der aus der Gegenwart die Zukunft schon abzulesen und zu erwarten ist. Oft kann sich der Zuhörer denken, was als Nächstes kommt. Manchmal weiß er es sogar intuitiv ganz genau.
Im letzten Satz der „Manfred“-Sinfonie hingegen ist während des Zuhörens alles möglich! Man hat als Zuhörer keine Idee, was als Nächstes kommt. Das Kommende lässt sich nicht erahnen. Es ist die totale Überraschung – und dieses Gefühl tut sehr gut.
Das Publikum hält die Luft an. Wie durch ein Wunder traut sich keiner zu Husten. Das Spektakel ist gewaltig. Himmlische Harfen setzen ein, starke Generalpausen, Orgelmusik.
Nach dem Verklingen des letzten Tons auf der Bühne bricht Jubel aus! Bravo-Rufe! Pure Begeisterung! Das Publikum ist glückstrunken, berauscht, beseelt.
Es ist ein weiterer unvergesslicher, magischer, vollkommener Abend in der Elbphilharmonie!
Sebastian Koik, 28. März 2018, für
klassik-begeistert.de