So schön kann Sterben sein...

Berliner Philharmoniker, Dirigent Daniele Gatti  Philharmonie Berlin, 2. Februar 2024 

Daniele Gatti © Jess Frohman

Schon beim Lesen des Programms wird die bedrückende Atmosphäre einer dunklen Nacht, des Vergehens und des Sterbens spürbar. Daniele Gatti verdeutlicht mit den Berliner Philharmonikern die thematischen und musikalischen Verbindungen zwischen den drei Werken des heutigen Programms auf fühlbare Weise. Er transportiert deren gemeinsame Stimmung. Am Ende des Abends bleibt nicht die befürchtete bleierne Schwere, stattdessen erwacht ein erhebendes Gefühl in der Seele: Verklärung.


Arnold Schönberg

Verklärte Nacht, op. 4 (Fassung für Streichorchester von 1943)

Richard Strauss
Tod und Verklärung, op. 24

Richard Wagner
Tristan und Isolde: Vorspiel und Isoldes Liebestod

Berliner Philharmoniker
Dirigent: Daniele Gatti

Philharmonie Berlin, 2. Februar 2024 

von Petra und Dr. Guido Grass

In diesem Jahr jährt sich Arnold Schönbergs Geburtstag zum 150ten Male. Die Berliner Philharmoniker widmen ihm daher einen der Schwerpunkte ihrer Saison, begleitet von einer kleinen, aber erkenntnisreichen Ausstellung im Foyer der Philharmonie.

In Schönbergs „Verklärte Nacht“ werden die Philharmoniker zum Streichsextett

„Verklärte Nacht, op. 4“ gehört zu seinen meistgespielten Stücken. Auch wenn es seiner tonalen Phase zugehört, ist es weder inhaltlich, noch musikalisch leichte Kost. Daniele Gatti verzichtet, wie auch im weiteren Verlauf des Abends, dennoch auf eine Partitur. Mit zarten Gesten dirigiert er den Beginn. Spontan erinnert der Klang mit seinen alterierenden Harmonien an den Anfang des zweiten Aufzugs aus Tristan und Isolde. Leise spielende Bratschen und Celli lassen die Spannung, die in der Luft der friedvollen Nacht liegt, vor dem geistigen Auge erscheinen.

Schönberg vertonte in dieser Komposition ein Gedicht Richard Dehmels. Am dramatischen Höhepunkt gesteht eine Frau ihrem Geliebten voller Angst, dass sie ein Kind ihres früheren Mannes erwarte. Hier treibt Gatti das Orchester mit nunmehr großen Gesten poco a poco zu kräftigen Eruptionen. Rauer als sonst lässt er die Celli und die Kontrabässe spielen. Ein Beben und Wogen geht durch die tiefen Streicher, über das sich nach und nach der irisierende Ton der hohen Streicher legt.

Gerade in den komplexeren Abschnitten gibt Gatti den einzelnen Instrumentengruppen klare Zeichen. So geführt kann auch ein großes Streichorchester beinahe so transparent wie ein Sextett klingen.

Flageolettöne deuten die Schönheit des Mondlichts. Noch einige Sekunden nach den letzten Tönen hält Gatti die friedvolle Stimmung der Musik fest.

Die ersten Pulte lässt der Dirigent zum Applaus gesondert aufstehen. Das haben sie vollends verdient.

Orchester © Stefan Hoderath
Die Berliner Philharmoniker spielen so schön, dass dem Zuhörer Atem und Herz stehen bleiben

In seiner Tondichtung „Tod und Verklärung, op. 24“ zeigt Richard Strauss schon als junger Mann seine ausgewiesenen Instrumentationsfertigkeiten, die jedoch auch vom Orchester höchstes Können verlangen.

Leiser, als es eigentlich möglich scheint, setzen die zweiten Violinen und Bratschen das Totenlager in Szene. Der ermattende Puls des sterbenden Künstlers wird in den sanften und gleichmäßigen Schlägen der Pauke hörbar. Himmelwärts zeigen die Harfen. Großartig wie das Unheil aus den pianissimo spielenden Posaunen dräut.

Deutlich ist zu sehen, wie Gatti jeden einzelnen Musiker im dramatischen Ringen mit dem Tode fordert. Noch mehr!, verlangt er von den Trompeten. Und wie diese liefern! Das ist einer der vielen Gänsehautmomente des heutigen Abends.

Mit nicht nachlassender Kraft stemmen sich die hohen Streicher den Gewalten der Bläser entgegen. Eigentlich müssten die Seiten unter den repetitiven Strichen der Bögen zu rauchen beginnen. Noch einmal bäumen sich Posaunen, Trompete und Hörner auf, bevor auch sie ihren Frieden finden. In sauberster Intonation und feinstem Pianissimo halten die Bläser die letzten sich über mehrere Takte erstreckenden, gehaltenen Noten. Da bleibt einem der Atem und das Herz stehen – Tod in Verklärung.

Die Streicher verklingen mit einem letzten Atemhauch

Mit dem Vorspiel und „Isoldes Liebestod“ aus Wagners „Tristan und Isolde“ geht es nun gleichsam zurück zu den Ursprüngen, der Kreis schließt sich. Leise tasten sich die Celli und das Englischhorn vor. Das Leben hält inne, wenn Gatti die Generalpause vor dem Einsatz der ersten Violinen einen Hauch länger gestaltet. Den Beginn lässt er insgesamt breit spielen. Das gibt ihm nicht nur dynamisch, sondern auch rhythmisch Raum zur Steigerung. Es ist verblüffend wie es ihm gelingt, einzelne Takte detailreich auszugestalten, aber hierbei zugleich die großen Phrasen zusammenzuhalten.

Auch bei „Isoldes Liebestod“ lässt er sich zunächst Zeit. Ganz allmählich steigert er den Druck der Musik, die kein Entrinnen zulässt. Ein letztes Atmen, so klingt der finale gehaltene Ton in den Streichern. So wie heute schaffen das nur wenige Dirigenten und Orchester. Dankbare Sekunden der gespannten Stille gehen dem großen Schlussapplaus voran.

Foto Guido Grass

Wir müssen hinaus in die dunkle Berliner Nacht. Sie kann uns nicht mehr schrecken. Unsere Seelen sind erhaben.

Petra und Dr. Guido Grass, 4. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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