François-Xavier Roth © Marco Borggreve
Bernd Alois Zimmermann: Die Soldaten
Gürzenich-Orchester Köln
Dirigent: François-Xavier Roth
Herrenchor und Extrachor der Oper Köln
Inszenierung: Calixto Bieito
Elbphilharmonie, 21. Januar 2024
von Iris Röckrath
Das waren die ersten Worte, die nach dem Verhallen des allerletzten Fortissimo-Decrescendo in meinen Kopf hämmerten. Die Wucht des Krieges, das Abstumpfen und die Gewalt der Soldaten, das Leid der Frauen – an diesem Abend wurde all das erschreckend deutlich nicht nur durch die drastische Musik, sondern auch durch die phantastische intensive halbszenische Umsetzung des Stoffes durch den spanischen Star-Regisseur Calixto Bieito.
Ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll über die Aufführung einer monumentalen Oper zu schreiben, die als unaufführbar galt und bei der die Besetzungsliste schon länger ist, als der Text, den ich eigentlich verfassen möchte.
Ein erster Blick in den Großen Saal ließ erahnen, dass hier etwas ganz Besonderes stattfinden würde. Die Oper Die Soldaten braucht einen riesigen Orchesteraufbau mit mehreren Tasteninstrumenten und Schlagwerk, nicht nur auf der Bühne, sondern auch versetzt auf den oberen Rängen. Großartig ist der Saal der Elbphilharmonie dafür geeignet, da das Orchester sichtbar ist und nicht wie in einem Opernhaus abgetrennt vom Bühnengeschehen im Graben verschwindet. Dadurch gewinnt die Opernaufführung an Intensität und Miteinander.
Der Dirigent des Abends, François-Xavier Roth, sagte einmal, wenn man das Stück gehört hätte, würde es einen verändern. Und tatsächlich berührt und erschreckt die Musik intensivst. Sie schreitet ununterbrochen voran, versetzte Ebenen und Rhythmen weben ein vielschichtiges Geflecht (mit einem Choralanklang von Bach, mit lyrischen kammermusikalischen Ansätzen) und ich frage mich als Zuhörerin, wie es dem Maestro gelingen kann, diesen monströsen Klang-Apparat zusammenzuhalten. Und es gelang ihm dank eines ihm auf den Schlag folgenden Gürzenich-Orchesters meisterlich! Die Musiker und Musikerinnen gaben ihr Bestes, um die schwierige Partitur den Zuhörenden zugänglich zu machen.
Zimmermann hat die Oper ursprünglich ohne Taktstriche komponiert, zur Uraufführung 1965 in Köln mit dem Gürzenich Orchester unter Michael Gielen wurden sie allerdings nachträglich eingefügt, da der damalige Chef Wolfgang Sawallisch befürchtete, dass die zur Verfügung stehende Probenzeit auf keinen Fall ausreichen würde. Gielen musste damals noch aus einer handschriftlichen Partitur dirigieren, was für ihn – wie er in einem Interview anmerkt – damals eine besondere Herausforderung war.
Da hat es der Dirigent des heutigen Abends, François-Xavier Roth, besser getroffen. Die Partitur liegt inzwischen in gedruckter Form vor. Machen Sie sich den Spaß, schauen Sie mal im Internet eine Partitur Seite an. Selbst wenn man ein wenig mit der Notenschrift vertraut ist, hier steigt wohl kaum jemand durch.
Der Abend in der Elbphilharmonie wurde nicht nur getragen von dem wunderbaren Gürzenich-Orchester, sondern insbesondere auch von den fantastischen Gesangs-Solistinnen, die schier unsingbare Intervalle zu interpretieren haben. Die Dynamik wirkt äußerst kompliziert und vielfältig. Die Noten für die Sänger und Sängerinnen sind in extrem hohen Lagen geschrieben, was allerdings auch für einen besonderen Ausdruck sorgt. Es erfordert ein erhebliches Maß an Training und Disziplin, diese Partien einzustudieren. Als Zuhörerin frage ich mich, wie viele Probenstunden, Tage oder Wochen es gebraucht hat, um die Singstimmen einzustudieren, und letztlich alle Mitwirkenden zu vereinen für diese Jahrhundertoper.
Es wäre vermessen, einzelne Sängerinnen oder Sänger hervorzuheben, da ausnahmslos alle Mitwirkenden zu dem Gesamteindruck beigetragen haben. Die jeweiligen Charaktere waren stimmlich und darstellerisch perfekt besetzt in ihren Personenrollen. Alle sangen mit Kraft und Intensität und waren von meinem Sitzplatz im Bereich 15 über das volle Orchester hinweg gut zu hören, ohne zu schreien, was eine große Herausforderung ist, wenn alle extrem schwere Partien gleichzeitig singen.
Und trotzdem möchte ich die am Ende meistbejubelte Solistin, die Sopranistin Emily Hindrichs erwähnen, die der tragischen Rolle der Marie stimmlich und darstellerisch die Dramatik gab, die die Rolle verlangt. Dabei sang sie teilweise lyrisch weich mit vollem Ton, auf der anderen Seite schleuderte sie Intervalle in die höchsten Höhen hinein, die ihre Zerrissenheit betonten. Die Sängerin sagt in einem Podcast, die Marie wäre für sie die schwerste Partie, die sie bisher gesungen hat: eine Mischung aus Lulu, Marie aus Wozzeck plus Königin der Nacht plus Constanze und einem Marathonlauf.
Am Ende gefällt mir die halbszenische Version sehr, da der Fokus mehr auf der Musik und dem Hörerlebnis liegt. Ich denke, eine Inszenierung mit Videoeinspielung eines Atompilzes, so wie Zimmermann es sich vorgestellt hatte, hätte meine Grenzen der Aufnahmemöglichkeiten gesprengt.
Eine Anmerkung an die Technik der Elbphilharmonie: Schade, dass der Text nur links oberhalb des Bühnengeschehens eingeblendet wurde, so war er für uns durch den „Stempel“ verdeckt und nur zu einem ganz kleinen Teil lesbar.
Iris Röckrath, 24. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wenn ich die Zeit hätte, würde ich direkt nach Paris reisen, um am Sonntag, 28. Januar 2024 in der Philharmonie das Stück noch einmal zu hören.
Das Konzert ist ab dem 25. Januar als Stream in der Elbphilharmonie Mediathek verfügbar
Und noch ein Hinweis für Interessierte. Es gibt einen Podcast vom Gürzenich Orchester Köln mit dem Titel Soldaten über die Probenarbeit mit den Künstlern vom 22. Januar 2022.
Gürzenich Orchester Köln, Leitung: Elim Chan Kölner Philharmonie, 20. Juni 2023
Gürzenich-Orchester Köln, Elim Chan, Dirigentin, Offenbach, Strawinsky und Rachmaninow 21. Juni 2023