Riccardo Muti mit dem Chicago Symphony Orchestra © Todd Rosenberg
Sag zum Abschied leise servus…
…aber Gott sei Dank nicht für immer. Es ist eine Abschiedstournee mit dem Chicago Symphony Orchestra und ihrem langjährigen Chef Riccardo Muti; dennoch der Maestro aus Neapel bleibt dem Orchester als „Music Director Emeritus for Life“ erhalten und dem Orchester und dem Publikum.
Musikverein, Wien, 22. Januar 2024
Philipp Glass: The Triumph of the Octagon
Igor Strawinsky: Suite aus dem Ballett „Der Feuervogel“ (Fassung 1919)
Richard Strauss: Aus Italien – Symphonische Fantasie für großes Orchester G-Dur, op. 16
Zugabe: Intermezzo aus „Manon Lescaut“ von Giacomo Puccini
Musikverein, Wien, 23. Januar 2024
Florence B. Price: Symphonie Nr. 3
Sergej Prokofjew: Symphonie Nr. 5 B-Dur, op. 100
Zugabe: Sinfonia von “Giovanna d’Arco“ von Giuseppe Verdi
Chicago Symphony Orchestra, Riccardo Muti
von Herbert Hiess
Riccardo Muti hat schon am ersten Abend schmerzlich bewusst gemacht, dass in Bezug auf ernst zu nehmende Dirigenten geradezu wüstenhafte Zustände herrschen. Charismatische Orchesterleiter, die aus den Orchestern alle möglichen Nuancen und Akzente herausholen, sucht man tatsächlich verzweifelt.
Und glücklicherweise haben die Wiener Philharmoniker Riccardo Muti als Dirigent des Neujahrkonzertes 2025 engagiert, worüber man mehr als froh sein kann. Die imbezilen Woke-Diskussionen bezüglich Alter, Geschlecht kann man getrost vergessen. Gut, dass das Wiener Orchester auf solche entbehrlichen Diskussionen kaum reagiert. Es ist nur wichtig, ob der Dirigent Qualität und Charisma hat. Muti hat bei den jetzigen Konzerten bewiesen, dass er die meisten jüngeren Kolleginnen und Kollegen locker „in die Tasche steckt“.
Und so nebenbei; nach dem Neujahrskonzert 2024 mit Christian Thielemann, der dieses Mal oft an seine Grenzen geriet, kann man sich für das Konzert 2025 mit Muti viel erwarten.
Zurück in den Musikverein im Jänner 2024. Am ersten Abend servierte man zu Beginn das zehnminütige „The Triumph of the Octagon“, in typischer Minimal Music des Philipp Glass. Inspiriert wurde der Komponist durch die Burg Castel del Monte in Apulien, der mit diesem Werk, das er Muti und dem Orchester gewidmet hat, seine architektonischen Eindrücke in Musik formte.
Und – typisch für ihn – besteht das beeindruckende Werk hauptsächlich aus Akkordzerlegungen in vier Teilen, die sich langsam tonartenmäßig bis zu einem abrupten Ende entwickeln.
Nicht nur bei Glass; auch bei Strawinsky bewies das Orchester, das es zu Recht eines der besten der Welt ist. Bei der Suite aus „Der Feuervogel“ hörte man die mehr als beeindruckenden Holzbläser, das grandiose Blech; hier allen voran das 1. Horn im Finale der Ballettsuite. Muti trieb hier das wunderbare Orchester zu einem regelrechten Klangrausch.
Exzellent gespielt das kompositorisch eher schwache „Aus Italien“, das Muti schon seit seiner Jugend verfolgt. Schon in den 70ern konnte man es mit den Wiener Philharmonikern unter seiner Leitung hören. Klar, dass der 4. Satz (Neapolitanisches Volksleben) mit dem Lied „Funiculì, Funiculà“ ein Applaustreiber ist; doch die anderen drei Sätze davor sind oft nicht mehr als nett. Strauss war damals erst 23 Jahre; vielleicht sollte das Werk eine Verbindung zwischen Bayern und Italien sein. Der späte Richard Strauss hätte vielleicht ein tatsächliches Meisterwerk daraus gemacht.
Als Zugabe verwöhnte man das Publikum regelrecht mit dem Intermezzo aus Giacomo Puccinis Oper „Manon Lescaut“; hier brillierten vor allem die Solobratsche und das Solocello. Muti weiß halt, wie man italienische Musik dem Publikum näher bringt.
Das Konzert am nächsten Tag war in vieler Hinsicht eine Offenbarung.
Erstens brachte es komponistentechnisch die „natürlichen Feinde“ USA und Sowjetunion auf ein Podium; die US-Komponistin Florence Price ist noch dazu farbig UND eine Frau. Also spätestens da muss das Herz der „Wokeianer“ turmhoch schlagen. Und – so quasi nebenbei – war dieses Konzert eine absolute Sternstunde; Riccardo Muti und das Superorchester aus Chicago lieferten ein Feuerwerk an Klängen.
Florence Prices dritte Symphonie wurde 1938 komponiert und stellt sich als hochinteressantes und -beeindruckendes Werk da. Zu Beginn so richtig „europäisch“ instrumentiert, hört man bald Themen und Sequenzen, die man sehr mit den US-Komponisten Ferde Grofé (z.B. Grand Canyon Suite) und natürlich George Gershwin assoziieren kann.
Unglaublich, mit welcher Selbstverständlichkeit die phantastischen Musiker unter ihrem Chefdirigenten diese komplexe Partitur in berauschende Klänge umsetzten. Natürlich könnte man jetzt Takt für Takt Anmerkungen machen. Am beeindruckendsten war das phänomenale Holz, das exzellente Blech (mehr als berührend die typisch amerikanischen Posaunen- und Trompetenpassagen) und unglaublich das Schlagwerk.
Großartig, was sich Frau Price da einfallen ließ. So brillierte das Schlagwerk im dritten Satz (Luba) beispielsweise mit einem Duo der Tempelblöcke und dem Xylophon. Die großartige Musikerin schlug auf dem Instrument richtige Zauberkunststücke.
Und nach der Pause kam Sergej Prokofjew sozusagen zu Wort. Die fünfte Symphonie in B-Dur ist ein Meisterwerk der russischen Tonkunst; erinnert sehr oft an das Ballett „Romeo et Juliette“ des Komponisten. Schon in frühen Jahren war Muti offenbar von Prokofjews Musik fasziniert; da erinnert man sich an ein phänomenales Konzert zu Beginn seiner Chefjahre in Philadelphia, wo er mehr als eindrucksvoll im Wiener Konzerthaus die Ballettsuiten zelebrierte.
Also es kam, wie es kommen musste. Nach den letzten Takten dieser fünften Symphonie brandete erwartungsgemäß gewaltiger Jubel aus.
Natürlich kam es zur obligaten Zugabe und zwar zur Sinfonia von Verdis Oper „Giovanna d’Arco“. Hier war Muti voll in seinem Element – und das Spitzenorchester zog brillant mit. Absolut unschlagbar die Holzbläser. Der Maestro zeigte, was in dem Werk steckt; schon die Streichertremoli zu Beginn hoben einen fast aus den Sitzen.
Dankbar muss man den Wiener Philharmonikern sein, dass sie Riccardo Muti als Dirigent des Neujahrskonzertes 2025 eingeladen haben, und dem Intendanten des Wiener Musikvereins Stephan Pauly, dass er diese Konzerte in diesem Haus ermöglicht hatte.
Ja, wenn Werke russischer und US-Komponisten an einem Abend im gleichen Saal aufgeführt werden können – warum können sich die Protagonisten dieser Länder nicht in einem Saal zusammensetzen und vernünftige und gewaltfreie Politik machen?
Herbert Hiess, 24. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Chicago Symphony Orchestra Riccardo Muti, Dirigent Kölner Philharmonie, 20. Januar 2024
Chicago Symphony Orchestra Riccardo Muti, Dirigent Frankfurt, Alte Oper, 19. Januar 2024
Farewell Chicago Symphony Orchestra, Riccardo Muti, Dirigent Frankfurt, Alte Oper, 18. Januar 2024
FAREWELL TOURNEE Riccardo Muti, Chicago Symphonie Orchestra Philharmonie Essen, 14. Januar 2024