Der „Pilgerchor“ aus dem „Tannhäuser“ erklingt bei dem Absenken des Sarges mit Cosima Wagners Leichnam. Bevor man sie in Coburg kremiert, hält der Leichenwagen noch am Festspielhaus in Bayreuth an, damit sie sich noch von diesem Ort „verabschiedet“. Die Szenen sind wie aus einem Film, nicht wahr? Sabine Zurmühls neue Biografie der „ungekrönten Festspielkönigin“, herausgegeben von Böhlau Verlag, ist ein fertiges Drehbuch.
Buchbesprechung: Sabine Zurmühl „Cosima Wagner. Ein widersprüchliches Leben“
Böhlau Verlag Wien Köln 2022
ISBN 978-3-205-21501-1
von Jolanta Łada-Zielke
Nach der Lektüre des Buches „Herrin des Hügels“ von Oliver Hilmes habe ich keine Zuneigung für Cosima Wagner empfunden, vielleicht nur ein bisschen Mitgefühl wegen ihrer schweren Kindheit. Bei allem Respekt vor ihrer Leistung, als Mensch wirkte sie auf mich kalt und unnahbar. Zurmühl hat meine Sympathie und mein Verständnis für die Heldin ihres Buches geweckt. Als ich den Umschlag zum ersten Mal gesehen habe, war meine Reaktion: Oh nein, jemand hat schon wieder über diese Frau geschrieben! Jetzt bin ich der Autorin dankbar, dass sie ein anderes, zugänglicheres Antlitz Cosimas präsentiert.
Die Journalistin, Film- und Buchautorin Sabine Zurmühl ist Absolventin der drei Fakultäten der Freien Universität Berlin: Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaft. Sie engagierte sich in der Frauenbewegung und griff Frauenthemen nicht nur im historischen, sondern auch im zeitgenössischen Bereich auf. Sie verschont Cosima Wagner nicht und verurteilt sie ebenfalls nicht. Sie schreibt offen über ihren Antisemitismus, Chauvinismus und ihre Verlogenheit, obwohl ich zu diesem letzten Punkt Zweifel habe. Cosimas angebliche Heuchelei war eine Art Abwehrmechanismus, den sie nutzte, um in der damals von Männern dominierten künstlerischen Welt zu überleben. Sie hatte keine Ambitionen, eine erfolgreiche Frau zu werden, wollte nur das Werk ihres geliebten Ehemannes fortsetzen, bis ihr Sohn Siegfried die Leitung der Festspiele übernehmen konnte. Sie ist trotzdem zu einer Legende geworden.
Der Aufbau dieser Biografie ist sehr ideenvoll: sie besteht aus 33 Skizzen, die verschiedene Aspekte des Lebens von Cosima Wagner von ihrer Geburt bis zum Tod widerspiegeln. Am Anfang stoßen wir auf eine kleine aber inhaltsreiche „Ouvertüre“- eine fast halbseitige Liste von Kosenamen, mit denen Richard Wagner seine zweite Frau nannte. Die eindrucksvollsten sind für mich „Fons amoris“, „meine Lotos-Blume“, „ewiges Preislied meines Lebens“, „Kapellmeisterin meines Lebens“ und „mein Allah und Alles“.
Cosimas erster Ehemann, Hans von Bülow, sah in ihr vor allem die Tochter von Franz Liszt und versuchte nicht, um sie zu kämpfen, als ihre Affäre mit Wagner ans Licht kam. Für Cosima, die als uneheliches Kind geboren wurde, war die Ehe mit von Bülow ein gesellschaftlicher Aufstieg. Die streng katholische Erziehung, der sie unterworfen war, ließ sie große Schuldgefühle empfinden, weil sie es gewagt hatte, für ihr eigenes Glück zu stehen. Erst in der Beziehung mit Richard Wagner fand sie ihre Erfüllung als Frau.
Richard verglich sie beide in seinen Gedichten mit Hans Sachs und Evchen. Der Komponist konnte an sein Glück zunächst nicht glauben und behauptete, er liebe Cosima mehr als sie ihn. Er hatte Angst, sie zu verlieren, was sich in seinen Alpträumen widerspiegelte. Cosima war ihm treu und ergeben, aber von allen weiblichen Figuren in Wagners Opern ähnelt sie eher Kundry als Fricka. Sabine Zurmühl erzählt von Cosimas Faszination von Kundry, deren Kostüm sie gerne anzog.
Beim Lesen des Buches haben meine Gedanken immer wieder um das gekreist, was Richard Wagner über die Liebe schrieb: „Die Liebe der Schwachen unter sich kann sich nur als Kitzel der Wollust äußern; die Liebe des Schwachen zum Starken ist Demut und Furcht, die Liebe des Starken zum Schwachen ist Mitleid und Nachsicht; nur die Liebe des Starken zum Starken ist Liebe, denn sie ist freie Hingebung an den, der uns nicht zu zwingen vermag“.
Ob Richard und Cosima ebenso starke und einander würdige Persönlichkeiten waren, darüber lässt sich freilich streiten. Sabine Zurmühl zeigt jedoch, dass der Komponist sein ganzes Leben auf eine solche Frau gewartet hatte, die sein Schaffen förderte und seine existenziellen Sorgen nach ihren Möglichkeiten ausräumte. Sie brachte nicht nur ihre musikalische Ausbildung und ihren künstlerischen Sinn ein, sondern auch Organisationstalent und Geldmanagement. Abgesehen von der Liebe verband sie beide eine gemeinsame Sache; schließlich bringt nichts Menschen näher zusammen als die Arbeit an demselben Projekt.
Im Buch erscheinen ebenfalls Menschen aus dem engsten Kreis von Cosima und Richard Wagner, ihre Familie, Freunde und Mitarbeiter. Die Autorin beschreibt spannend das schwierige Verhältnis zwischen Cosima und dem Dirigenten Hermann Levi aufgrund seiner jüdischen Herkunft. Was Maria Kalergis-Mouchanoff betrifft, steht dort zu wenig über die Rolle, die sie bei der Versöhnung Franz Liszt mit seiner Tochter spielte. Ausführlicher erzählt darüber Luc-Henri Roger in seinem Roman „Fée blanche“.
Zum Schluss findet man Originale, französische und englische Zitate aus Cosimas an Franz Liszt geschriebenen Briefen. Sie hatte ihn in ihrer Kindheit nur selten gesehen und drückte ihre große Sehnsucht nach ihm darin aus. Ihr Vater interessierte sich vor allem für ihre Fortschritte im Klavierspiel.
Der weitere Teil der zitierten Aussage von Richard Wagner über die Liebe lautet wie folgt: „In jedem Himmelstriche, bei jedem Stamme, werden die Menschen durch die wirkliche Freiheit zu gleicher Stärke, durch die Stärke zu wahrer Liebe, durch die wahre Liebe zu Schönheit gelangen können: die Tätigkeit der Schönheit aber ist die Kunst“[1]. Diese Worte des damals 36-jährigen Komponisten fanden ihre Erfüllung in seiner Beziehung zu Cosima.
Ich empfehle das Buch von Sabine Zurmühl nicht nur Leserinnen, sondern auch Lesern, obwohl es sich für das „schöne Geschlecht“ wunderbar eignet. Jedenfalls zeigt es, dass eine Frau auch in der Männerwelt viel erreichen konnte. Selbst wenn sie ein Leben voller Widersprüche führt, bleibt sie kreativ.
Jolanta Łada-Zielke, 17. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die nächste Präsentation des Buches findet am Donnerstag, 29. September 2022, um 18:00 Uhr im Café Museum-Bibliothek in Wien, Operngasse 7, 1. Bezirk, in einer Kooperation des Böhlau Verlages und des Richard-Wagner-Verbandes Wien statt.
[1] Richard Wagner, Die Kunst und die Revolution (1849, in „Dichtungen und Schriften“, Jubiläumsausgabe in 10 Bänden herausgegeben von Dieter Borchmeyer, Band 5., „Frühe Prosa- und Revolutionsschrifte“ Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1983, S. 300
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Zur interessanten Besprechung des Buches COSIMA WAGNER von Sabine Zurmühl : Die eingangs erwähnte Biografie von Oliver Hilmes hat den Titel HERRIN DES HÜGELS . Mit Himmel hatte das Ehepaar Wagner eher weniger zu tun…
mfg
UMK
Ja, das stimmt – es soll „Herrin des Hügels“ sein. Danke für die Bemerkung!
Und noch eine Ergänzung zu dem Buch von Luc-Henri Roger, dessen vollständiger Titel lautet: „Maria Kalergis-Mouchanoff, née Comtesse Nesselrode. Itinéraires et correspondence de la Fée blanche“. Der Autor sagt, dass es kein Roman, sondern eine Publikation ist.
Jolanta Lada-Zielke