Auf höchsten Tönen durch die Musikgeschichte katapultiert

Bundeswettbewerb Gesang Berlin 2022, Oper, Operette und Konzert  Deutsche Oper Berlin, 12. Dezember 2022

Finalkonzert, Bundeswettbewerb Gesang Berlin © Matthias Heyde

Was bleibt, nach diesem musikhistorischen Karussell?

Jedenfalls die Erkenntnis, dass ein solches Konzert im größten Opernhaus Berlins ohne das große romantische italienische Repertoire auskommt, aber nicht ohne Wagner. „Dich, teure Halle“ grüßte zum Abschluss die diesjährige Trägerin des gemeinsamen Preises der Deutschen Oper Berlin, Komischen Oper Berlin und Staatsoper Berlin, Ann-Kathrin Niemczyk, mit ihrem – wenn es das denn gäbe – gänsehautverursachenden Heldensopran.

Wir grüßen froh zurück. Für die Zukunft von Oper, Operette und Konzert ist uns nicht bang. Auf Wiedersehen in zwei Jahren oder – für alle, die auch Musical und Chanson lieben – schon 2023. Bis dahin von mir fröhliche Weihnachten und einen guten „Rutsch“. Und: Küssen Sie sich heiß!

 

Bundeswettbewerb Gesang Berlin 2022
Oper, Operette und Konzert

Konzert der PreisträgerInnen:

Ann-Kathrin Niemczyk
Nils Wanderer
Valentin Ruckebier
Josefine Mindus
Sofia Sajenko
Anne Flender
Ansgar Theis
Friederike Meinke
Magnus Dietrich
Lara Rieken
Bella Adamova
Jonathan Mayenschein
Katharina Bierweiler
Aaron Selig

Klavierbegleitung: Clara Hyerim Byun, Malte Schäfer, Akemi Murakami

Orchester der Deutschen Oper Berlin

Patrick Lange, Dirigent

Frederik Hanssen, Moderation


Deutsche Oper Berlin, 12. Dezember 2022


von Sandra Grohmann

Ob ich allen, die nicht dabei waren, ein schlechtes Gewissen machen will? Weil sie den Nachwuchs nicht unterstützen? Klar. Will ich. Vor allem aber möchte ich Lust machen auf das übernächste Jahr. Wenn das Abschlusskonzert des Bundeswettbewerbs Gesang auch 2024 wieder um die 15 blutjunge bis – let’s name it – junggebliebene Künstlerinnen und Künstler so hohen Könnens in Sachen klassischer Gesang präsentiert wie dieses Jahr, sollte sich das niemand, der Menschen gern beim Singen zuhört, entgehen lassen.

Trotz der – sagen wir mal: sehr gediegenen Moderation von Frederik Hanssen und trotz des ausgesprochen potpourrihaften Programms (von Mozart bis Schreker in 30 Sekunden: Sonderapplaus für ein Publikum, das sich klaglos durch die Musikgeschichte schleudern lässt) – auch trotz des nur halb gefüllten Saales und trotz der wenig festlichen Stimmung muss allen, die hören können, nach einem solchen Abend das Herz hüpfen.

Es ist ja an sich schon ein Vergnügen, jungen Sängerinnen und Sängern zu lauschen. Und bei einem solchen Preisträgerkonzert der 18- bis 30-jährigen muss kein Künstler seinem Alter die Spitzentöne abtrotzen. Das ist schon mal ganz wunderbar. Wenn dann noch ausgeprägte Musikalität hinzukommt, bringt das sogar den Dirigenten des Abends, Patrick Lange, der zugleich einer der diesjährigen Juroren war, ins Schwärmen. Verständlich.

Allen voran bis in höchste Regionen sang sich die Schwedin Josefine Mindus ausgerechnet mit einer Konzertarie von Mozart in die Herzen des Publikums. Anrührend und packend, wie sie „Vorrei spiegarvi, oh Dio“ (KV 418) gestaltete. Keinen Moment lang entließ sie die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer – es war mucksstill, als hätten alle aufgehört zu atmen. Wenn diese Sängerin den Abend allein bestritten hätte, wäre uns zwar viel Anderes entgangen, aber gelangweilt hätten wir uns keinen Moment: Das war höchstes Niveau. Es ist sicher kein Zufall, dass Josefine Mindus auch Geige spielt und ein Kompositionsstudium begonnen hat. Mit ihr stand quasi die Musik selbst auf der Bühne.

Das galt ebenso für Valentin Ruckebier, dessen Oper „The Flight to Egypt“ bereits dreimal Premiere feiern durfte. Dass er Musik verkörpert, ist unüberseh- und -hörbar, wobei die ausgewogene, fein geführte Stimme sich mit Schrekers „Die glühende Krone“ aus Der ferne Klang nicht immer gegen das Orchester durchsetzen konnte.

Besondere Freude bereitete auch Bella Adamova, die sich mit Mahlers „Urlicht“ aus Des Knaben Wunderhorn eine der musikalisch anspruchsvollsten Aufgaben des Abends gesetzt hatte. Mahlers Angabe „Sehr feierlich, aber schlicht“ wurde hier im Sinne eines ausgeprägten Lento verstanden, das Adamova in großen Bögen und bei zartestem Pianissimo beeindruckend zu halten verstand.

Einige der Preisträger stehen bereits häufiger auf der Bühne, und das lässt sich sehen. Nils Wanderer, mit zwei Preisen versehen und daher sowohl mit barockem als auch modernem Repertoire vertreten – nämlich Purcells „Music for a While“ aus Oedipus (Z 583) und Brittens „I Know a Bank“ aus A Midsummer Night’s Dream – Nils Wanderer also brachte mit seinen Figuren trotz des insbesondere für die Figur des Oberon ungewohnten Countertenors durch sein Singen und Spielen jeweils gleich die ganze Stimmung der Stücke mit auf die Bühne.

Magnus Dietrich, der bereits als Tamino an der Staatsoper Berlin und der Semperoper Dresden zu erleben war, blieb hingegen eher beim Charme eines Schwiegersohns. Sein an sich schöner Tenor glänzte wenig, und ich frage mich, warum eigentlich ich noch nie, wirklich nie einen erotischen Tamino erlebt habe. Meine Güte, der Mann stromert durch den Urwald, verirrt sich in verzauberten Gegenden und verliebt sich Hals über Kopf in ein Bild – und der soll langweilig sein? Warum blitzen da nicht Schalk und Wollust durch „Das Bildnis ist bezaubernd schön“? Auch „Ach so fromm“ aus Flotows Martha nahm dieser mit sogar zwei Preisen dekorierte Tenor für meinen Geschmack allzu wörtlich.

Übrigens, für alle, die nicht damit aufgewachsen sind: Diese Oper wird heute kaum noch gespielt, die genannte Arie bot aber mal Stoff zu einem ausgewachsenen Gassenhauer mit ihrer schönen Zeile „Martha, Martha, du entschwandest und mit dir mein ganzes Glück“, was der Volksmund weiland zu „und mit dir mein ganzes Geld“ umdichtete. Man muss das ganze Operngedöns nicht so ernst nehmen, will ich sagen. Aber schön bleibt es auch dann noch und wird so viel unterhaltsamer!

Das bewies übrigens auch Friederike Meinke mit der einzigen Operetten-Nummer des Abends. Vor Kosky war es ja (vom Weißen Rössl in der Bar jeder Vernunft-Version abgesehen) hierzulande leider gang und gäbe, selbst Operetten so kleinbürgerlich-bierernst auf die Bretter zu bringen, dass einem wirklich jeder Spaß daran vergehen konnte. Derartiges passierte Friederike Meinke – wie der Jubel des Publikums bewies – jedoch nicht, als sie der Giuditta von Lehár ihre prachtvolle, das letzte Staubkorn auf dem zweiten Rang erzittern lassende Stimme mit „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ ihre Stimme lieh. Man wünscht sich diese Sängerdarstellerin in einer Kosky-Inszenierung an der Komischen Oper zu sehen und, o Glück, am richtigen Haus ist sie schon und spielt dort zwar nicht in einer Operette, aber in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. Also – Hoffnung für Berlin.

Gleich zur Met und keineswegs in die deutsche Hauptstadt hingegen strebt Katharina Bierweiler, die jüngste aller Preisträgerinnen und Preisträger des Abends. Das verrät sie Frederik Hanssen im Umbau-Interview auf die leidlich originelle Frage, wo sie denn eines Tages am liebsten singen würde – und was (die Violetta, falls die Stimme sich dorthin entwickelt). Dieses geradezu naive Gespräch wurde ihrer Leistung überhaupt nicht gerecht. Denn zu Gehör war zuvor eine junge Musikerin mit einem ganz außergewöhnlichen Instrument gekommen, einer Stradivari unter den Stimmen mit einem ganz eigenwilligen, sehr hörenswerten Ton, wirklich an eine Meistervioline erinnernd. Wenn Frau Bierweiler die tatsächlich ausbaut, werden wir eines Tages Grund haben, ihr an die Met hinterherzureisen. Ebenso wie Frederik Hanssen hoffe ich, dass sie bis dahin den Umweg über Berlin nimmt.

Das gilt auch für den Bariton Ansgar Theis, dem man anmerkte, dass er Lied bei Gerhaher studiert. Seine düstere und eindringliche Interpretation des „Tambourg’sell“ von Mahler – ebenfalls aus Des Knaben Wunderhorn – ging unter die Haut. Auch das Orchester der Deutschen Oper Berlin begleitete ihn ganz besonders konzentriert, so schien es, und schuf mit ihm gemeinsam die hoffnungslose, grausige und in die Zeit passende Galgenszene.

Hervorzuheben schließlich Sofia Savenko, die Rachmaninows „Zdes’ khorosho“ (aus Lieder op. 21. Nr. 7) zum Leben erweckte mit ihrem strahlenden Sopran. Gefolgt von dem dunkleren Timbre von Lara Rieken, die uns Roger Quilters „To Daisies“ aus To Julia op. 8 schenkte, ergab dies einen der durchaus fordernden, aber auch reizvollen Kontraste des Abends.

Bemerkenswerte Stimmbeherrschung insbesondere in der dynamischen Gestaltung ließ Jonathan Mayenscheins Countertenor mit „Armatae Face“ aus Vivaldis Juditha Triumphans hören; mit schöner klarer Stimme sang Anne Flenders „Ich folge dir gleichfalls“ aus Bachs Johannespassion.

Vielversprechend schließlich – last, but keinesfalls least – der klangfarblich umwerfende Bass des noch sehr jungen Aaron Selig, der in Loewes „Meeresleuchten“ allerdings noch deutlich mehr Dynamik hätte bringen dürfen, dies aber mit einer – insbesondere für sein Alter – atemberaubenden Bühnenpräsenz ausglich. Auch hier mag der Beginn einer leuchtenden Karriere zu beobachten sein, wer weiß: Dann könnte man sich schon heute in ihm einen würdigen Sarastro ebenso wie einen schillernd-widerlichen Ochs auf Lerchenau vorstellen. Das Format jedenfalls brächte er wohl mit.

 Was bleibt noch, am Ende dieses Abschlusskonzerts des größten nationalen Gesangwettbewerbs mit seinen abwechselnd in den Kategorien Oper/Operette/Konzert sowie Musical/Chanson ausgeschriebenen Preisen von insgesamt 50.000 Euro? Was bleibt noch, am Ende eines Wettbewerbs mit 77 Finalisten und 17 Preisträgern (davon eine, Julia Duscher, zum Abschlusskonzert leider erkrankt)? Was bleibt, nach diesem musikhistorischen Karussell?

Jedenfalls die Erkenntnis, dass ein solches Konzert im größten Opernhaus Berlins ohne das große romantische italienische Repertoire auskommt, aber nicht ohne Wagner. „Dich, teure Halle“ grüßte zum Abschluss die diesjährige Trägerin des gemeinsamen Preises der Deutschen Oper Berlin, Komischen Oper Berlin und Staatsoper Berlin, Ann-Kathrin Niemczyk, mit ihrem – wenn es das denn gäbe – gänsehautverursachenden Heldensopran.

Wir grüßen froh zurück. Für die Zukunft von Oper, Operette und Konzert ist uns nicht bang. Auf Wiedersehen in zwei Jahren oder – für alle, die auch Musical und Chanson lieben – schon 2023. Bis dahin von mir fröhliche Weihnachten und einen guten „Rutsch“. Und: Küssen Sie sich heiß!

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