Annette Dasch (Gräfin Dubarry), Harald Schmidt (König Ludwig XV.) © Barbara Pálffy/Volksoper Wien
Als erste Premiere der Saison 2022/23 spielt die Wiener Volksoper die Operette “Die Dubarry” von Carl Millöcker in der textlichen Neufassung von Theo Mackeben. Diese Fassung wurde 1931 zum ersten Mal im Admiralpalast in Berlin aufgeführt, nachdem die Operette ursprünglich 1879 im Theater an der Wien unter der Bezeichnung “Gräfin Dubarry” auf ein Libretto von Friedrich Zell und Richard Genée uraufgeführt worden war.
Volksoper, Wien, 7. September 2022 PREMIERE
Carl Millöcker, “Die Dubarry”
Operette von Carl Millöcker und Theo Mackeben
Kai Tietje, Dirigent
Jan Philipp Gloger, Regie
Mit Annette Dasch, Lucian Krasznec, Juliette Khalil, Wolfgang Gratschmaier, Harald Schmidt, Marco Di Sapia, u.a.
von Jean-Nico Schambourg
Die Geschichte erzählt den Aufstieg des einfachen Mädchens Jeanne Beçu zur einflussreichen Maîtresse von Louis XV. Auf diesem Weg muss sie verschiedene Schicksalsschläge einstecken, muss sich gegen sex- und machtgeile Männer und deren Intrigen und körperliche Übergriffe wehren. Sie zeigt sich als selbstbewusste Frau, die gewillt ist, ihr Leben autonom zu bestimmen und nicht sexuelles Lustobjekt oder gesellschafts-politischer Spielball der Männer zu sein. Annette Dasch weiß die verschiedenen Lebens- und Gemütsphasen der Protagonistin wunderbar darzustellen.
Jeanne Beçu bleibt bei ihrem sozialen Aufstieg trotzdem ihrem Leitsatz treu, nur aus Liebe ihrem Herzensmann zu gehören. War das am Anfang der Operette der Maler René Lavallery, so entscheidet sie sich am Ende der Operette aus Liebe und nicht aus reiner Machtgier für den König Louis XV.
Diese Produktion zeigt, dass Operette nicht kitschig und altmodisch sentimental sein muss. Im Gegenteil, die Inszenierung von Jan Philipp Glogner bringt gesellschaftliche und sozialpolitische aktuelle Themen ein, wie die Befreiung der Frau aus ihrer Unterdrückung durch die Männer, die glauben, mit Geld alles kaufen zu können. So erhält das Lied “Cherchez la femme”, gesungen von vier angesäuselten Männern, deren Hände sich andauernd im eigenen Schritt wiederfinden, einen faden Beigeschmack und kann in #MeToo-Zeiten nicht mehr lachend als reiner Unterhaltungsschlager aufgenommen werden.
Das Bühnenbild von Christof Hetzer besteht aus einem sich drehenden Würfel, der es ermöglicht, schnelle Szenenwechsel herbeizuführen.
Im ersten Teil vor der Pause verlegt das Regieteam die Geschichte in die dreißiger Jahre. Die Dachkammer des Malers René erinnert an jene aus Puccinis “La Bohème”, der Spielsaal wo Jeanne nach ihrer Trennung von René ihr Überleben verdient an “Cabaret”.
Dann Schnitt: nach der Pause befinden wir uns zu Zeiten des Sonnenkönigs, wenn auch in den ersten Szenen die Kostüme von Sibylle Wallum mehr an den österreichischen Hof als an denjenigen von Versailles denken lassen.
Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Eröffnungsszene dieses zweiten Teils, in der Oliver Liebl als wienerischer Hauslehrer vergeblich versucht der “Berliner” Dubarry-Dasch, die für Österreich lebenswichtigen Begriffe wie Handkuss, faschistische, nein! faschierte Laibchen, Schlagobers usw. beizubringen. Nur die Aufzählung der Titel von Kaiser Franz Josef klappt einwandfrei und beschert der Darstellerin der Dubarry Szenenapplaus und unsere Hochachtung für soviel historische Kenntnisse.
Nach einem unglücklich verlaufenen Wiedersehen mit dem Maler René, findet sich die Gräfin Dubarry schließlich in Versailles wieder. Der Auftritt von König Louis XV wird szenisch durch seitlich einfallendes Sonnenlicht angekündigt. Dann Vorhang auf und es erscheint der königliche Talkmaster, oder besser gesagt, der König der Talkmaster, Harald Schmidt, in der Rolle des Sonnenkönigs.
Er zeichnet eine Parodie seiner selbst und seiner Late-Night-Shows, wie nur dieser Meister der spitzen Zunge sie auf die Bühne zaubern kann. Und Annette Dasch als sein “Stargast” geht voll mit. Da plaudert man nebenbei über den neuen Film mit Johnny Depp als König Louis XV, seinen rezenten Prozess mit Amber Heard, bis schlussendlich Annette Dasch die Gitarre zur Hand nimmt und sich selbst begleitet zu dem absoluten Hit dieser Operette “Ich schenk mein Herz nur einem Mann”. Besser hätte man dieses “historische erste Treffen” zwischen dem Sonnenkönig und seiner Maîtresse in der heutigen Zeit nicht auf die Bühne bringen können.
Alle Rollen waren gesanglich gut bis exzellent besetzt. Neben der tollen Annette Dasch in der Titelrolle muss man besonders Juliette Khalil hervorheben als quirlige Margot, Freundin von Jeanne, sowie ihr Marquis de Brissac interpretiert von Wolfgang Gratschmaier. Stimmlich ein bisschen steifer wirkte auf mich an diesem Abend der Tenor Lucian Krasznec in der Rolle des Malers René Lavallery. Harald Schmidt bewältigte auch gesanglich seine kleinen musikalischen Einwürfe bravourös. Kai Tietje, der auch für die musikalische Neufassung verantwortlich zeichnet, sorgte als musikalischer Leiter für spritzige Unterstützung aus dem Orchestergraben.
Es war in jeder Hinsicht ein gelungener Abend. Das Publikum dankte allen Ausführenden mit herzlichem Applaus.
Mit ihrem Schlusseinfall erinnert das Regieteam an das tragische Ende der reellen Gräfin Du Barry, die 1793 im Zuge der französischen Revolution durch die Guillotine hingerichtet wurde.
“Ja, so war sie, die Dubarry!”
Jean-Nico Schambourg, 9. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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