Armut tötet

©Foto:  Thomas Egli; Christian Gerhaher
Bayerische Staatsoper
, Nationaltheater München, 25. November 2019
Alban Berg, Wozzeck
Libretto Alban Berg nach Georg Büchner

Star-Bariton Christian Gerhaher als Wozzeck in der Münchner Wiederaufnahme

von Barbara Hauter

Stark und ungebrochen ist dieser Wozzeck, nicht der leicht debile arme Teufel, den Büchner in seinem Werk „Woyzeck“ gezeichnet hat und der wohl auch Alban Berg vorschwebte. Der Münchner Star-Bariton Christian Gerhaher drückt der Figur seinen Stempel auf: verhalten aggressiv, anklagend, doch nicht gebeugt singt und spielt er die Hauptrolle in Alban Bergs musikalischer Deutung der getretenen Kreatur Wozzeck.

Gerhaher begeistert nicht nur mit seiner unglaublich natürlichen Stimme, mit seiner exakten und jederzeit verständlichen Artikulation, er ist zudem auch ein begnadeter Schauspieler. In der der ersten Szene ist er seinem Hauptmann zu Diensten und rasiert ihn. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke spielt co-genial ein dank Fat-Suite unförmigen, herumphilosophierenden und schwadronierenden Angehörigen der betuchten Schicht, der Wozzeck als Menschen gar nicht wahrnimmt, sondern nur als Gattung. Dagegen steht Gerhahers aufrechte Körperhaltung, gar nicht unterwürfig, sondern um Menschenwürde ringend. Arme Menschen können es sich nicht leisten, tugendhaft zu leben, singt Wozzeck. Denn das ist das Thema des sozialkritischen Stücks: Kann in Armut ein menschenwürdiges Leben gelingen? Die Antwort der Oper ist ein klares Nein. „Alban Berg, Wozzeck
Bayerische Staatsoper, Nationaltheater München, 25. November 2019“
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Alice im Wunderland in München: Ein fulminanter Tanzspaß – auch für Ballettmuffel geeignet!

Foto: © Wilfried Hösl

Nationaltheater München, 12. November 2019

Alice im Wunderland, Ballett in drei Akten nach einer Erzählung von Lewis Carroll

Choreographie: Christopher Wheeldon
Musik: Joby Talbot
Libretto: Nicholas Wright

von Barbara Hauter

Die Münchner „Alice“ ist magisch. Fast drei Stunden wird einem der Kopf verdreht von einer Zauberwelt, die bevölkert ist mit Grinsekatze, Märzhase, Siebenschläfer, tanzenden Bäumen, wild gewordenen Spielkarten und einem steppenden verrückten Hutmacher. Temporeich, bunt, fantasievoll, liebevoll-aufwändig ausgestattet – schöner und witziger kann man die berühmte Geschichte von Lewis Carroll kaum erzählen. „Alice im Wunderland,
Nationaltheater München, 12. November 2019“
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Wohlfühlabend mit ganz viel Glanz in den Stimmen

Fotos: © Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper, München, 15. Oktober 2019
Jacques Offenbach, Les Contes d’Hoffmann
Opéra fantastique in fünf Akten

Libretto von Jules Barbier nach dem Schauspiel von Jules Barbier und Michel Carré, herausgegeben von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Ganz vorneweg: Oper darf auch einfach mal „nur“ Spaß machen. Es hat was, sich elegant und störungsfrei von einem Arienhöhepunkt zum nächsten führen zu lassen, ohne die ganze Zeit über einen tieferen Sinn von Bühne und Ausstattung sinnieren zu müssen. Hoffmanns Erzählungen in München machen einfach Freude, denn man kann sich ganz dem Hörgenuss hingeben. „Jacques Offenbach, Les Contes d’Hoffmann, Bayerische Staatsoper, München, 15. Oktober 2019“ weiterlesen

„Alles in meinem Leben dreht sich um Musik“

Foto: © Vitaly Zapryagaev
Interview mit der Sopranistin Elena Pankratova
Bayreuther Festspiele 2019                   
                   

Elena Pankratova im Gespräch mit Jolanta Lada-Zielke

Die russische Sopranistin Elena Pankratova studierte zuerst Klavier und Dirigieren in Jekaterinburg, danach Gesang und Schauspiel am Konservatorium in St. Petersburg. Der internationale Durchbruch gelang ihr 2010 in der Rolle der Färberin  in Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ unter  Zubin Mehta beim Maggio Musicale Fiorentino.  Diese Partie sang sie erneut mit überwältigendem Erfolg an der Mailänder Scala (2012) sowie am Teatro Colón in Buenos Aires (2013), sie gab ihr fulminantes Debüt an der Bayerischen Staatsoper München (2013), am Royal Opera House Covent Garden in London (2014) und an der Königlichen Oper Kopenhagen (2015). Zu ihrem Repertoire gehören u. a. die Titelrollen der Opern „Elektra“, „Turandot“, „Ariadne auf Naxos“, „Norma“ und „Tosca“, außerdem Wagner-Partien wie Elisabeth, Sieglinde und Senta.

2016 debütierte sie in Bayreuth als Kundry in „Parsifal“ in der Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg. Diese Produktion läuft in der Saison 2019 zum letzten Mal im Rahmen der Bayreuther Festspiele.

Wie fühlen Sie sich in Bayreuth?

Sehr gut. Die Stadt ist wunderbar und das Festspielhaus großartig. Das Werk „Parsifal“, das ich mitsinge, wurde genau für dieses Haus komponiert und klingt wunderschön in diesem Raum. Alle meine Bühnenpartner sind wunderbare Kollegen. Unsere gemeinsamen Proben waren von Anfang an eine große Freude und sind sehr harmonisch verlaufen. Bei diesem „Parsifal“ sind wir wie eine große Familie. „Interview mit der Sopranistin Elena Pankratova, Bayreuther Festspiele 2019“ weiterlesen

Wenn jeder jeden belügt – Händels „Agrippina“ als zeitloses Machtspiel in München

Foto: © Wilfried Hösl

Georg Friedrich Händel, Agrippina
Bayerische Staatsoper, 28. Juli 2019

Musikalische Leitung: Ivor Bolton
Inszenierung: Barrie Kosky

Claudio: Gianluca Buratto
Agrippina: Alice Coote
Nerone: Franco Fagioli
Poppea: Elsa Benoit
Ottone: Iestyn Davies
Pallante: Andrea Mastroni
Narciso: Eric Jurenas
Lesbo: Markus Suihkonen

Bayerisches Staatsorchester

von Sarah Schnoor

Claudio ist tot, es lebe Nerone! Oder doch nicht? Agrippina versucht alles, um ihren Sohn Nerone auf den Thron zu bekommen, um letztlich selbst die Fäden in der Hand zu halten. Nachdem ihre ersten Intrigen nicht erfolgreich waren, versucht sie über Poppea, Liebesobjekt und Projektsfläche einiger Protagonisten, an den Thron zu gelangen. Ob das gelingt?

Es sind Opernfestspiele in München und die Bayerische Staatsoper glänzt mit Barrie Koskys neuer Inszenierung von Händels „Agrippina“. Nicht nur, dass diese Oper eine spannende Handlung hat, in der sich schon in den ersten Minuten alle Netze aus Intrigen verwirren, Kosky beweist auch hier wieder, dass er sein Handwerk wie nur wenige andere beherrscht. Seine Agrippina lebt von einer grandiosen Personenregie, die hervorragend in das Netz der Musik eingefädelt ist und mit ihr spielt. Komik und Slapstick gesellen sich zu tragischen und schmerzenden Momenten. Es macht Spaß, jedem einzelnen beim Singen zuzusehen und zuzuhören! „Georg Friedrich Händel, Agrippina, Bayerische Staatsoper, 28. Juli 2019“ weiterlesen

„Sachs-tastische“ Meistersinger von Nürnberg an der Bayerischen Staatsoper

Foto: © Wilfried Hösl

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg
Bayerische Staatsoper, 27. Juli 2019

Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Inszenierung: David Bösch
hne: Patrick Bannwart

Kostüme: Meentje Nielsen
Dramaturgie: Rainer Karlitschek
Chöre: Sören Eckhoff

Hans Sachs: Wolfgang Koch
Veit Pogner: Christof Fischesser
Kunz Vogelgesang: Kevin Conners
Konrad Nachtigall: Christian Rieger
Sixtus Beckmesser: Martin Gantner
Fritz Kothner: Michael Kupfer-Radecky
Balthasar Zorn: Ulrich Reß
Ulrich Eißlinger: Dean Power
Augustin Moser: Thorsten Scharnke
Hermann Ortel: Levente Páll
Hans Schwarz: Peter Lobert
Hans Foltz: Roman Astakhov
Walther von Stolzing: Daniel Kirch
David: Allan Clayton
Eva: Sara Jakubiak
Magdalene: Okka von der Damerau
Nachtwächter: Milan Siljanov

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

von Maria Steinhilber

Münchens Meistersinger-Marathon entzündet sich durch lautes Gestampfe und „Bravo“-Rufe. Natürlich. Kirill Petrenko. Der Blick fällt per Luftlinie auf das im Licht leuchtende Dirigat. Eine wahnsinnige musikalische Ladung schwappt mit jeder Welle über das Parkett und entlädt sich auf den Rängen. Komm Welle, komm! Mal bebend, schlendernd, tosend. Wie man sich bettet, so liegt man. Vorhang auf! „Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg,
Bayerische Staatsoper, 27. Juli 2019“
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Bauer sucht Frau in der Bayerischen Staatsoper: Smetanas "Die verkaufte Braut" dargeboten mit sängerischer Exzellenz und viel Witz

Foto: © Wilfried Hösl

Bedřich Smetana, Die verkaufte Braut
Bayerische Staatsoper, 22. Juli 2019

Musikalische Leitung: Tomáš Hanus
Inszenierung: David Bösch
Bühne: Patrick Bannwart
Kostüme: Falko Herold
Licht: Michael Bauer
Chor: Sören Eckhoff
Dramaturgie: Rainer Karlitschek, Lukas Leipfinger

Kruschina, ein Bauer: Oliver Zwarg
Kathinka, seine Frau: Helena Zubanovich
Marie, beider Tochter: Selene Zanetti
Micha, Grundbesitzer: Levente Páll
Agnes, seine Frau: Irmgard Vilsmaier
Wenzel, beider Sohn: Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Hans, Michas Sohn aus erster Ehe: Pavol Breslik
Kezal, Heiratsvermittler: Günther Groissböck
Springer, Direktor einer wandernden Künstlertruppe: Ulrich Reß
Esmeralda, Tänzerin: Anna El-Kashem
Muff, ein als Indianer verkleideter Komödiant: Oğulcan Yilmaz

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

von Barbara Hauter

Die Bayerische Staatsoper macht vor, wie man es macht: bestes Amüsement ohne in Klamauk abzurutschen. „Die verkaufte Braut“ im ehrwürdigen Nationaltheater ist eine brillante Gagparade, die niemals billig wird. Den Sängern und Sängerinnen macht das Spiel sichtbar Spaß. Und dank ihrer bravourösen Leistungen wird es an keiner Stelle peinlich. „Bedřich Smetana, Die verkaufte Braut,
Bayerische Staatsoper, 22. Juli 2019“
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Magiefaktor 12: Anna Netrebko singt in München in einer eigenen Liga

Foto: Dario Acosta ©
Bayerische Staatsoper, 17. Juli 2019

Anna Netrebko (Sopran) und Malcom Martineau (Klavier),
Liederabend „Tag und Nacht“

Die Stimme dieser Frau entspannt. Ihre satte, frauliche Tiefe und ihre strahlende Höhe sind vom Piano bis zum Forte gleichermaßen stark; ihr Timbre ist mittlerweile so abgedunkelt, dass es (fast) wie ein Mezzo klingt, ihre strahlenden Spitzentöne sind ungebrochen, ihre Phrasierungen sind traumhaft schön. Es gleicht einer Explosion, wenn sie ihre Energie zum Glühen bringt.

von Andreas Schmidt

Darf ein Kritiker schwärmen? Darf er begeistert sein? Darf er seine Bewunderung preisgeben?

Nach meiner „Kritik“ über Anna Netrebkos Liederabend in Baden-Baden erreichten mich zahlreiche Zuschriften. Die eine Hälfte war ebenso begeistert wie ich. Die andere Hälfte sagte, ich habe zu dick aufgetragen.

Ich bleibe dabei: Auch der Abend in der Bayerischen Staatsoper hat eindrucksvoll offenbart, dass Anna Netrebko die Frau ist, die mit der größten Energie, dem größten Stimmenreichtum und der größten Hingabe in der Lage ist, die Herzen und die Seelen der Menschen zu erreichen.

Der Abend in München war so magisch wie der Abend in Baden-Baden. Deshalb hier noch einmal meine Worte. „Anna Netrebko (Sopran) und Malcom Martineau (Klavier), Liederabend „Tag und Nacht“,
Bayerische Staatsoper, München, 17. Juli 2019“
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Turandot in München: eine emotionale Breitseite

Foto: © Wilfried Hösl

Golda Schultz als Liù sorgt mit leisen eindringlichen Tönen in dieser dynamischen Oper für die absoluten Höhepunkte.

Giacomo Puccini, Turandot
Bayerische Staatsoper München, 16.07.2019

Musikalische Leitung: Thomas Søndergård
Inszenierung: Carlus Padrissa – La Fura dels Baus
Bühne: Roland Olbeter

La Principessa Turandot: Nina Stemme
L’ imperatore Altoum: Ulrich Reß
Timur, re tartaro spodestato: Alexander Tsymbalyuk
Il Principe ignoto (Calaf): Stefano La Colla
Liù: Golda Schultz
Ping: Mattia Olivieri
Pang: Kevin Conners
Pong: Galeano Salas

Von Frank Heublein

Turandot ist die letzte Oper Puccinis. Er starb vor der Vollendung dieses Werkes. Turandot überzeugt mich am heutigen Abend als Zuseher und Zuhörer emotional – gerade – so wie sie ist.

Ich werde vom Orchester musikalisch hineingeworfen in das Stück. Ebenso visuell durch die Inszenierung von Carlus Padrissa. Diese ist spektakulär, bietet Statisten und Artisten auf, nicht nur in der Breite und Tiefe des Bühnenraumes, auch in der Höhe. Und in 3D, sofern man mittig sitzt – wie ich (danke!) – und eine rot-grüne Brille vor den Einlasstoren mitnimmt. „Giacomo Puccini, Turandot,
Bayerische Staatsoper, 16. Juli 2019“
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"Otello" in München: Der Chor und das Orchester musizieren zum Weinen schön, der Otello ist ein Totalausfall, und in der Nebenrolle glänzt ein Mezzo aus Las Vegas

Foto: Rachael Wilson (c) W. Hösl
Diese wunderbare Mezzosopranistin sang nur wenige Minuten, aber mit der höchsten Leidenschaft und Hingabe – devotion and passion….

Bayerische Staatsoper, Münchner Opernfestspiele, 15. Juni 2019
Giuseppe Verdi, Otello

Kirill Petrenko, Musikalische Leitung
Amélie Niermeyer, Inszenierung
Christian Schmidt, Bühne
Anja Harteros, Desdemona
Zoran Todorovich, Otello
Gerald Finley, Jago
Emilia, Rachael Wilson

von Andreas Schmidt

Immer wenn ich von Hamburg nach München fahre, freue ich mich: Mich erwartet die zweitschönste deutsche Stadt (nach HH), das Bier ist Weltklasse und das Opernhaus – im Gegensatz zu Hamburg – ebenso.

Auch dieser Verdi-Abend im Nationaltheater offenbarte mir, dass ich – musikalisch gesehen – in der falschen Stadt geboren bin: Das Nationaltheater ist im Gegensatz zur Staatsoper Hamburg ein RICHTIGES Opernhaus (Hamburg braucht dringend ein neues Opernhaus, wenn es „Musikstadt“ werden will – opernaffine Milliardäre gibt s in HH einige). Die Akustik in München ist einen Kosmos besser als an der Dammtorstraße, das Bayerische Staatsorchester gar zwei Milchstraßen besser –dagegen hört sich das Philharmonische Staatsorchester Hamburg oft wie ein Schülerorchester an – und, lieber Herr Delnon und lieber Herr Nagano in HH: Wenn Sie mal hören wollen, wie ein RICHTIG guter Chor und ein richtig gutes Orchester klingen, sollten Sie mit Ihrer Belegschaft gerne mal eine Dienstreise an die Isar unternehmen. „Giuseppe Verdi, Otello,
Bayerische Staatsoper, Münchner Opernfestspiele, 15. Juni 2019“
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