„Alles in meinem Leben dreht sich um Musik“

Interview mit der Sopranistin Elena Pankratova, Bayreuther Festspiele 2019

Foto: © Vitaly Zapryagaev
Interview mit der Sopranistin Elena Pankratova
Bayreuther Festspiele 2019                   
                   

Elena Pankratova im Gespräch mit Jolanta Lada-Zielke

Die russische Sopranistin Elena Pankratova studierte zuerst Klavier und Dirigieren in Jekaterinburg, danach Gesang und Schauspiel am Konservatorium in St. Petersburg. Der internationale Durchbruch gelang ihr 2010 in der Rolle der Färberin  in Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ unter  Zubin Mehta beim Maggio Musicale Fiorentino.  Diese Partie sang sie erneut mit überwältigendem Erfolg an der Mailänder Scala (2012) sowie am Teatro Colón in Buenos Aires (2013), sie gab ihr fulminantes Debüt an der Bayerischen Staatsoper München (2013), am Royal Opera House Covent Garden in London (2014) und an der Königlichen Oper Kopenhagen (2015). Zu ihrem Repertoire gehören u. a. die Titelrollen der Opern „Elektra“, „Turandot“, „Ariadne auf Naxos“, „Norma“ und „Tosca“, außerdem Wagner-Partien wie Elisabeth, Sieglinde und Senta.

2016 debütierte sie in Bayreuth als Kundry in „Parsifal“ in der Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg. Diese Produktion läuft in der Saison 2019 zum letzten Mal im Rahmen der Bayreuther Festspiele.

Wie fühlen Sie sich in Bayreuth?

Sehr gut. Die Stadt ist wunderbar und das Festspielhaus großartig. Das Werk „Parsifal“, das ich mitsinge, wurde genau für dieses Haus komponiert und klingt wunderschön in diesem Raum. Alle meine Bühnenpartner sind wunderbare Kollegen. Unsere gemeinsamen Proben waren von Anfang an eine große Freude und sind sehr harmonisch verlaufen. Bei diesem „Parsifal“ sind wir wie eine große Familie.

Richard Wagner wollte, dass „Parsifal“ ausschließlich in Bayreuth aufgeführt wird, und seine Frau Cosima hatte sich nach dem Tod des Meisters bemüht, seinen Willen zu erfüllen. Trotzdem wurde das Werk zunächst 1903 in New York an der Metropolitan Opera und 1905 in Amsterdam aufgeführt. Meinen Sie, „Parsifal“ sollte lieber in Bayreuth bleiben?

Na ja, man kann die Zeit nicht zurückdrehen… Damals ging es um das Urheberrecht und um die Tantiemen. Wagners Familie wollte damit das Überleben der Festspiele sichern, gerade in den schwierigen Zeiten um die Jahrhundertwende bzw. vor dem Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg war die Situation noch schwieriger, so dass man schon verstehen kann, dass die Wagners den „Parsifal“ um jeden Preis exklusiv für die Bayreuther Festspiele behalten wollten. Und eigentlich wäre das doch ganz schön, wenn die ganze Welt nach Bayreuth kommen müsste, um diese Oper zu sehen und zu hören. Wenn man dann hier gesungen hätte, wäre man als Künstler sicherlich noch berühmter. In den ersten dreißig Jahren nach der Uraufführung war das auch so. Übrigens kann man in Wikipedia alle Bayreuther „Parsifal“-Premierenbesetzungen seit 1882 bis heute in chronologischer Reihenfolge nachlesen. Mein Name steht auch schon da. Wenn also das Stück nur hier aufgeführt worden wäre, gäbe es weniger Kundrys und das wäre doch toll. (Lacht.)

Kundry ist die interessanteste weibliche Figur in Wagners Schaffen. Stimmen Sie da zu?

Elena Pankratova (Kundry) © Bayreuther Festspiele / Jörg Schulze

Ja, die anderen Frauen in Wagners Opern sind klar definiert, Elsa zum Beispiel ist gut, Ortrud intrigant, Venus ist sinnlich, Senta treu und Elisabeth fromm. Kundry dagegen ist vielschichtig, eine in sich selbst gespaltene Figur. Sie geht durch verschiedene Welten und Rollen, ist Geliebte, Mutter, Hure und am Ende – zumindest in unserer Inszenierung – alte Dienerin… Das macht die Figur sehr interessant, und all das spiegelt auch die Musik wieder. Da gibt es wunderschöne lyrische Momente – einer meiner Lieblingsmonologe ist „Ich sah als Kind“, den ich an Parsifal richte – und am Ende des zweiten Aktes gibt es große, dramatische Szenen und große Ausbrüche – wie für eine große Darstellerin à la Sarah Bernhardt geschrieben.

Die Premiere des „Parsifal“ 2016 wurde in 100 Kinos in ganz Deutschland übertragen. Haben Sie sich während Ihrer ersten Vorstellung irgendwelche Gedanken darüber gemacht?

Nicht nur in Kinos – vergessen Sie die Live-Radioübertragungen in mehrere Länder nicht! Während der weiteren Vorstellungen waren wir jedenfalls alle viel entspannter und gelöster, ohne den Erwartungsdruck, der eine Premiere immer begleitet. Die Live-Übertragung hatte den noch verstärkt: Da stehst du auf der Bühne und singst, aber im Hinterkopf kreist immer wieder der Gedanke, dass dir in diesem Moment die halbe Welt im Radio zuhört und tausende Menschen im Kino zusehen.

In Ihrer musikalischen Laufbahn waren Sie als Pianistin und Chordirigentin tätig. Hat Ihnen diese Erfahrung auch beim Singen geholfen?

Aber natürlich! Ich beherrsche das Klavierspiel und kann meine Partien selbst einstudieren. Dabei hilft mir gesangstechnisch mein Mann Vitaly, der ein wunderbarer Gesangslehrer ist. Wir haben noch vor dem Konservatorium geheiratet. Jetzt betreut er alle meine Partien, meine Gastspielreisen, Vorstellungen und Proben, wofür ich ihm unendlich dankbar bin, denn die Kontrolle von außen ist für uns Sänger besonders wichtig. Der Arme muss in allen Proben sitzen und mir die ganze Zeit zuhören. (Lacht.) Nachdem wir eine Partie zu zweit gearbeitet haben, gehen wir zu Korrepetitoren, die diese Partien in- und auswendig kennen, um die Tempi zu überprüfen, Traditionen zu erfahren und die Aussprache zu kontrollieren.

Da ich Gesangsprofessorin an der Kunstuniversität in Graz geworden bin, hilft mir meine gute musikalische Ausbildung auch dort. Dank meiner pianistischen Erfahrung kann ich im Unterricht auch selbst viel vorspielen. Obwohl ich das nicht machen müsste, aber ich tue das gern.

Können Sie das berufliche Leben vom Privatleben trennen?

Elena Pankratova (Kundry) und Andreas Schager © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Schön wär’s! (Lacht.) So etwas funktioniert vielleicht bei anderen Berufen, aber nicht bei Sängern. Nein, bei uns zu Hause steht ein Klavier im Musikzimmer, und wir arbeiten dort an meinen Partien. Oder sprechen über sie. Ich bin keine Bankangestellte oder Kauffrau, sondern Sängerin. Das heißt, ich lebe mit der Musik, mit meinen Rollen und mit den Gedanken darüber vierundzwanzig Stunden am Tag. Wie könnte ich da zu Hause ausschließlich Hausfrau sein? Das geht doch nicht. Alles in meinem Leben dreht sich um Musik, auch privat. Bei anderen Leuten ist die Arbeit schon um 17:00 Uhr zu Ende, sie kommen nach Hause und denken (vielleicht) nicht mehr darüber nach. Bei Sängern geht das einfach nicht: Ich trage ständig meine neue Rolle in mir, so wie eine Schwangere ein Kind austrägt.

Tritt Ihr Mann auch auf der Bühne auf?

Nein, er ist ein sehr gefragter Gesanglehrer und organisiert außerdem alles, was sonst noch für meine Karriere wichtig ist. Wenn auch er als Sänger aktiv wäre, hätte er vielleicht hier, und ich ganz woanders gesungen, und unsere Ehe wäre irgendwann auseinander gegangen. So etwas passiert vielen Menschen – wir wollten das nicht.

Was halten Sie von den Sicherheitsregelungen, die seit drei Jahren auf dem Grünen Hügel gelten?

So etwas kenne ich schon seit Langem. 2008 sang ich zum ersten Mal in Valencia. Das war kurz nach den Terroranschlägen in Madrid, und die Spanier haben sehr schnell Konsequenzen daraus gezogen. Ohne Pass durfte man nicht ins Theater. Für uns wurden auch spezielle Ausweise ausgestellt, und wir alle wurden jedes Mal kontrolliert. Selbst am Bühneneingang gab es Metalldetektoren. Genauso ist es in der Opera Bastille in Paris oder am Mariinsky Theater in St. Petersburg. Nach den Vorfällen in Deutschland, die vor drei Jahren geschahen, kann ich gut verstehen, dass man auch hier so etwas macht. Wenn das der allgemeinen Sicherheit dient, ist das vollkommen richtig. Nur manchmal ist es ein bisschen übertrieben, wenn man zum Beispiel selbst im Festspielhaus überprüft wird. Einer wollte mich einmal beim Hinausgehen kontrollieren. Ich sagte: „Hallo, ich bin hier irgendwie reingerutscht, das heißt Ihr Kollege hat mich schon beim Hineingehen kontrolliert, müssen Sie denn das wirklich noch mal machen, wenn ich rausgehe?“ Und der andere Mann vom Sicherheitsdienst hat sich bei mir für ihn entschuldigt, der Kollege würde sich noch nicht so gut auskennen in dem Job. Und bei einer „Rheingold“-Probe, als Maestro Janowski schon angefangen hatte zu dirigieren, stellte er fest, dass Alberich nicht da war und fragte, wo er sei. Da rief es plötzlich: „Maestro, ich bin hier im Zuschauraum, man lässt mich nicht durch!“

Sie haben auch mit dem polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowski zusammengearbeitet. Wie ist das gelaufen?

Ich habe gehofft, dass Sie mir diese Frage stellen. (Lacht vergnügt.) Er ist mein absoluter Liebling, ein echtes Schätzchen! Liebe, liebe, liebe Grüße, Krzysztof, I love you! 2013 habe ich in München die Färberin in „Frau ohne Schatten“ gesungen, die Krzysztof ganz meisterhaft inszeniert hat und die musikalisch von Kirill Petrenko geleitet wurde: eine Meilenstein-Produktion für mich!

Elena Pankratova (Färberin) Quelle: http://fomalhaut.over-blog.org

Damals habe ich viel von Krysztof gelernt, was mir anschließend auch in anderen Produktionen bei der Rollenarbeit sehr geholfen hat. Obwohl ich schon damals eine solide Bühnenerfahrung hatte, muss ich sagen, Krzysztof war der erste Regisseur, der mir schauspielerische Aufgaben gestellt hat, die mich sehr viel weitergebracht haben. Er ist ein introvertierter, nicht sofort zu entschlüsselnder Mensch mit einem John-Malkovich-Lächeln, und er kommt nicht von der musikalischen, sondern von der rein schauspielerischen Seite. Früher habe ich eher Regisseure getroffen, die mir sehr sparsame oder überhaupt keine Tipps gegeben haben. Manche waren von mir fasziniert, manche dachten vermutlich: Sie singt gut, sie bewegt sich viel und intensiv, sieht dabei schön aus – das ist schon genug… Da ich das hochdramatische Fach singe und große Charaktere darstelle, habe ich natürlich auch von mir aus viel angeboten. Aber, so wie ich es jetzt verstehe, war das eher ein so genanntes „opera acting“, was oft eher unnatürlich aussieht. Intelligente Zuschauer merken sofort, dass der Sänger die Rolle nicht erlebt, sondern nur spielt. „Spielen“ ist eigentlich kein gutes Wort für Theater – „spielen“, das machen Kinder im Sandkasten. Aber seit ich mit Warlikowski gearbeitet habe, habe ich gelernt, die Rolle auf der Bühne richtig zu leben, egal ob ich dabei schön oder hässlich aussehe – im richtigen Leben läuft ja schließlich auch nicht alles schön und glatt. Und dann habe ich ganz natürlich und lebensecht ausgesehen. Für diese Färberin wurde ich zum ersten Mal von der Presse nicht nur als Sängerin, sondern auch als Schauspielerin gelobt. Das war die intelligenteste und intensivste Regie, die ich erlebt habe.

 Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jolant Lada-Zielke, 18. August 2019, für
klassik-begeistert.de

 

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