Anna Netrebko brilliert als Turandot in Hessen

Giacomo Puccini, Turandot © Karl und Monika Forster

Daniela Kercks sehenswerte und vielschichtige Inszenierung beeindruckt in Wiesbaden.

Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, 4. Mai 2024

Giacomo Puccini (1858-1924) – Turandot. Dramma lirico in drei Akten. Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Carlo Gozzi

Musikalische Leitung: Michelangelo Mazza
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

Inszenierung und Bühne: Daniela Kerck
Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer, Frank Schönwald
Video: Astrid Steiner
Licht: Klaus Krauspenhaar
Choreografie: Rosana Ribeiro
Dramaturgie: Constantin Mende

Turandot: Anna Netrebko
Calàf: Yusif Eyvazov                                                                                                                    Liù: Heather Engebretson
Timur: Young Doo Park
Altoum: Erik Biegel
Ping: Christopher Bolduc                                                                                                          Pang: Ralf Rachbauer
Pong: Gustavo Quaresma

Chor und Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden (Einstudierung: Albert Horne)

Kinderchor der Limburger Dommusik (Einstudierung: Andreas Bollendorf)

von Brian Cooper, Bonn

Ein Name fehlt in den Vorworten der ansprechend gestalteten Broschüre zu den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden, und das fällt derart stark auf, dass es fast schon komisch wirkt. Dafür wird der Name auf dem Bowling Green vor dem Haus umso lauter skandiert: „No Netrebko“. Organisatorin Kateryna Plaksiy hat es geschafft, einige hundert Menschen vor dem Hessischen Staatstheater zu versammeln, die vor, während und nach der Turandot-Vorstellung gegen den Auftritt Anna Netrebkos demonstrieren. „Giacomo Puccini (1858-1924), Turandot, Dramma lirico in drei Akten
Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, 4. Mai 2024“
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Der RING guckt uns an, um unsere Verantwortung für das menschliche Tun in dieser Welt noch plakativer zu machen

Der Wiesbadener „Ring“ endet, wie er begonnen hat: Ein großes Auge ist zu sehen. Es guckt uns an, und um unsere Verantwortung für das menschliche Tun in dieser Welt noch plakativer zu machen, wird es am Ende hell im Zuschauerraum und Gutrune schaut uns durch ein Fernrohr an.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden (Foto: c), 1. April 2024

Richard Wagner, Götterdämmerung

von Dr. Bianca Maria Gerlich

Das Drama um erkrankte Musiker ging beim „Ring“ in Wiesbaden am verlängerten Osterwochenende weiter. Stand am Ostersonntag zunächst wieder Michael Güttler auf dem Besetzungszettel der Theater-Homepage, der allerdings am Abend zuvor krankheitsbedingt nicht dirigieren konnte, war es dann am Ostermontag doch wieder Holger Reinhardt, der das Orchester geleitet hatte, da Güttler mittlerweile im Krankenhaus lag. „Richard Wagner, Götterdämmerung
Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 1. April 2024“
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Ohne Liebe gibt es keine Zukunft

Walküre, Staatstheater Wiesbaden, Gerd Grochowski © Karl und Monika Forster
Der Ring des Nibelungen | Erster Tag


Richard Wagner (1813 – 1883)
Die Walküre                                                                                                                                    In deutscher Sprache mit Übertiteln.

Libretto vom Komponisten
Uraufführung 1870 in München

Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 29. März 2024

von Dr. Bianca Maria Gerlich

Vom Nomadenzelt ins Militärzelt – so könnte man den Schritt vom „Rheingold“ zur „Walküre“ von Laufenberg im Staatstheater Wiesbaden zusammenfassen. Ging es im „Rheingold“ noch halbwegs archaisch zu, indem sich die Götter um das Lagerfeuer zur Beratung zusammenscharrten, wartete die „Walküre“ mit Militäruniformen auf und zeigte Kriegsbilder in Videoeinspielungen. Das Lagerfeuer ist zum Gewehrfeuer geworden. „Richard Wagner (1813 – 1883), Die Walküre
Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 29. März 2024“
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Die Rheingold-Verhandlungen finden am Lagerfeuer in der Wüste statt

Gloria Rehm © Karl und Monika Forster
Insgesamt war es eine Aufführung mit einer sehr schlüssigen und anregenden Inszenierung auf einem guten musikalischen Niveau, wozu auch das Orchester beitrug, das nur selten zu laut spielte, ansonsten aber einen schönen „Rheingold“-Klang hervorzauberte.
Der Ring des Nibelungen | Vorabend


Das Rheingold
Richard Wagner (1813 – 1883)
In deutscher Sprache mit Übertiteln.
Libretto vom Komponisten
Uraufführung 1869 in München

Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 28. März 2024

von Dr. Bianca Maria Gerlich

Zu Ostern gibt Wiesbaden das zweite Mal in dieser Saison den „Ring des Nibelungen“ in Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg aus 2016/17.
Am Pult steht Michael Güttler, der insgesamt sein Orchester sicher durch den Abend führt und den Sängern recht subtil ihre Einsätze anzeigt, die das meist gar nicht nötig haben, so souverän beherrscht jede/r seine Rolle. „Richard Wagner (1813 – 1883), Das Rheingold
Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 28. März 2024“
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Deutsche Meister im Spießertum: Wagners „Meistersinger“ überzeugen in Wiesbaden

Meistersinger, Wiesbaden © Dr. Andreas Ströbl

Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 8. Juli 2023

Die Meistersinger von Nürnberg
Richard Wagner (1813 – 1883)
Oper in drei Aufzügen
In deutscher Sprache. Mit Übertiteln.

Dichtung vom Komponisten
Uraufführung: 1868 in München

Alexander Joel, Dirigent

Derrick Ballard, Bassbariton
Thomas de Vries, Bariton
Marco Jentzsch, Tenor
Betsy Horne, Sopran

Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Bernd Mottl, Inszenierung

von Dr. Andreas Ströbl

Man riecht ihn förmlich, den provinziellen Wirtshausmief aus abgestandenem Bier, Putzmittel und 60erJahre-Linoleum. Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ in der Inszenierung von Bernd Mottl (Premiere am 29. September 2018) im Hessischen Staatstheater Wiesbaden lassen tief in die selbstgefälligen Bürgerseelen eines deutschen Vereins zur Pflege von Traditionen blicken, die nur noch um ihrer selbst willen hochgehalten werden.

Bereits das Vorhangbild, das an in eine Nürnberger Lebkuchendose aus den frühen 70ern erinnert, macht unmissverständlich klar, dass hier nichts Neues zu erwarten ist. „Die Meistersinger von Nürnberg, Richard Wagner
Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 8. Juli 2023“
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Mitreißendes Musiktheater für Freiheit und den Kampf für ein sinnvolles Leben

Foto: Emilia Marty in „Vĕc Macropoulos“ © Karl und Monika Forster

Internationale Maifestspiele 2023
Hessisches Staatstheater Wiesbaden (30. April – 31. Mai 2023)

Die Sache Makropulos
Leoš Janáček (1854 – 1928)
Oper in drei Akten

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Aus einem Totenhaus
Leoš Janáček (1854 – 1928)
Oper in drei Akten

Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 30. April 2023 PREMIERE

von Dr. Klaus Billand

Angesichts der politischen Entwicklungen des Jahres 2022 hat der Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und der Maifestspiele 2023, Uwe Eric Laufenberg, entschieden, das Thema Freiheit, womit auch die Pressefreiheit und das freie Wort an sich gemeint sind, sowie den Kampf für ein selbstbestimmtes sinnvolles Leben zum Hauptthema dieser Festspiele zu machen.

Nach einem Statement des Wiesbadener Oberbürgermeisters Gerd-Uwe Mende beim Eröffnungsempfang am Premierenabend blicken die Maifestspiele schon auf eine 127-jährige Geschichte zurück. Insbesondere will man sie dieses Jahr den Gefangenen in aller Welt widmen und so mit den Festspielen die großen gegenwärtigen Themen und Probleme der Welt ansprechen. Welche Opern passten besser zu dieser doppelten Zielsetzung als die beiden Spätwerke des tschechischen Komponisten Leoš Janáček, „Die Sache Macropoulos“ und „Aus einem Totenhaus“?! Sie eröffneten am 30. April mit ihren Premieren die diesjährigen Maifestspiele. „Die Sache Makropulos und Aus einem Totenhaus, Leoš Janáček (1854 – 1928)
Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 30. April 2023“
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Wiesbaden: Starke Ovationen für "Die Meistersinger von Nürnberg"

Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 30. Mai 2019
Richard Wagner: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

Foto: © Monika und Karl Forster

von Alexander Walther (onlinemerker.com)

Psychologische Prozesse werden in der subtilen Inszenierung von Bernd Mottl sehr präzise dargestellt. Nicht umsonst waren es die Nürnberger Wirtshäuser, die Richard Wagner zu seiner Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ deutlich inspiriert haben. Gerade darauf nimmt der Regisseur Bezug (Bühne und Kostüme: Friedrich Eggert).

Im ersten Akt sieht man die Gaststätte als Ort verschiedener Zeiten und Stilrichtungen. Der zweite Akt lässt dann die Häuserfassaden für das Publikum in sehr viel näherer Weise deutlich werden. Künstlerdrama und Liebesgeschichte erreichen auch hier eine ungeahnte Intensität. Die Affäre zwischen Walther von Stolzing und Eva prägt sich dem Zuschauer durchaus ein. Hans Sachs hingegen erhält den Nimbus des alternden Mannes, dessen tragisches Schicksal das Publikum ebenfalls berührt. Die berühmte Prügelszene entwickelt eine beachtliche szenische und rhythmische Kraft, der gesellschaftliche Balanceakt lässt die Grenze des Komischem zum Tragischen verschmelzen. Natürlich sind dabei nicht alle Passagen gelungen. Totenköpfe werden hin- und hergeschwenkt, in den Fenstern hängen Betrunkene herum, Licht flackert in nervöser Weise hin und her. Sehr gut wird hier Sixtus Beckmesser charakterisiert, der sich bei seinem Meistersingerlied vor allem Volk unsterblich blamiert.

Die Stube des Hans Sachs im dritten Akt erhält bei Bernd Mottl ein betont modernes Outfit. Diese Szene ist dem Regisseur allerdings am wenigsten gelungen. Aber die Seelenqualen des alternden Hans Sachs kommen doch überzeugend über die Rampe, denn das junge Liebespaar vergnügt sich respektlos im Bett von Sachs, während dieser zuschauen muss und natürlich völlig die Nerven verliert. Opulent und wirkungsvoll, wenn auch manchmal allzu überladen wirkt dann das Schlussbild. Auf der glanzvollen Empore sieht man die stolzen Trompeter, die das gewaltige Panorama mit dem Jubel um Hans Sachs und das Liebespaar Walther von Stolzing und Eva begleiten.

Bernd Mottl verleugnet dabei jedoch keineswegs, dass Wagners „Meistersinger“ ein naturalistisches Stück sind. Die Zeit wird dabei angehalten, das Mythisch-Mystische verschwindet. Die Handwerker sind ein Club alter Herren, die zwar an Regeln und Werten hängen, die Welt deswegen jedoch wegfegen wollen. Sie flüchten in eine Scheinwelt, die nicht mehr existiert. Gerade dieser Aspekt hätte bei der Inszenierung noch deutlicher werden können. Aber Hans Sachs möchte sich hier nicht gegen den Fortschritt stemmen. Sachs möchte die alten Werte in die neue Zeit hinüberretten, womit er natürlich erhebliche Probleme hat. Michael Volle als Hans Sachs stellt diese verzwickte Situation in wahrhaft begeisternder Weise dar.

Unter der elektrisierenden Leitung von Patrick Lange sticht die musikalische Leistung dieses Abends deutlich heraus. Vor allem der diatonische Klangcharakter und die erfrischende Rhythmik fesseln das Publikum ungemein. Auch die schwärmerische Gefühlswelt von Eva und Walther kommt keineswegs zu kurz, dafür sorgen vor allem die ausdrucksstarken Sänger Betsy Horne als Eva und Thomas Blondelle als Walther von Stolzing. Dynamisch feinnervige Nonenakkorde werden dabei vom Dirigenten minuziös herausgearbeitet. Kontrapunktische Strukturen nach dem Vorbild Bachs treten bei dieser durchaus einfühlsamen Wiedergabe suggestiv hervor. Und die Sommernachtsstimmung des zweiten Aktes erreicht zumindest musikalisch eine betörende Wirkung, auch wenn das szenische Pendant nicht immer mithalten kann. Polyphone Durchdringung wird bei dieser Interpretation zumindest großgeschrieben. Dies gilt vor allem für die hervorragenden Chorpassagen mit Chor und Extrachor des Staatstheaters Wiesbaden (Einstudierung: Albert Horne). Da zeigt die „Prügelfuge“ wirklich Biss.

Der großartige  Michael Volle wird hier als Hans Sachs tatsächlich zu einem Integrationshelfer der gespaltenen Nürnberger Gesellschaft. Mit pompöser Statur und starkem gesanglichen Klangfarbenreichtum vermag er das Publikum nicht nur beim fieberhaften Wahnmonolog rasch für sich zu gewinnen. Eine ganz besondere Leistung vollbringt ebenso Johannes Martin Kränzle als Sixtus Beckmesser, der seine grenzenlose Verzweiflung bei der Fuge betroffenmachend herausschleudert. Wagners flammendes C-Dur setzt sich bei dieser Aufführung vor allem gegen Ende sehr deutlich durch. Energiegeladen und stimmgewaltig agieren auch die übrigen Sängerinnen und Sänger. Neben der Luxusbesetzung Günther Groissböck als Veit Pogner und Margarete Joswig als Magdalena gefallen vor allem Daniel Behle als höhensicherer David, Benjamin Russell als Fritz Kothner, Ralf Rachbauer als Kunz Vogelgesang, Florian Kontschak als Konrad Nachtigall, Rouwen Huther als Balthasar Zorn, Reiner Goldberg als Ulrich Eisslinger, Andreas Karasiak als Augustin Moser, Daniel Carison als Hermann Ortel, Philipp Mayer als Hans Schwarz und Wolfgang Vater als Hans Foltz.

In weiteren Rollen imponieren noch Tuncay Kurtoglu als Nachtwächter und die famosen Lehrbuben Istvan Balota, Maria Dehler, Gregoire Delamare, Marvin Gauger-Schmidt, Hyemi Jung, Hounwoo Kim, Scott Ingham, Luca Leonardi, Florian Löffler, Maike Menningen, Karolina Michel und Paul Sutton.

Die exzellente Beckmesser-Harfe mit Kristina Kuhn soll nicht unerwähnt bleiben. Beim Sehnsuchtsmotiv Walthers scheint Patrick Lange als Dirigent tatsächlich ganz in seinem Element zu sein. Auch die verinnerlichte Stimmung erfährt dabei eine weitere Vertiefung. Humorvolle Klangmalerei tritt hier in geradezu geheimnisvoller Weise zutage. Regenbogen-, Nachtigall- und Froschmotive quellen in unwahrscheinlicher Weise hervor. Vor allem das Motiv der Sangesfreude entwickelt sich überaus kraftvoll. Beim Tanzchor triumphieren einmal mehr die rhythmischen Momente, die sich in den Noten D-Fis-C-E aufzulösen scheinen. Das liegengebliebene G wirkt umso rätselhafter. Jedes Motiv erhält bei Lange einen erstaunlichen Charakterisierungsreichtum. Das Poch-Motiv beim Beckmesserständchen erreicht eine ebenso prägnante rhythmische Kraft und Klarheit. Und das Liebessehnen des jungen Liebespaares ergreift hier zuletzt alle Orchesterstimmen in wahren Fieberkurven.

So gab es zuletzt starke Ovationen des Publikums für die gelungene Vorstellung einer Oper, die von Johannes Brahms gelobt und von „Kritikerpapst“ Eduard Hanslick einst in der Luft zerrissen wurde.

Alexander Walther, 31. Mai 2019