Der RING guckt uns an, um unsere Verantwortung für das menschliche Tun in dieser Welt noch plakativer zu machen

Richard Wagner, Götterdämmerung  Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 1. April 2024

Der Wiesbadener „Ring“ endet, wie er begonnen hat: Ein großes Auge ist zu sehen. Es guckt uns an, und um unsere Verantwortung für das menschliche Tun in dieser Welt noch plakativer zu machen, wird es am Ende hell im Zuschauerraum und Gutrune schaut uns durch ein Fernrohr an.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden (Foto: c), 1. April 2024

Richard Wagner, Götterdämmerung

von Dr. Bianca Maria Gerlich

Das Drama um erkrankte Musiker ging beim „Ring“ in Wiesbaden am verlängerten Osterwochenende weiter. Stand am Ostersonntag zunächst wieder Michael Güttler auf dem Besetzungszettel der Theater-Homepage, der allerdings am Abend zuvor krankheitsbedingt nicht dirigieren konnte, war es dann am Ostermontag doch wieder Holger Reinhardt, der das Orchester geleitet hatte, da Güttler mittlerweile im Krankenhaus lag.

Sonntag hatte dann auch Klaus Florian Vogt abgesagt, der am Tag zuvor noch guter Dinge gewesen war, den Siegfried in der „Götterdämmerung“ wenigstens singen zu können, doch seine Erkältung hatte sich zu einer Bronchitis ausgewachsen. Auch wieder oder immer noch erkrankt war Betsy Horne, die zwischenzeitlich die Sieglinde gesungen hatte, aber eben davor die Freia nicht und jetzt auch nicht die Gutrune/3. Norn. Für sie sprang Astrid Kessler ein und bewältigte die beiden Partien sehr gut.

Den Siegfried übernahm wie am Samstag Stefan Vinke, der zwischenzeitlich am Ostersonntag den Siegmund in Athen gesungen hatte und per Flugzeug rechtzeitig zurückkehren musste. Vom Sohn (Samstag/Wiesbaden) zum Vater (Sonntag/Athen) und zurück zum Sohn (Montag/Wiesbaden) – was für Mühen! Am Samstag konnte man gerade im dritten Aufzug einen gewissen Qualitätsverlust insgesamt erleben, was sicherlich der Tatsache geschuldet war, dass sich alle mit der sehr kurzfristigen Umbesetzung von Dirigent und Titelfigur arrangieren mussten und die knappe  Vorbereitungszeit vermutlich nicht für alle drei Aufzüge gleichermaßen ausgereicht hatte.

In der „Götterdämmerung“ spürte man davon nichts mehr. Gerade Vinke sang einen wunderbaren, sehr frischen und energischen Siegfried, man merkte ihm die Spielfreude an, selbst beim Applaus regte er noch das unsichtbare Schwert in die Höhe. Die Stimme war viel differenzierter als noch im „Siegfried“.

Davon profitierte sicherlich auch Manuela Uhl (Brünnhilde), die mir viel besser gefiel als im „Siegfried“. Schon in „Die Walküre“ sang sie sehr schön, das war jetzt wieder der Fall. Da es erst das zweite Mal in ihrer Laufbahn ist, musste sie sich noch sehr eng vom Dirigenten bei den Einsätzen führen lassen, das funktionierte in der „Götterdämmerung“ viel besser. Sie hat diese riesige Partie und auch gerade das Ende mit Bravour gemeistert.

Hervorragend war wiederum der Kammersänger Thomas de Vries (Alberich), die anderen Sänger standen aber kaum nach. Albert Pesendorfer (Hagen) überzeugte als kalter General Hagen, Birger Radde als Gunther, der durchaus Akzente setze, da diese Rolle nicht als Schwächling interpretiert wurde, sondern als Mittäter. Katrin Wundsam sang die Waltraute und auch 1. Norn wie schon die Fricka souverän und verblüffte mit ihrer Wandlungsfähigkeit. Sie wirkte in ihrer Rollendarstellung komplett anders, sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Das ist hohe Kunst!

Das Team der „Rheintöchter“ (Anastasiya Taratorkina, Fleuranne Brockway, Sandra Janke) harmonierte besser als im „Rheingold“ und auch die drei Nornen (Katrin Wundsam, Sandra Janke, Astrid Kessler) machten ihre Sache gut.

Am meisten Applaus bekam Holger Reinhardt, der an diesem Abend längst nicht so aufgeregt wirkte wie noch beim „Siegfried“. Gut, er hatte sich ungefähr einen Tag länger darauf einstellen können! Es war seine erste „Götterdämmerung“. Die Aufgabe hat er wunderbar gemeistert, die Balance zwischen den Instrumentengruppen war wesentlich besser, es gab kaum Fehler. Teilweise füllte ein wohliger Schönklang den Raum, dann wiederum erklang wuchtig der Todesmarsch. Auch die Sänger wurden nicht so arg überdeckt wie mehrmals an allen drei Abenden zuvor. Reinhardt wusste zu differenzieren, ließ das Orchester sehr transparent spielen und hat auch diesen letzten „Ring“-Abend retten können.

Die Inszenierung lässt wie bei den anderen drei Werken des „Rings“ dem Wagner-Geschehen den Vorrang, verweist aber auf die Aktualität der Themen. Der Inhalt des „Rings“ ist insgesamt gut umgesetzt, manche interessante Einfälle und Anregungen sind dabei. Die Personenführung überzeugt und lässt manche Rolle anders erlebbar werden, z. B. den Gunther oder auch die Gutrune, der eine besondere Rolle am Ende zukommt.

Der Wiesbadener „Ring“ endet, wie er begonnen hat: Ein großes Auge ist zu sehen. Es guckt uns an, und um unsere Verantwortung für das menschliche Tun in dieser Welt noch plakativer zu machen, wird es am Ende hell im Zuschauerraum und Gutrune schaut uns durch ein Fernrohr an.

Dr. Bianca Maria Gerlich, 2. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ring-Zyklus I, Richard Wagner, Siegfried und Götterdämmerung Staatsoper Unter den Linden, 21. und 24. März 2024

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