Leoš Janáčeks „Sache Makropulos“ Unter den Linden: Die Last von 300 Jahren

Foto: Marlis Petersen (Emilia Marty), Tänzer:innen
© Monika Rittershaus

Staatsoper Unter den Linden Berlin, 13. Februar 2022 PREMIERE

Leoš Janáček   Die Sache Makropulos

Simon Rattle Musikalische Leitung

Claus Guth Inszenierung
Étienne Pluss Bühnenbild
Ursula Kudrna Kostüme
Sebastian Alphons Licht
Sommer Ulrickson Choreographie

von Peter Sommeregger

Diese Oper, nach dem erfolgreichen Theaterstück Karel Čapeks entstanden, ist im Grunde ein Konversationsstück mit großer Textlastigkeit. Den internationalen Gepflogenheiten folgend spielt man das Werk heute auch im deutschen Sprachraum in der tschechischen Originalsprache, dank der Übertitelung ist der komplizierte Plot aber trotzdem verständlich.

Für die Berliner Neuinszenierung konnte man eine Reihe von Muttersprachlern gewinnen, die sich mit dem Text naturgemäß weniger plagen müssen. Das gibt der Aufführung auch ein großes Maß an phonetischer Authentizität, denn Janáček komponierte seine Musik im Duktus der Sprache. Der Rest der Besetzung schlägt sich tapfer mit dem komplizierten Idiom.

Das Drama um eine komplizierte Erbschaft, die nur den äußeren Rahmen für die Tragödie der seit dreihundert Jahren unter wechselnden Namen lebenden Elena Makropulos bietet, hat der Komponist sehr komprimiert in drei relativ kurze Opernakte gepackt. Der Regisseur Claus Guth erzählt die Handlung auf zwei Ebenen, zum einen die realistischen Abläufe, zum anderen eine verfremdete, verrätselte Bilderwelt. Zwischen den Akten wird eine stumme Pantomime gezeigt, die spätestens nach einer Minute etwas zu nerven beginnt. Auch die Choreographie, welche die Nebenfiguren gelegentlich zu lebenden Bildern erstarren lässt, schöpft diese Idee ein wenig zu penetrant aus und verliert damit ihre Originalität. Insgesamt gelingt es Guth aber, das komplexe Geschehen stringent umzusetzen und eine dichte Atmosphäre zu schaffen. Daran, dass seine Figuren manchmal ein wenig zu handfest agieren, gewöhnt man sich im Laufe des Abends. „Leoš Janáček, Die Sache Makropulos,
Staatsoper Unter den Linden Berlin, 13. Februar 2022 PREMIERE“
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Le Concert d’Astrée : Ein barocker Feuerball erleuchtet den herbstgrauen Himmel über Berlin

Vor der Staatsoper wird man von unfreundlichem Regenwetter überrascht, man lächelt das, noch übervoll von den musikalischen Freuden, einfach weg.

Foto: Deckenansicht © Gordon Welters

Staatsoper Unter den Linden, Berlin 8. November 2021

Werke von:
Jean-Philippe Rameau, André Campra, Henry Purcell, Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi

Solisten:
Marie-Claude Chappuis, Lea Desandre, Natalie Dessay, Emmanuelle de Negri, Sandrine Piau, Lenneke Ruiten, Eva Zaïcik, Tassis Christoyannis, Andrea Mastroni, Laurent Naouri, Jarred Ott, Victor Sicard, Michael Spyres, Mathias Vidal, Carlo Vistoli

Emmanuelle Haïm, Sir Simon Rattle Dirigenten
Orchester und Chor Le Concert d’Astrée

von Peter Sommeregger

Das von Emmanuelle Haïm 2000 begründete Barock-Ensemble Le Concert d’Astrée veranstaltet zur Feier seines 20-jährigen Bestehens Corona-bedingt sein Jubiläum etwas verspätet mit luxuriös besetzten Konzerten in Berlin und Paris.

Nur von einem Konzert zu sprechen ist eine Untertreibung.  Was Emmanuelle Haïm und ihr Ensemble, unterstützt durch 15 Solisten der Spitzenklasse, an diesem Abend abliefern, lässt schlagartig jede November-Depression, jeden trüben Gedanken verschwinden. Das barocke Feuer der Musik leuchtet mit einer Intensität, die das Publikum im nicht ausverkauften Opernhaus Unter den Linden zu wahrhaften Begeisterungsstürmen hinreißt.

Wo beginnen bei dem reichhaltigen Bukett virtuoser Stimmen, starker künstlerischer Persönlichkeiten? Der erste Teil ist weitgehend Kompositionen Rameaus vorbehalten. Lenneke Ruiten, Mathias Vidal, Emmanuelle de Negri, Victor Sicard, Tassis Christoyannis, Laurent Naouri und Sandrine Piau strafen das Vorurteil Lügen, Rameaus Musik wäre trocken. Die Arien und Ensembles aus „Dardanus“, „Les Indes galantes“ und „Hippolyte et Aricie“ bilden einen passenden Einstieg in den an Höhepunkten reichen Abend. Als Gast am Dirigentenpult beschließt Sir Simon Rattle den ersten Teil mit der Orchestersuite aus „Les Boreades“. „Jean-Philippe Rameau, André Campra, Henry Purcell, Georg Friedrich Händel, Antonio Vivaldi, Jubiläumskonzert Le Concert d’Astrée,
Staatsoper unter den Linden, 8. November 2021“
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„Idoménée“ bei den Barocktagen Unter den Linden: Die andere Seite der Geschichte

Die in Berlin im Rahmen der Barocktage gezeigte Produktion hatte bereits im September ihre Premiere an der Oper von Lille. Die Dirigentin Emmanuelle Haïm hat das von ihr begründete Ensemble Le Concert d’Astrée nach Berlin mitgebracht, das auf historischen Instrumenten dem Klangbild der Entstehungszeit wohl sehr nahe kommt.

Idoménée  Tassis Christoyannis
Idamante   Samuel Boden
Ilione          Chiara Skerath
Électre        Hélène Carpentier
Le Concert d’Astrée
Emmanuelle Haïm   Dirigentin
Àlex Ollé / La Fura dels Baus  Regie

Fotos: Idoménée © Bernd Uhlig

Staatsoper Unter den Linden Berlin, Premiere am 5. November 2021

von Peter Sommeregger

Idomeneus, in der griechischen Mythologie König von Kreta, ist als Titelheld von Mozarts Oper weithin bekannt. Tatsächlich gab es aber schon längere Zeit vor Mozart eine Oper, deren Held er ist.

Der französische Komponist André Campra führte seine Vertonung bereits 1712 in Paris auf, knapp siebzig Jahre bevor Mozarts „Idomeneo“ erstmals in München erklang. Dieser große zeitliche Unterschied erklärt sowohl die stilistischen als auch die dramaturgischen Unterschiede der beiden Opern. Erfüllt sich bei Campra das grausame Schicksal des Kreterkönigs, so lässt Mozart seine Version mit dem damals üblichen „lieto fine“, also einem glücklichen Ausgang enden.

Stilistisch folgt Campra der französischen Tradition der Tragédie en musique, die durch ausgreifende Rezitative und eine eigene szenische wie musikalische Dramaturgie geprägt ist. „André Campra, Idoménée,
Barocktage, Staatsoper Unter den Linden, 5. November 2021“
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Mehr Sprudel als Sekt: „Così fan tutte“ Unter den Linden in Berlin

Tolle Stimmen, ermüdende Klein-Klein-Inszenierung.

Den stärksten Eindruck hinterlässt Federica Lombardi als Fiordiligi. Ihre beiden virtuosen Arien werden zum umjubelten Höhepunkt des Abends. Ihr Sopran ist in allen Lagen souverän geführt, hat Fülle, Substanz und ein breites Farbenspektrum.

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, Premiere am 3. Oktober 2021

Wolfgang Amadeus Mozart
Così fan tutte

Fiordiligi   Federica Lombardi
Dorabella   Marina Viotti
Guglielmo   Gyula Orendt
Ferrando   Paolo Fanale
Despina   Barbara Frittoli
Don Alfonso   Lucio Gallo
Dirigent   Daniel Barenboim
Regie   Vincent Huguet

Lucio Gallo (Don Alfonso), Federica Lombardi (Fiordiligi), Marina Viotti (Dorabella), Barbara Frittoli (Despina), Gyula Orendt (Guglielmo). Credits: Matthias Baus

von Peter Sommeregger

Die Berliner Staatsoper Unter den Linden hat den französischen Regisseur Vincent Huguet für die Inszenierung aller drei Da-Ponte-Opern Mozarts verpflichtet. Den Anfang sollte „Così fan tutte“ machen, aber der Pandemie wegen wurde „Le nozze di Figaro“ vorgezogen, und in einer wenig befriedigenden Form präsentiert.

Im Programmheft zur „Così“-Premiere legt Huguet seine Ideen über die drei Werke in einem längeren Artikel dar, zu sehen bekommt man aber auf der Bühne erneut eine Demonstration szenischen Leerlaufes und Unvermögens. Huguet gelingt es, in jeder Situation etwas ausgesprochen Unpassendes zu zeigen, selbst wenn man die Grenzen des guten Geschmacks weit fasst. Schon in der ersten Szene scheint man sich in einem Swingerclub zu befinden, im Laufe des bleiern verlaufenden Geschehens schält sich die Erkenntnis heraus, dass hier wohl die 1960er-Jahre abgebildet werden sollen, spätestens herum stehende Designermöbel weisen den Weg dazu. In der Folge wird auch reichlich überflüssige Statisterie in bunten Gewändern, teilweise auch nackt auf die Bühne gebracht, Hasch geraucht und was der ungemein originellen Einfälle mehr sind. Der Regisseur verzettelt sich rettungslos im Klein-Klein, was über drei lange Stunden nur ermüdend wirkt. „Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, Premiere am 3. Oktober 2021“
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Puccini im wilden Westen: „La Fanciulla del West“ in Berlin

Anja Kampe (Minnie) und Ensemble. Foto: © Martin Sigmund

Giacomo Puccini, „La Fanciulla del West“
Staatsoper Unter den Linden Berlin, 16. Juni 2021

MUSIKALISCHE LEITUNG: Antonio Pappano
INSZENIERUNG: Lydia Steier

von Peter Sommeregger

Diese Oper Puccinis, ein relativ spätes Werk, gehört zu den eher selten gespielten Bühnenwerken des Komponisten. Vielleicht liegt es an dem ungewöhnlichen Stoff, der weit von dem üblichen „Boy- meets- Girl“- Klischee entfernt ist, vielleicht auch an der Sprödigkeit der Hauptpartien. Wer etwa die „Bohème“ liebt, wird mit dieser Oper wenig anfangen können. Dabei ist die Minnie eine der interessantesten Frauenfiguren Puccinis, die in ihrer Gebrochenheit schon an die Turandot denken lässt. „Giacomo Puccini, „La Fanciulla del West“,
Staatsoper Unter den Linden Berlin, 16. Juni 2021“
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Spiel mir das Lied von der Liebe

Grigory Shkarupa (Jake Wallace) und Ensemble. Foto: © Martin Sigmund

Puccinis „La fanciulla del West“ in der Berliner Staatsoper

Ein bisschen Wildwest-Romantik darf schon sein: In gelb, orange und braun leuchtet die Prärie, die riesige Leuchtreklame einer Nackttänzerin verspricht das erotische Paradies, neben einem ausgestopften Bison und einer Imbissbude tanzt, sauft und zockt eine Meute aggressiver Männer mit Cowboy-Hüten.

von Kirsten Liese

Die Berliner Staatsoper bringt als erste Premiere, die wieder ein Publikum erleben darf, Puccinis selten gespielte Oper „La fanciulla del West“. Zu erleben ist ein allemal spannender Opernkrimi, an dessen Ende man sich verwundert fragt, warum er noch heute ein Schattendasein in den Spielplänen fristet. Dass er arm ist an lyrischen  Arien, mag eine Erklärung dafür geben, der Reiz aber liegt in einer ungeheuren Dramatik und Klangwelt, die bereits an die eisige „Turandot“ rührt. „Giacomo Puccini, La fanciulla del West,
Staatsoper Unter den Linden Berlin“
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„Le Nozze di Figaro“ Unter den Linden: Erschlagen von der Disco-Kugel

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, Livestream, 1. April 2021
Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro

Foto: Gyula Orendt (Graf Almaviva) und Nadine Sierra (Susanna)
Credits: Matthias Baus

von Peter Sommeregger

Eine Begleiterscheinung der aktuellen Theaterästhetik ist es, dass das Verfalldatum von Inszenierungen immer kürzer wird. Die häufig doch sehr speziellen Interpretationen von Repertoirestücken sind authentisch eigentlich nur von der Premierenbesetzung umzusetzen, die steht in einem Opernbetrieb aber nicht dauerhaft zur Verfügung.

Mit Mozart-Inszenierungen, speziell mit solchen der drei Da Ponte-Opern, hat man Unter den Linden kein Glück. Thomas Langhoff war 1999/2000 mit der Regie aller drei Werke betraut worden, nach einem völlig missglückten Don Giovanni löste man seinen Vertrag für Così fan tutte. Nun wurde erneut ein Regisseur für alle drei Opern verpflichtet, nach diesem neuen Figaro hält sich die Vorfreude auf die nächsten Inszenierungen aber in Grenzen. „Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, Livestream, 1. April 2021“
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Mozart Unter den Linden: Verklingen die edlen Töne, geht das ganze Durcheinander von vorne los

Staatsoper Unter den Linden, 1. April 2021
Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro (Livestream)

Foto: Riccardo Fassi (Figaro) und Nadine Sierra (Susanna)
Credits: Matthias Baus

von Sandra Grohmann

Die Staatsoper Unter den Linden wollte ihre Premiere des „Figaro“ in der Inszenierung von Vincent Huguet eigentlich im Rahmen des Berliner Kultur-Pilotprojektes live feiern – daraus wurde angesichts der dramatisch steigenden Inzidenzen nun leider doch nichts. Aber wir feiern und fiebern trotzdem mit – einmal mehr vor der heimischen Glotze. Ach, das hat sich gelohnt! „Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro,
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„Jenůfa“ Unter den Linden: Entkerntes Beziehungsdrama

Es gelingt eine Aufführung von großer Geschlossenheit und Intensität.

Leoš Janáček, Jenůfa
Staatsoper Unter den Linden, Livestream,
13. Februar 2021

Foto: Camilla Nylund (Jenůfa) und Ladislav Elgr (Števa Buryja).
Credits: Bernd Uhlig (c)

von Peter Sommeregger

Auch diese Premiere der Berliner Staatsoper konnte bedingt durch die Pandemie nur vor leerem Haus als Lifestream stattfinden. Dankbar greift man auf diese Möglichkeit zurück, besser als gar keine Oper ist das Bildschirmerlebnis allemal.

Offenbar hat sich der Regisseur Damiano Michieletto für  das Thema Reduktion als Programm entschieden. Ein Bühnenbild im eigentlichen Sinn gibt es nicht, der Bühnenraum ist durch Milchglaswände begrenzt, auf Sitzbänken und Tischen sind Gegenstände zu sehen, die jeweils einer der handelnden Personen zuzuordnen sind. Bei  der Küsterin sind es sakrale Gegenstände und Kerzen. „Leoš Janáček, Jenůfa
Staatsoper Unter den Linden, Livestream, 13. Februar 2021“
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Der Berliner "Lohengrin" im Stream: Das Volk hört, das Volk sieht, das Volk schaut

Richard Wagner, Lohengrin 
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, Stream bis zum 15. Januar 2021

Premiere am 13. Dezember 2020 | Fotos: Monika Rittershaus
Roberto Alagna (Lohengrin) und Vida Miknevičiūtė (Elsa von Brabant)

von Sandra Grohmann, Berlin

Neuinszenierungen der Wagner’schen Sagenopern können zum Fürchten sein. Werden wir szenisch mit Kitsch oder Kunst konfrontiert, das ist jedes Mal die Frage. Kommt wieder eine Orgie von Wamsen, Rüstungen und Schilden in der blutgetränkten, aber sonst unberührten Natur Germaniens auf uns zu? Wird gar das von Wagner gelegentlich intonierte Hohe Lied des Vorurteils gesungen? Wer denkt noch an die mittelalterlichen Vorbilder dieser Werke, die vor Lebendigkeit und Frechheit nur so strotzen? Man muss aus dem Mittelalter und aus Wagners Opern allerdings keine sexistischen, deutschtümelnden und ästhetisch langweiligen Klischees machen.

Es war daher erfreulicherweise zu erwarten, dass sich Calixto Bieito in der Staatsoper Unter den Linden mit dem „Lohengrin“ nicht auf ritterliche Trampelpfade begeben würde. Diese Erwartung hat sich in atemberaubender Weise erfüllt. Kein „Tatort“ kommt mit diesem Polit-Thriller mit. Es lohnt sich allemal, die Fernbedienung zur Hand zu nehmen und sich von der Aufführung packen zu lassen, die noch bis zum 15. Januar 2021 gestreamt werden kann.

„Richard Wagner, Lohengrin  Staatsoper Unter den Linden, Berlin
Stream bis zum 15. Januar 2021“
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