Viel Schatten, wenig Licht: Armiliato & Co lassen im Wiener „Boccanegra“ einige Wünsche offen

Marco Armiliato (Musikalische Leitung) © SF/Marco Borrelli 

Manchmal wünscht man sich „Regietheater“. Vor allem, wenn bei Verdis „Simon Boccanegra“ nichts wirklich zündet. Marco Armiliatos Dirigat verläuft auf Flatline. Die Oldschool-Inszenierung kommt nicht richtig vom Fleck. Der Gesang haut in Summe auch nicht aus den Socken. Fast symbolisch gehen im Orchester-Graben der Wiener Staatsoper die Lichter vorzeitig aus.

Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra

Wiener Staatsoper, 11. April 2024

von Jürgen Pathy

Man sieht es, doch man glaubt es kaum. Bei Verdis „Simon Boccanegra“ blättert selbst Marco Armiliato in der Partitur. Sonst dirigiert der 57-jährige Italiener eigentlich alles aus dem Kopf. Ob das ein Grund dafür ist, warum nichts wirklich zündet, wäre reine Spekulation. Armiliato erweist sich zwar als „Advokat der Partitur“, irgendwie fehlt aber jegliches Feuer. Kaum Amplituden nach oben oder unten, alles irgendwie monotoner Gleichklang. Im Krankenhaus wäre der Patient damit tot.

„Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra
Wiener Staatsoper, 11. April 2024“
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Wiener Parsifal-Experiment schief gelaufen: Elīna Garanča rettet fast im Alleingang

Elīna Garanča und Daniel Frank © Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Wiener Parsifal-Experiment schief gelaufen: Elīna Garanča rettet fast im Alleingang

Richard Wagner, Parsifal
Wiener Staatsoper, 1. April 2024

Jetzt sprechen wir Mal Tacheles: Alexander Soddys „Parsifal“-Dirigat an der Wiener Staatsoper stimmt mich todunglücklich. Kein Wunder, dass Elīna Garanča während des tosenden Auftrittsapplauses in der zweiten Pause keine Miene verzieht. Dabei ist der Lettin diese Kundry wie auf den Leib geschnitten. In Kirill Serebrennikovs umstrittener Gefängnis-Inszenierung ist sie eine eiskalte Reporterin. Eine der wenigen, die auch genauso zuschlägt.

von Jürgen Pathy

Wenn man bereits bei der Anreise zur Wiener Staatsoper mit der Gänsehaut kämpft, steht Richard Wagner am Spielplan. Das Vorspiel erfüllt noch alle Erwartungen. In Wien hat man es nicht eilig. Alexander Soddy hat die Ruhe, um die Aura des Grals voll zu entfalten. Danach sinkt der Stimmungspegel aber unaufhaltsam nach unten. „Richard Wagner, Parsifal
Wiener Staatsoper, 1. April 2024“
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Drei Frauenstimmen adeln diesen Wiener „Rosenkavalier"

Julia Kleiter als Marschallin © Michael Pöhn

Nachdenklich stimmt es, wenn die Marschallin der Zeit nachweint. Dabei ist die an der Wiener Staatsoper mit Julia Kleiter optisch jung & stimmlich ideal besetzt. Axel Kober am Pult zaubert beim „Rosenkavalier“ von Richard Strauss nicht immer. Das glasklare, von Rührseligkeit befreite Dirigat hat dennoch etwas. Perfektes Handwerk, das dem Staatsopernorchester viele Freiräume verschafft.

Richard Strauss, Der Rosenkavalier 

Musikalische Leitung   Axel Kober
Inszenierung   Otto Schenk
Bühne   Rudolf Heinrich
Kostüme   Erni Kniepert


Wiener Staatsoper,
 30. März 2024

von Jürgen Pathy

„Kaum noch jemand da“. Der Eindruck täuscht. Die hohen Temperaturen in Wien haben dem großgewachsenen Mitarbeiter an der Garderobe viel Arbeit erspart. Die Wiener Staatsoper ist bei frühsommerlichen Temperaturen restlos ausverkauft. Wie die Zahlen an diesem Osterwochenende zustande gekommen sind, interessiert nur am Rande. Mogelpartie oder nicht – dieser Frage muss sich vorerst nur der Ochs des Abends stellen. „Richard Strauss, Der Rosenkavalier
Wiener Staatsoper, 30. März 2024“
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John Osborn stiehlt in Wien allen die Show

John Osborn und Lisette Oropesa © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Es gäbe nur zwei Tenöre, die in der Lage wären, den Arnold in „Guillaume Tell“ zu singen: Juan Diego Flórez und John Osborn, hat mir Mal eine ORF-Kulturlady gesteckt. Letzterer hat das nun eindrucksvoll an der Wiener Staatsoper bewiesen. Nur das Publikum sieht Lisette Oropesa um einen Hauch weiter vorne. Lautstarker Beifall aber für beide.

Gioachino Rossini, Guillaume Tell
Wiener Staatsoper, 13. März 2024

von Jürgen Pathy

„Das ist net meine Oper, da ist keine Spannung drin – aber die Inszenierung ist schön“. Die Regietheater-Gegner haben mit der Inszenierung von David Pountney sicherlich ihre Freude. Klassisch, eine Menge Trachten, mit einigen genialen Einfällen aufgepeppt und modernisiert. Hätte der Herr mit seinem Urteil bis nach der ersten Pause gewartet, wäre sein Resümee auch musikalisch weniger vernichtend ausgefallen. Rossinis letztes Meisterwerk auf den Punkt gebracht: Wenn Mozart bei der Partitur ansetzt und den Füller an Beethoven weiterreicht.

„Gioachino Rossini, Guillaume Tell,
Wiener Staatsoper, 13. März 2024“
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Animal Farm: Was uns die Tiere erzählen...

Fotos © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Menschen sind die Teufel der Erde und die Tiere die geplagten Seelen (Arthur Schopenhauer)

Nach kurzer Pause der Betroffenheit zeigte sich das Publikum begeistert. Den stärksten Applaus erhielten, völlig berechtigt, Dirigent und Orchester, und auch Chor, Solistinnen und Solisten wurden mit herzlichem Beifall bedacht. Einen Besuch lohnt die Produktion auf jeden Fall!

Alexander Raskatov
“Animal Farm”

Text: Ian Burton & Alexander Raskatov

Musikalische Leitung: Alexander Soddy
Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Kostüme: Klaus Bruns
Licht: Alessandro Carletti
Choreographie: Thomas Wilhelm
Choreinstudierung: Martin Schebesta & Davorin Mori

Orchester der Wiener Staatsoper
Projektchor Animal Farm & Chorakademie der Wiener Staatsoper
Jugendchor der Opernschule  der Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper, 2. März 2024

von Dr. Rudi Frühwirth

Was uns die Tiere erzählen… Nein, ich schreibe nicht über den 3. Satz von Mahlers Dritter Symphonie, sondern über die faszinierende Oper “Animal Farm” von Alexander Raskatov, die jetzt in der Staatsoper zu sehen und hören ist. Gemeinsam mit Ian Burton ist Raskatov auch für das Libretto verantwortlich. Die Vorlage ist natürlich George Orwells gleichnamige Fabel, Parabel, Dystopie, wie immer man sie nennen mag.

Zu Beginn erzählen uns die Tiere von der Knechtschaft und Unterdrückung, dann von der Revolution, und schließlich vom Umschlagen der zunächst befreienden Revolution in eine anders geartete, raffiniertere, aber nicht weniger bedrückende Unterwerfung unter eine neue Klasse von Mächtigen. „Alexander Raskatov, Animal Farm
Wiener Staatsoper, 2. März 2024“
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Politisch hochbrisant, musikalisch austauschbar: Auf dieser „Animal Farm" leiden nicht nur die Tiere

Fotos © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Begeisterung hält sich in Grenzen. George Orwells „Animal Farm“ ist zwar hochaktuell – Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Wenn Oper allerdings zu sehr auf Intellekt setzt, leidet die musikalische Substanz. Ein paar Fetzen vom Tristan-Akkord, der Salome und Schostakowitsch reißen das Ruder nicht herum. Höflicher Applaus für den russischen Komponisten Alexander Raskatov nach der Premiere an der Wiener Staatsoper.

Animal Farm

Musik     Alexander Raskatov
Text        Ian Burton & Alexander Raskatov  nach George Orwell
Oper in zwei Akten, neun Szenen & einem Epilog

Wiener Staatsoper, 28. Februar 2024 Premiere  

von Jürgen Pathy

Erster Gedanke, nachdem der Vorhang das Bühnenbild lüftet: Da kriegt der Wolfgang Bankl endlich eine Hauptrolle, dann versteckt man sein Gesicht hinter einer Maske – und was für einer: einem Saukopf. Doch der landet schnell wieder in der Requisite. Das Sujet von George Orwells Fabel ist bekannt: Nachdem die Tiere sich von der ausbeuterischen Führung der Menschen befreien, übernehmen die Schweine die Macht auf einem Bauernhof. Alles unter der anfänglichen Prämisse: Alle Tiere sind gleich. Doch rasch vollzieht sich der Wandel. Es dauert nicht lange, bis die neue Führung ebenso Blut geleckt hat. Und am Ende steht der Zusatz: Aber manche Tiere sind gleicher.

„Alexander Raskatov, Animal Farm
Wiener Staatsoper, 28. Februar 2024 Premiere“
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Inszenierung pfui, Dirigent hui – Philippe Jordan lässt Tatjana Gürbacas „Il trittico“ Theater in den Hintergrund rücken

Il trittico © Michael Pöhn

666 – the number of the beast. An Philippe Jordan liegt es nicht, dass nur meine Garderobennummer etwas Diabolisches vermittelt. Der Musikdirektor der Wiener Staatsoper holt aus Puccinis „Il trittico“ alles nur Erdenkliche heraus. Viel gibt die Partitur des zusammengestückelten „Dreiakters“ aber nicht her. An Tatjana Gürbacas Inszenierung erfreuen sich auch nur die Freunde der Blasphemie.

Il trittico
Giacomo Puccini

Wiener Staatsoper,
24. Februar 2024
von Jürgen Pathy
Die Premierenserie ist noch gar nicht so lange her. Mit Tatjana Gürbacas Neuproduktion von Puccinis „Il trittico“ trifft man vermutlich gerade den Nerv der Zeit. Biederes Holzbühnenbild, eine gewisse Farbgebung der Kostüme, im Hintergrund ein Schriftzug aus Leuchtröhren, um das Ganze aufzupeppen – voilà, fertig ist die Oper 4.0. Mich holt man damit nur schwer aus der Couch, das Haus ist aber voll.

„Giacomo Puccini, Il trittico
Wiener Staatsoper, 24. Februar 2024“
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Vor einer Weltkarriere: Eine junge Russin singt den Rest der Sänger in Wien an die Wand

Maria Motolygina (Madame Lidoine), links, und Julie Boulianne (Mère Marie) © Wiener Staatsoper, M. Pöhn

von Andreas Schmidt

„Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc in DEM Opernhaus Europas, der Wiener Staatsoper, dem Haus am Ring. Es ist Sonntag, 18 Uhr, der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt in der 2-Millionen-Stadt an der Donau… undenkbar bei so einem „schweren“ Stoff etwa in der 2-Millionen-Stadt Hamburg, wo zu solchen Opern im Repertoire maximal 50 Prozent Zuschauer kommen.

Die Musik an diesem Abend packt einen, das französische Genie Poulenc hat das Werk 1956 beendet, es ist tonal, wenig melodisch, selten zärtlich und oft wuchtig. Allerdings scheint Bertrand de Billy nicht in Bestform zu sein – sein Dirigat ist oft zu lasch und holt nicht alles aus diesem Werk heraus.

„Francis Poulenc, Dialogues des Carmélites
Wiener Staatsoper, 28. Januar 2024 / 4. Februar 2024“
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He is back – Piotr Beczała in seiner Paraderolle an der Wiener Staatsoper

Elena Stikhina (Floria Tosca). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Tosca
Musik   Giacomo Puccini
Text   Giuseppe Giacosa & Luigi Illica
Melodramma in drei Akten

Wiener Staatsoper, 2. Februar 2024

Das Korinthenkacken verkneife ich mir. Mit 57 Jahren steckt KS Piotr Beczała noch immer den Großteil seiner Kollegen als Cavaradossi in die Westentasche. „Ein zweites Mal?“, deutet Dirigent Bertrand de Billy mit zwei Fingern fragend in Richtung Bühne. Das Publikum fordert das „E lucevan le stelle“ lautstark nochmals. Piotr Beczała liefert. Die Paradearie des Cavaradossi ist ein Höhepunkt in Puccinis „Tosca“.

von Jürgen Pathy

Beczała hats natürlich nicht leicht. Wer sein Rollen-Debüt von 2019 in den Ohren hat, wird wohl nie wieder so wirklich glücklich werden. Das war sicherlich mit das Feinste, was man hier an der Wiener Staatsoper in den letzten Jahren erleben durfte. An das wird nie wieder jemand herankommen – auch Beczała nicht. Die Zeit tickt gegen ihn.

„Giacomo Puccini, Tosca
Wiener Staatsoper, 2. Februar 2024“
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"Das verfluchte Geisterschiff" – Es war eine ganz tolle Bearbeitung von Wagners „Der fliegende Holländer“ für Kinder

Alle Bilder aus dem Programmheft. Grafische Gestaltung und Illustration: Irene Neubert  Fotos: Michael Pöhn

DAS VERFLUCHTE GEISTERSCHIFF
Richard Wagner, Gerald Resch

Musikalische Leitung  MARKUS HENN, ERIC MELEAR
Inszenierung  NINA BLUM
Bühne  MARCUS GANSER
Kostüme  AGNES HAMVAS
Choregrafie  KATHLEEN BAUER
BÜHNENORCHESTER DER WIENER STAATSOPER

WANDEROPER durch das Gebäude der WIENER STAATSOPER
Text MARGIT MEZGOLICH/RICHARD WAGNER
Konzept NINA BLUM

Wiener Staatsoper, 22. Januar 2024

von Lothar Schweitzer

Als ich mit meinem Enkel Aeneas nach der Vorstellung ins Freie trat, fragte ich ihn nach seinen Eindrücken im Vergleich zu unserem gemeinsamen Besuch des Salzburger Marionettentheaters mit „Hänsel und Gretel“ und er antwortete mir von selbst, dass das heute ja keine Oper war. Es war eine ganz tolle Bearbeitung von Wagners „Der fliegende Holländer“ für Kinder.

Mein Enkel war an diesem Vormittag mit zehn Jahren und als ein Schüler der vierten Volksschulklasse sichtlich der Älteste des jungen Publikums. Das Dargebotene sollte wohl mit seinem großen Anteil an gesprochenem Text und viel Pantomime auch keine Werbung für die Kunstrichtung Oper sein, eher für das Musical, welches mit seinem spezifischen Verhältnis zwischen gesprochenem Wort und Gesang in unsrer Zeit größere Publikumsschichten anspricht.

„Das verfluchte Geisterschiff, Richard Wagner, Gerald Resch
Wiener Staatsoper, 22. Januar 2024“
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