Liparit Avetisyan begeistert mit berührendem Lyrismus und vokalem Schmelz

CD-Besprechung:  Beloved Arias, Liparit Avetisyan  klassik-begeistert.de, 20. Juni 2025

 

CD-Besprechung:

Beloved Arias
Liparit Avetisyan, Tenor

Kaunas City Symphony Orchestra
Constantine Orbelian, musikalische Leitung

Delos, DE3615

von Dirk Schauß

Die Stimme eines lyrischen Tenors ist ein Versprechen: auf Eleganz, Innigkeit, Noblesse. Wenn sich dazu noch ein Timbre gesellt, das Herz und Schmelz verströmt, ein Gefühl für musikalische Linienführung, für Sprache und Ausdruck, dann darf man von einem Sänger sprechen, der nicht nur Technik, sondern künstlerische Vision besitzt. Liparit Avetisyan, der armenische Tenor, erfüllt all das – und mehr.

In seiner jüngsten Einspielung mit dem Kaunas City Symphony Orchestra unter der Leitung von Constantine Orbelian präsentiert er sich als gereifter Künstler mit erstaunlichem Repertoirebewusstsein.

Die Auswahl der Arien lässt keinen Zweifel an seinem Selbstverständnis: Avetisyan ist ein moderner lyrischer Tenor, der sich souverän in den großen Partien des Repertoires bewegt – Nemorino, Edgardo, Alfredo, Herzog von Mantua, Rodolfo, Faust, Des Grieux, Lenski, Vaudémont. Doch hier geht es nicht bloß um das Aneinanderreihen berühmter Nummern, sondern um das Zeichnen charakterlicher und emotionaler Konturen.

Von der ersten Phrase an offenbart sich seine große Stärke: ein natürlicher, geschmeidiger Stimmfluss, verbunden mit einer bemerkenswerten Legatokultur. Avetisyans Tenor strömt unverstellt, mit warmem Kern und jener silbrigen Leuchtkraft, die gerade im italienischen Fach so gefragt ist.

Besonders in den kantablen Passagen zeigt sich seine Meisterschaft: „La donna è mobile“ wird nicht bloß gesungen, sondern fein moduliert, mit einem Augenzwinkern und genau jenem Maß an Leichtfüßigkeit, das diese Arie erfordert, ohne je in Beliebigkeit zu kippen. In „Che gelida manina“ wiederum lässt er den Rodolfo in poetischer Zartheit erstehen – da stimmt jede Nuance, jeder Atembogen, jede koloristische Schattierung. Alle Höhenflüge meistert er mit Leichtigkeit.

Constantine Orbelian erweist sich dabei als verlässlicher, stilbewusster Begleiter. Das Kaunas City Symphony Orchestra agiert transparent, zurückhaltend, aber keineswegs farblos. Man spürt, dass hier ein Dialog auf Augenhöhe entsteht: Die Klangbalance ist fein abgestimmt, der Orchesterklang bleibt stets unter der Stimme, doch unterstützt mit kluger Phrasierung und dramatischer Sensibilität.

Besonders auffällig ist die Natürlichkeit des Gesamtklangs – nichts wirkt technisch überproduziert, kein künstlicher Hall trübt das Erlebnis. Die Aufnahme klingt, als säße man in einem gut akustischen Saal, in der dritten oder vierten Reihe: präsent, aber nicht aufdringlich.

Avetisyans Darstellungskunst reicht weit über bloßes Schönsingen hinaus. Auch der französische Stil liegt ihm – „Quel trouble inconnu“ aus „Faust“ singt er mit einer Mischung aus Verinnerlichung und Passion, die aufhorchen lässt, dazu mit einer absolut sicheren, unforcierten Höhe. Dass Avetisyan nicht nur auf der Opernbühne, sondern auch auf dem Konzertpodium zu Hause ist, spürt man in der Sorgfalt seiner musikalischen Gestaltung. Nichts wird dem Zufall überlassen, jede Phrase ist durchdacht, aber nie verkopft.

Dass Liparit Avetisyan eine internationale Karriere auf höchsten Ebenen macht – Engagements in Covent Garden, der Wiener Staatsoper, an der Opéra de Paris und bei den Berliner Philharmonikern –, verwundert angesichts dieser Qualitäten kaum. Diese Aufnahme dokumentiert nicht nur sein gegenwärtiges künstlerisches Niveau, sondern bietet auch einen Ausblick: Man möchte diesen Tenor in Zukunft in Rollen hören, die sein lyrisches Fundament mit dramatischer Ausweitung fordern – Des Grieux in „Manon“ war da sicherlich nur ein Anfang.

Diese CD ist weit mehr als ein Schaufenster eines aufstrebenden Sängers. Sie ist das Porträt eines Künstlers, der auf dem besten Weg ist, sich als einer der prägenden lyrischen Tenöre seiner Generation zu etablieren.

Liparit Avetisyan singt mit Seele, Stil und Substanz – und Constantine Orbelian sorgt dafür, dass dieses musikalische Herz in einem feinen, transparenten Klangrahmen zur Geltung kommt.

Wer wissen will, wie ein junger Tenor mit Weltklassepotenzial klingt, der greife zu dieser Aufnahme – und lasse sich verzaubern.

Dirk Schauß, 20. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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