Turandot entfesselt die Arena – Zeffirellis opulenter Bilderrausch als Gesamtkunstwerk

CD/Blu-ray-Besprechung: Giacomo Puccini, Turandot  klassik-begeistert.de, 7. Juni 2025

Blu-ray Besprechung:

Diese „Turandot“ aus Verona ist ein Fest für Auge und Ohr. Sie bietet begeisternde vokale Leistungen, orchestrale Farbigkeit, einen spektakulären szenischen Rahmen und – vielleicht das Wichtigste – ein Publikum, das sich restlos begeistern lässt. Diese Aufnahme fängt einen jener seltenen Abende ein, an denen Kunst, Können und Atmosphäre zu einem erinnerungswürdigen Abend verschmelzen.

Giacomo Puccini
Turandot
Aufführung Arena di Verona 2022

C-Major, 769704

von Dirk Schauß

Wenn sich in einer lauen Sommernacht das antike Amphitheater der Arena di Verona füllt und das erste Licht auf Francesco Zeffirellis opulent geschichtetes Bühnenbild fällt, dann ist das mehr als ein Opernabend – es ist ein Gesamtkunstwerk.
Die 2022 aufgezeichnete Neuauflage von „Turandot“ bezeugt einmal mehr, warum Zeffirellis Inszenierung zu den glanzvollsten und dauerhaft beliebtesten Produktionen dieses Spielortes zählt. Die nun bei C Major erschienene Blu-ray erlaubt nicht nur ein Eintauchen in das visuelle Fest, sondern dokumentiert auch eine musikalische Wiedergabe auf  hohem Niveau.

Zeffirellis Regie lebt von Gegensätzen. Auf der Bühne begegnen sich Licht und Schatten, Masse und Individuum, ritualisierte Macht und menschliche Regung. Das Volk, in Uniformen von tristem Grau, wirkt in den präzise geführten Bewegungen fast wie ein einziger Körper – choreographisch von Maria Grazia Garofoli mit derart diskreter Raffinesse geleitet, dass nie der Eindruck von Mechanik entsteht. Der Hof hingegen leuchtet: farbenprächtig, warm, überhöht. Mit diesem Hell-Dunkel-Konzept stellt Zeffirelli den inneren Abstand der Figuren zueinander sinnfällig in Szene – Turandot als abweisende Göttin, Calaf als Eindringling in eine fremde Sphäre.

Musikalisch ist der Abend von einer Dichte, wie man sie in Freiluftproduktionen selten erlebt. Marco Armiliato am Pult hält das große Ganze mit souveräner Übersicht zusammen, lotet dynamische Extreme aus, ohne je die Kontrolle zu verlieren. Das Orchestra of the Arena di Verona zeigt sich in Hochform. Was das Orchester an Farbenreichtum, Plastizität und rhythmischer Finesse bietet, verdient höchste Anerkennung – allen voran die Blechbläser, deren Glanz und Präzision der Musik jenes heroische Strahlen verleihen, das Puccinis Partitur so unwiderstehlich macht. Der Chor wiederum ist nicht nur klanglich ein Ereignis: homogen, kraftvoll, perfekt geführt. Er trägt viele der stärksten Momente des Abends – wie eine Welle rollt er durch die Szenen, formt die Massenszenen zur Ausdrucksschicht.

In dieser prachtvollen Szenerie tritt Anna Netrebko als Titelfigur mit einer Intensität auf, die fesselt. Ihre Turandot ist keine Eisprinzessin von der Stange, sondern eine vielschichtige Frau zwischen Selbstschutz und Sehnsucht. Netrebko singt mit souveräner Technik, ihren Pianissimi wohnt eine Zartheit inne, die aufhorchen lässt. Ihre Höhen sind klar, mühelos und durchdringend. Dass ihre Stimme nicht dem hochdramatischen Fach im engeren Sinne zuzurechnen ist, gerät zur Stärke: Ihre Interpretation lebt von Nuancen, nicht von Wucht.

Yusif Eyvazov als Calaf wirkt stimmlich überlegen, wenn es um Ausdauer und Strahlkraft geht – insbesondere in der exponierten Höhe. Doch szenisch bleibt sein Spiel allzu hölzern, seine Bühnenpräsenz vermag mit Netrebkos charismatischer Erscheinung nicht mitzuhalten. Auch das Timbre – unschön, eher herb – lässt im direkten Vergleich viele Wünsche offen.

Große Überraschung des Abends ist Maria Teresa Leva als Liù. Ihr Sopran leuchtet mit gläserner Reinheit, ihre lyrische Intensität verleiht der Figur jenes menschliche Leuchten, das im Kosmos dieser Oper so dringend gebraucht wird. Besonders ihre Pianokultur – schwebend, fast körperlos – ist von ergreifender Schönheit.

Ferruccio Furlanetto als Timur überzeugt mit alterslos sonorem Bass, dessen Würde auch nach Jahrzehnten auf der Bühne ungebrochen ist. In den kleineren Rollen glänzen Carlo Bosi (Altoum), Gëzim Myshketa, Matteo Mezzaro und Riccardo Rados (Ping, Pong, Pang) sowie Youngjun Park (Mandarin) als geschlossenes, klangsicheres Ensemble.

Die Bildregie der Blu-ray fängt die Atmosphäre der Arena gekonnt ein. Kamerafahrten durch das Rund, Großaufnahmen zur rechten Zeit, ein unaufdringlicher Schnitt und satte Farben lassen den Zuschauer in das Bühnengeschehen eintauchen. Auch der Ton überzeugt mit räumlicher Tiefe, ausgeglichener Abmischung und einer klanglichen Präsenz, die selbst leise Nuancen hörbar macht – kein selbstverständliches Qualitätsmerkmal bei Open-Air-Aufnahmen.

Im Vergleich zu früheren „Turandot“-Verfilmungen setzt die Arena-Produktion auf pralle Sinnlichkeit. Hier wird Oper zelebriert, nicht dekonstruiert. Der Wagemut liegt nicht im Brechen der Konvention, sondern in der kompromisslosen Hingabe an das große, bildgewaltige Gefühl.

Diese „Turandot“ aus Verona ist ein Fest für Auge und Ohr. Sie bietet begeisternde vokale Leistungen, orchestrale Farbigkeit, einen spektakulären szenischen Rahmen und – vielleicht das Wichtigste – ein Publikum, das sich restlos begeistern lässt. Diese Aufnahme fängt einen jener seltenen Abende ein, an denen Kunst, Können und Atmosphäre zu einem erinnerungswürdigen Abend verschmelzen.

Dirk Schauß, 06. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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