CD-Rezension: Bruckner, Sinfonie Nr. 8 c-Moll (WAB 108/Edition Haas)
Sony Classical 19439786582
Christian Thielemann, Dirigent
Wiener Philharmoniker
Foto: Christian Thielemann © Matthias Creutziger
von Johannes Karl Fischer
Eine der besten Bruckner-Aufnahmen aller Zeiten. Mit Wiener Hörnern und Ziegenfellpauken. Christian Thielemann lässt sich von dem Zeitgeist der rasanten Tempi nicht beeindrucken und holt aus den Wiener Philharmonikern einfach einen erstklassigen Bruckner-Klang raus. Angeblich soll das der Anfang einer Gesamteinspielung aller Bruckner-Sinfonien sein. Die einzige Enttäuschung ist, dass der Zyklus erst 2024 vervollständigt werden soll.
Es gibt momentan drei Bruckner-Spitzendirigenten: Zubin Mehta, Daniel Barenboim und Christian Thielemann. Dass letzterer jetzt den Bruckner-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern einspielt, ist längst überfällig. Die Dritte, die Siebte, und die Achte hat er zwar schon mit den Berliner Philharmonikern eingespielt. Diese sind aber ausschließlich in der Digital Concert Hall verfügbar, und bis jetzt nicht auf CD veröffentlicht.
Bruckner lebt von Trugschlüssen. Thielemann dirigiert hier jeden einzelnen aus. Gerade im dritten Satz, im langsamen Adagio also, nimmt er sich sehr viel Zeit. Das mag zwar für manch Zuhörende sehr anstrengend sein. Vielleicht sogar für die Musizierenden. Aber es ist genau das, was diese Musik braucht. Und leider zu selten kriegt.
Ein weiteres Highlight ist der zweite Satz, das Scherzo. Kaum jemand holt so eine emotionale Klangfarbe aus dem ersten Bratschen- und Cellisolo raus wie Thielemann. Mehta mit den Berlinern letztes Jahr, das war ja schon Weltklasse. Thielemann mit den Wienern ist noch mal ein Sahnehäubchen besser. Aber: Selbst eine CD-Einspielung von Thielemann mit den Wiener Philharmonikern kann ein Live-Konzert der Berliner Philharmoniker nicht ersetzen.
Zuletzt der Vierte Satz: Auch hier läuft alles wie am Schnürchen. Energetischer könnte der Anfang kaum sein; wie im Galopp lässt er die Streicher unisono spielen. Und dann das Blech: Der Bruckner-Klang mit acht Wiener Hörnern. Besser wird das nicht. Die mit Ziegenpergament bespannten Pauken, die normalerweise eher sanft klingen, peitschen sich hier ordentlich gegen Hörner und Trompeten durch. Und selbst in den letzten Takten, nach fast anderthalb Stunden ununterbrochener Musik, haben die Wiener Philharmoniker noch die Kraft, um nochmal alles aus diesem forte fortissimo rauszuholen. Das beste Orchester der Welt eben.
Einzig dem ersten Satz fehlt etwas die Kraft. Wahrscheinlich hatte Bruckner eine Vorliebe dafür, seine Sinfonien bis zum letzten Akkord hin zu steigern. Dass Thielemann diese Vorliebe teilt, hat er in Bayreuth mit Tristan bereits bewiesen. Trotzdem: Mehta hat die Berliner gleich von Anfang an mit voller Kraft und Leidenschaft spielen lassen.
Nur die Umstände von Thielemanns Aufnahme sind mir nicht ganz klar. Angeblich soll die CD-Einspielung ein Mitschnitt eines Live-Konzerts im Wiener Musikverein im Oktober 2019 sein. Wo ist dann er Applaus? Selbst wenn dieser absichtlich rausgeschnitten wurde: Beim nächsten Mal bitte drin lassen. Live-Aufnahmen sind viel schöner, wenn man alles, was im Konzertsaal zu hören war, auch auf der CD hören kann.
Für diese Aufnahme gilt wie so oft bei Thielemann: Viel besser wird das nicht. Auch die Wiener Philharmoniker leisten hierzu einen maßgeblichen Beitrag. Die restlichen acht Sinfonien können also kaum schnell genug kommen. Gerne mit Applaus!
Johannes Karl Fischer, 24. Dezember 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at