Foto: Thomas Egli (c)
Philharmonie Berlin, Großer Saal, 20. Dezember 2018
Christian Gerhaher, Bariton
Iván Fischer, Dirigent
Berliner Philharmoniker
von Sarah Schnoor
Hugo Wolf, Antonín Dvořák und Robert Schumann. Es soll ein Abend voller Melodien werden, mit wortlosen Legenden, vertonten Gedichten und einer epischen Symphonie von Schubert, der stets vom Lied her dachte.
Ungefähr 60 Musiker (davon 8 Frauen) der Berliner Philharmoniker beginnen unter der Leitung von Iván Fischer mit den Legenden von Dvořák. Luftig, beschwingt klingt die Nr. 6 und auch die 10. fließt große Bilder erzeugend dahin. Genau die richtige Menge an epischer Leichtigkeit und ein guter Einstieg für dieses Konzert. Schließlich kommt nun der viel umjubelte Bariton Christian Gerhaher auf die Bühne und interpretiert Mörike- und Goethe-Vertonungen von Hugo Wolf. Die Lieder sind direkt ansprechend. Ausdrucksstark sowohl im Orchester als auch im Gesang. Die projizierten Texte braucht man bei Gerhahers nahezu perfekter Verständlichkeit gar nicht. Die sonst so innige Stimme bricht besonders am Ende des „Harfespielers“ in Auflehnung gegen die Mächtigen ungewohnt stark aus: „Ihr lasst den Armen schuldig werden“ singt er und wenn man von dem herrlichen Orchestervorspiel zum dritten Teil noch keine Gänsehaut hatte, dann jetzt.
Wolf gestaltete seine Lieder sehr lautmalerisch und so kann das Orchester besonders in den Streichern bei „Der Feuerleiter“ farbenfroh aufdrehen. Generell ist das Übergewicht des Orchesters etwas zu spüren, aber Gerhaher hält dagegen. Viel lauter als gewohnt, extrovertiert ausbrechend und deklamierend stellt er sich dem großen Klang der Berliner. Iván Fischer ist sichtlich glücklich über die Wahl des Interpreten. Auch die Konzertbesucher gehen glücklich in die Pause.
Doch das Blatt wendet sich bereits vorm ersten Ton der fast einstündigen Symphonie Schuberts. Wie schon häufiger ausprobiert, setzt Fischer auf eine Sitzordnung, bei der die Holzbläser vorne sitzen. Das geht leider nur an wenigen (Trio, Scherzo) Stellen auf. Meist ist es eher hinderlich für den direkten Kontakt mit den Streichern und die in der Begleitung sehr hart und laut klingenden Bläser. Aber nun zu der Symphonie. Selten hat mich eine Interpretation so aufgeregt. Manchmal spielt ein Orchester einfach nicht sauber, gut zusammen oder es ist nicht das, was man sich vorstellt. Aber besonders, wenn das Werk einem am Herzen liegt, ist es schwer, sich ganz frei zu machen von Erwartungen. Diese Erwartungen wurden leider überhaupt nicht erfüllt. Und das mit den Berliner Philharmonikern.
Dieses hervorragende Orchester konnte allerdings weniger dafür. Wie ein Mann hinter mir sagte, als der letzte Ton verklungen war: „Das ist eine Beleidigung für die Musik!“ Vielleicht ist das etwas hart, aber auch ich war die ganze Zeit sauer, enttäuscht, wäre am liebsten gegangen. So sehr kann Musik einen mitnehmen oder in diesem Fall die Interpretation von Musik einem den Weg zu dieser so geliebten versperren. Schuberts große C-Dur Symphonie ist ein Werk „himmlischer Länge“, wie Schumann nach seiner Entdeckung im Nachlass Schuberts sagte und Mendelssohn sah dies wohl genauso, schließlich führte das Stück, in einer (aufgrund der Schwierigkeit des Stückes) gekürzten Version in Leipzig zum ersten mal auf.
In der Einführung wurde noch so schön erklärt, dass Schubert im Gegensatz zu Beethoven seine Musik nicht auseinandernimmt, kein König der mit sich kämpfenden Durchführungen ist, sondern wandert. Er entwickelt vom Lied herkommend seine Symphonien, die schöne Melodien durch die Stimmen reichen. Eine Wiener Fröhlichkeit, die den danebenliegenden Abgrund immer mitdenkt, eine Melancholie und trotzdem Beschwingtheit klingt in den Sätzen der hier als 8. gezählten Symphonie Schuberts.
Von dieser Beschwingtheit war wenig zu merken. Hart und schroff lässt Iván Fischer die Berliner Philharmoniker klingen. Die typischen punktierten Rhythmen Schuberts klingen in den Streichern oft brutal und durch stetige Betonung der Eins kommt kaum eine Phrase zustande. Es sind aneinandergereihte harte Rhythmen, die so wenig mit dem Romantisch-Lyrischen zu tun haben, welches Schubert seinen dramatischen Passagen entgegenstellt. Besonders der sonst so ergreifende zweite Satz, der voller Spannungen ist, wirkt hier leer, einfach hart und ohne das totentänzerische Sich-Im-Kreis-Drehen.
Das irrsinnig schnelle Tempo des vierten Satzes funktionierte bei Harnoncourt, bei dem Fischer auch studierte, mit den Berliner Philharmonikern, aber heute ist es ein gehetztes, zerpflücktes Gewebe ohne Spannungsbogen. Noch lange klingt die Aufregung in mir nach. Der Mann hinter mir verließ nach einem kurzen Gespräch mit mir sofort den Saal. Verständlich. Musik ist stark und bei vielen mit dem Innersten verbunden, mit einem selbst. Tosenden Applaus gab es nach dem für die Musiker so anspruchsvollen Werk trotzdem. Und so ging das Publikum an diesem Abend mit den verschiedensten Eindrücken und Gefühlen nach Hause. Auch das ist Musik und das Wahrnehmen von Musik: subjektiv.
Antonín Dvořák Legenden für Orchester op. 59: Nr. 6 Allegro con mot, Nr. 10 Andante
Hugo Wolf. Gedichte von Goethe: Nr. 1 Harfenspieler I, II + III, Nr. 11 Der Rattenfänger, Nr. 29 Anakreons Grab
Gedichte von Mörike: Nr. 24 In der Frühe, Nr. 44 Der Feuerreiter, Nr. 46 Gesang Weylas
Franz Schubert. Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944
Sarah Schnoor, 25. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de