Christoph Willibald Gluck
Orfeo ed Euridice
Le feste d’Apollo – atto d’Orfeo
Azione teatrale in sieben Szenen (Fassung Parma 1769)
Libretto von Ranieri de’ Calzabigi
Musikalische Leitung Gianluca Capuano
Choreinstudierung Jacopo Facchini
Regie und Choreografie Christof Loy
Bühne Johannes Leiacker
Kostüme Ursula Renzenbrink
Licht Olaf Winter
Dramaturgie Klaus Bertisch
Il Canto di Orfeo
Les Musiciens du Prince – Monaco
Orfeo Cecilia Bartoli
Euridice Mélissa Petit
Amore Madison Nonoa
Tänzer und Tänzerinnen
Yannick Bosc, Clara Cozzolino, Gorka Culebras, Yuka Eda, Oskar Eon, Haizam Fathy, Mark-Krister Haav, Jarosław Kruczek, Pascu Ortí, Carla Pérez Mora, Sandra Pericou-Habaillou, Guillaume Rabain, Giulia Tornarolli, Nicky van Cleef
Haus für Mozart, Salzburg, 26. Mai 2023
von Frank Heublein
In Haus für Mozart in Salzburg wird an diesem Abend Orfeo ed Euridice von Christoph Willibald Gluck in der Fassung von 1769 auf die Bühne gebracht. Im Unterschied zur ersten Fassung von 1762 strich Gluck das Schlussballett und schrieb die Orpheus Rolle von Alt auf Sopran um. Ein in der Barockzeit vergleichsweise normaler Vorgang. Es war schlicht so, dass ihm in Wien 1762 ein Alt Kastrat und in Parma 1769 ein Sopran Kastrat zur Verfügung stand.
Spürbar wirft Cecilia Bartoli alle Emotionalität in die Rolle des Orfeo. Seine grenzenlose tiefe Liebe zeigt sie mit vollem Körpereinsatz durch schauspielerische Wucht und große Geste. Die Last der Trauer drückt sich in ihrer Stimme aus. Im ersten Akt singt sie Orfeos monotones Trübsal ohne viel Facetten mit viel Druck. Das ist rollenadäquat, doch muss ich mich einen Moment an diese stimmliche Interpretation gewöhnen. Im zweiten Akt mit der Aussicht auf das wiederkehrende Glück lockert sich ihre Stimme, gewinnt an Farbe, in der ich Orfeos Hoffnung verspüre. Im dritten Akt besonders im erneuten Verlust Euridices funktioniert ihre umfassende körperliche Dramatik von Stimme und Spiel für mich am allerbesten an diesem Abend in Orfeos Klage, die Prüfung nicht bestanden zu haben. Trotz schwingt in Bartolis Stimme Orfeos Entscheidung mit, trotzdem mit Euridice zusammenbleiben zu wollen und entsprechend den Weg hinab in die Unterwelt selbst zu beschreiten.
Sopran Mélissa Petit singt die Euridice fordernd. Dominant. Streng. Mit fester energiereicher Stimme. Das Glück, sich lebendig zu fühlen und Orfeo zu entdecken, hält sich vergleichsweise kurz. Dann wird Orfeo rangenommen: warum schaust Du Typ mich nicht an? Dir brauche ich doch nicht folgen, wenn Du schon SO anfängst. Schnippisch kommt sie bei mir an. Der Rolle gewinnt sie für mich einen spannenden ehrlichen für mich nachvollziehbaren Aspekt verletzter Liebe ab. In diesem Part ist sie absolut dominant, Orfeo flüchtet und verkriecht sich vor dieser Frauenpower.
Madison Nonoas Rolle als Amor ist kurz. Ihr gelingt stimmlich der Wandel von freudiger Verkündung, Euridice zurückholen zu dürfen zur bedeutungsschwangeren Prüfung, Euridice in der Unterwelt nicht anblicken zu dürfen. Sie hat einen reinen wohltemperierten Sopran.
Der Chor Il Canto di Orfeo ist ein Trumpf des Abends. In vielen Momenten ist er ein Gegenüber-Part des Orfeo, einmal Trauergemeinde, einmal Furien, die Orfeo besänftigen muss, um in die Unterwelt eintreten zu können. Einen klaren, reinen und differenzierten Ton zeichnet diesen Stimmkörper aus. Feuchtigkeit drückt in meine Augen bei Vieni a’ regni del riposo und Torna, o bella, al tuo consorte. In diesen Augenblicken am Ende des zweiten Aktes führen die erweichten Furien Orfeo und Euridice zueiander. Den bewegendsten Moment dieser Aufführung formt der Chor: treue Liebe überwindet alles. Erhebend, erhaben, zart.
Aus der Stille heraus wird die Tragik des Verlusts im ersten Akt durch manchmal sehr langsame Tempi und Generalpausen vermittelt. Das funktioniert in mir fast immer. Doch zugleich bleibt diese herausgestellte Langsamkeit im ersten Akt eine musikalische Gratwanderung für mich. Meine Emotionen zerfallen dadurch eher als sie konzentriert gespannt werden. Das Orchester Les Musiciens du Prince – Monaco unter Dirigent Gianluca Capuano beweist sich als stets trittsicher. Der zweite und dritte Akt sind abwechslungsreicher. Hier erzeugt Dirigent und Orchester Spannung durch überraschende Tempowechsel. Gefällt mir besser, weil mir in diesen beiden Akten so dichtere Atmosphäre vermittelt wird. Der Klang ist überwiegend zart und fein, die solistischen Instrumentenparts fallen mir auf. Doch auch der musikalische Gegensatz, Kraft und Furor im Beginn des zweiten Aktes reist mich mit.
Das Ende ist der Anfang. Zumindest in dieser Inszenierung. Zu Beginn ganz ohne Musik, ohne Ouvertüre, kommen Chor, Tänzer, Tänzerinnen und Orpheus langsam auf die Bühne. Die Stille muss das Publikum aushalten. In dieser Inszenierung wird Orpheus jedoch nicht von Amor und den anderen Göttern erlöst, obwohl er die Prüfung nicht bestanden hat, Euridice auf dem Weg aus der Unterwelt nicht anzublicken. Dieses Ende Glucks ersetzt das künstlerische Team, das den Abend verantwortet, durch exakt den Anfang der Inszenierung. In aller Stille, die das Publikum dieses Mal besser aushält, kommen erneut Tänzer, Tänzerinnen und der Chor auf die Bühne. Der Unterschied: die tote Euridice liegt nun in der Bühnenmitte. Orpheus entschwindet langsam ins Dunkel, hier folgt er Euridice in den Tod, um mit ihr beisammen zu sein.
Dieses Ende verhaucht im in mir lastenden Pianissimo. Die Liebe Orpheus ist tragisch groß und ehrlich, denn ohne seine Euridice will er nicht leben. Diesen theoretisch großen Moment der bedrückten Stille hätte ich für mich gern ausgedehnt und ausgekostet. Doch beim Publikum als Corpus und Spannungsteil der Aufführung ist die Wirkung auf der Bühne nicht so stark. Schon im Verglühen des letzten Bühnenlichtstrahls werden die Ausführenden beklatscht. Die Stille wird in diesem Moment nur kurz ge- und ertragen. So schrumpft der aus meiner Sicht beste Moment der Inszenierung.
Tänzer und Tänzerinnen spiegeln das Paar Orpheus und Euridice im ersten und dritten Akt vielfach. Eine Idee, die in der sonst über weite Strecken aktionslosen Inszenierung Lebendigkeit verleiht. Inszenatorisch gefällt mir der zweite Akt am besten, denn hier wirbeln die Tänzer als Furien über die Bühne, ergänzen sich harmonisch mit dem Chor. Christof Loys Bühnenkonzept funktioniert für mich nicht sehr gut. Es trägt atmosphärisch wenig zur Verdichtung der musikalischen Emotionalität bei und bleibt für mich ein ziemlich beliebiger Rahmen.
Nur selten springt die Emotionalität des Moments der Aufführung mich umschließend auf mich über. Mein Gefühl ist, dass mehr hätte daraus werden können. Ein schales Gefühl.
Nach der Aufführung im Schlussapplaus bekommt Cecila Bartoli die Berufsbezeichnung Kammersängerin vom österreichischen Staat auf der Bühne verpasst. Cecilia Bartolis Kunstwirken wird von Staatssekretärin Andrea Mayer in der kurzen Laudatio gepriesen. Diese Jubel-Geste kontrastiert die inszenatorische Intension des bedrückenden Orfeo ed Euridice Schlusses unglücklich.
Frank Heublein, 27. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
C. W. Gluck: Orfeo ed Euridice (konzertant), Stadttheater Fürth, 16. September 2021
Meine Lieblingsoper, Teil 3: Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“, klassik-begeistert.de