Foto: Rolando Villazón und Anna Prohaska. © Jörn Kipping
Staatsoper Hamburg, 15. November 2019
Claude Debussy, Pelléas et Mélisande
von Iris Röckrath
Seit der damals noch relativ unbekannte mexikanische Tenor Rolando Villazón mit Anna Netrebko in der Salzburger Traviata im Jahr 2005 auf der roten Couch herumturtelte, neckte, flirtete und alberte, wünsche ich mir, diesen Tenor einmal live erleben zu dürfen. Vierzehn Jahre später geht mein Wunsch endlich in meiner Heimatstadt in Erfüllung.
Rolando Villazón debütiert an der Staatsoper Hamburg als Pelléas in der zeitlosen, stimmungsvollen, intensiven Inszenierung des Regie-Teams Willy Decker (Regie) und Wolfgang Gussmann (Bühnenbilder und Kostüme), dem gleichen Team, das sich auch für die Salzburger Traviata verantwortlich zeichnete.
Debussy soll gesagt haben, im Opernhaus würde zu viel gesungen, daher war er für seine einzige Oper auf der Suche nach einem Libretto, das die Dinge nur halb ausspricht und ihm die musikalische Freiheit lässt. In dem Schauspiel des belgischen Schriftstellers und Literatur-Nobelpreisträgers Maurice Maeterlinck (1862-1949) fand er schließlich die ideale Vorlage für sein „drama lyrique“, dessen Uraufführung im Jahr 1902 zu Tumulten im Publikum führte, da Debussy für die damalige Zeit etwas ganz Neues wagte. Das Werk ist Akt für Akt durchkomponiert. Auf größere Sologesänge verzichtete der Komponist bewusst: „Die Gestalter dieses Dramas wollen natürlich singen – und nicht in einer willkürlichen Ausdrucksweise, die aus überlebten Traditionen stammt. Ich wollte, dass die Handlung nie stillsteht, sondern ununterbrochen weitergeht.“
Die Aufführung Pelléas et Mélisande in der Staatsoper Hamburg beginnt mit einer so mystischen Klangatmosphäre, als stamme sie von einer anderen Welt. Nach genau neun Tönen, die aus dem Orchestergraben (Dirigent: Kent Nagano) erklingen, spürt der Zuhörer, hier geschieht gleich etwas Verheißungsvolles, Rätselhaftes. Impressionistische Klänge voller Poesie durchweben zusammen mit den von eisiger Kälte geprägten, kargen Bühnenbildern das Stück.
Kent Nagano leitet das Philharmonische Staatsorchester mit äußerster Präzision, was besonders in den Streichern zu einem homogenen Klangerlebnis wird. Keinen Moment gleitet die Aufmerksamkeit ab, der ganze Raum beginnt mitzuschwingen. Geheimnisvolle Schleier umhüllen die Zuhörer und umschmiegen wortwörtlich im dritten Akt Pelléas in Form von Mélisandes Haaren, „weich, als kämen sie vom Himmel“.
Die Fragilität der zwischenmenschlichen Beziehungen bekommt durch die zahlreichen Szenenwechsel nach nur kurzen, intensiven Dialogen besonders viel Nachdruck verliehen. Noch lange nach dem Schlussapplaus fühlt sich der Opernbesucher gefangen in der hermetisch abgeriegelten tragischen Welt des Schlosses.
Die Solisten des Abends lassen die Zuhörer tief in die psychologischen fein herausgearbeiteten Charakteristika der Personen eintauchen, gleiten dabei nie ins Überzogene ab, sondern spinnen sorgsam, organisch und logisch die plausible Erzählung fort.
Anna Prohaska verzaubert bei ihrem Rollendebut als Mélisande durch ihre zaghafte, fragile, scheue, immer wieder fragende Erscheinung. Sie wirkt wie die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen, deren Sehnsucht nach der Weite des Meeres, nach dem Himmel und den Sternen, mit jedem Ton spürbarer wird.
Sie spielt und singt hingebungsvoll. Dieses liebliche schweigsame Wesen bleibt voller Rätsel bis zu ihrem Tod. Es bleibt das Gefühl der unantastbaren und unverstandenen Mélisande, umgeben von der Kälte, vor der sie sich doch so fürchtet. Ihre Stimmfarbe passt ideal zu dieser Rolle. Sie klingt warm und klar, ganz ohne Vibrato, sie strahlt in der Höhe, hält sich aber, wie alle anderen Solisten zurück bis zum vierten Akt, in dem das Drama seinen Lauf nimmt.
Endlich wurde Simon Keenlyside wieder einmal an das Haus eingeladen, an dem er 1988 seinen ersten Bühnenerfolg als Conte Almaviva feiern konnte. Die Partie des Golaud gelingt ihm überzeugend sowohl in der Gestaltung als auch stimmlich. Die Golaud-Auftritte des anfangs mitfühlenden, sich verliebenden, später eifersüchtigen, auch brutalen Ehemannes und Vaters, verzweifelt nach begangenem Mord an seinem Halbbruder werden zu einem Krimi-Erlebnis für die Zuschauer.
Diese warme baritonale Stimme ist eine perfekte Besetzung für diese Rolle. Simon Keenlyside führt die Stimme anfangs zurückhaltend, er gewinnt im Laufe des Abends immer mehr an Durchschlagskraft und singt schließlich überzeugend und packend mit dramatischer Inbrunst. Man ist geneigt, Mitleid mit dieser Figur zu haben, was wirklich nicht angebracht ist.
Und dann Rolando Villazón. Ein Pelléas par excellance. Auch ihm gelingt es, den Anfang des Dramas zurückhaltend, erzählerisch, vorsichtig zu beginnen. Pelléas ist immer auch ein bisschen Rolando Villazón. Und das rührt in dieser Partie zu Herzen. Seine Körpersprache unterstreicht jeden Satz den er singt. Er will Mélisande umarmen. Er darf es aber nicht. Man sieht in seiner Körperhaltung in der Bewegung seiner Hände und Finger wie sehr er es möchte, er sich quält, sich ein Näherkommen aber versagt.
Seine Stimme klingt wie von einem Stück samtigem Stoff unterlegt. Warm, weich, im zweiten Teil lässt er mit großen lyrischen Bögen in Klängen baden. Diese Stimme hört man unter Hunderten heraus. Der Wiedererkennungswert ist unglaublich. Wohltuend, dass er keiner dieser „Schmettersänger“ ist, gerade das ist für diese Rolle und für diese Inszenierung aber sicher auch nicht gewollt.
Der Großvater wird wunderbar mitfühlend gesungen von Tigran Martirossian. Er scheint der einzige zu sein, der sich in Mélisande hineindenken kann. Die Stimme klingt gütig, warm und weich.
Die Partie des Knaben Yniold ist besetzt mit Maximilian Leicher, einem Solisten aus dem Tölzer Knabenchor. Dieser junge Mann verdient ein besonders großes Lob. Er hat eine beachtliche Rolle und er füllt sie gesanglich und schauspielerisch so intensiv aus, dass es eine Freude ist, ihm zuzuhören. Der Knabensopran verfügt über eine wunderschöne leuchtende Höhe. Die Szene, in der er von seinem Vater ausgefragt wird, ob er etwas Genaueres wüsste über die Beziehung von Mélisande zu Pelléas, wird durch Maximilian Leicher zu einem besonders tragischen Moment.
Am Ende des Stückes möchte man gar nicht mehr auftauchen aus der verwunschenen Welt. Emotional ist dieser Abend durch die intensiven Begegnungen mit den unterschiedlichen Figuren, die so rätselhaft zurückbleiben, ein Meisterwerk. Viele Fragen bleiben: woher kommt Mélisande, wer ist sie? Golaud konnte sie nicht enträtseln, uns wird es auch nicht gelingen.
Iris Röckrath, 19. November 2019, für
klassik-begeistert.de
Diese Kritik ist eigentlich keine, sondern ein sehr großes Lob an alle Sänger/ Schauspieler dieser Aufführung! Es gebührt Ihnen ein großes, großes Dankeschön!!
Endlich schreibt hier mal jemand die Wahrheit über die Sänger OHNE laufend Kritik zu üben bzw. Dinge aus der Vergangenheit auszutragen!!
Ich bin von dieser Aufführung, von den Sängerdarstellern (hier besonders Rolando Villazón) sowie auch vom Dirigenten Kent Nagano tief beeindruckt!
Insbesondere gilt dies auch an die Verfasserin dieser Kritik Frau Iris Röckrath, ein großes Dankeschön!
Kristina Wolf