Das Klangwunder aus Amsterdam: Das Concertgebouw-Orchester im Wolkenturm Grafenegg

Concertgebouworkest, Tugan Sokhiev, Tabea Zimmermann,  Wolkenturm Grafenegg, 5. September 2019

Foto: Tughan Sokhiev © Mat Hennek

Wolkenturm Grafenegg, 5. September 2019

Tabea Zimmermann, Viola
Concertgebouworkest/Tugan Sokhiev

JOHANNES BRAHMS
Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur op. 56a

BÉLA BARTÓK
Konzert für Viola und Orchester op. posthum (Instrumentierung: Tibor Serly)

PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKI
Symphonie Nr. 1 g-Moll op. 13 «Winterträume»

von Herbert Hiess

Das 1888 gegründete Amsterdamer Orchester ist eines der führenden Ensembles der Welt und nicht umsonst für seinen speziellen Klang berühmt, wovon man sich jetzt wieder in Grafenegg überzeugen konnte.

Der ursprünglich vorgesehene Dirigent Daniele Gatti, der aufgrund von merkwürdigen Anwürfen im Rahmen der „metoo“-Aktion entlassen wurde, ist in diesem Konzert von Tugan Sokhiev ersetzt worden. Der nordossetische Musiker ist hochbegabt und hat schon viele führende Orchester dirigiert. Trotzdem wird er im Vergleich zu vielen „Schaumschlägern“ viel zu wenig beachtet. Bei diesem Konzert konnte er deutlich zeigen, was er kann.

Er dirigierte ohne Taktstock mit einer höchstpräzisen Schlagtechnik. Schon bei den Haydn-Variationen, wo es einige technische Hürden gibt (vor allem die Variation Nummer fünf mit ihren brutalen rhythmischen Verschiebungen). Schon das Brahms-Stück war unter Sokhiev ein orchestrales Erlebnis. Mit allgegenwärtiger Transparenz verfolgten die Musiker unter dem Maestro alle instrumentalen Linien. Grandios bei den Variationen die Holzbläser.

Gemeinsam mit der deutschen Bratschistin wurde das posthume Violakonzert von Béla Bartók gespielt. Das Konzert hat eine interessante wie bewegte Entstehungsgeschichte (https://www.grin.com/document/56746). Es war ein Auftragswerk aus den USA, das Bartók nicht fertigstellen konnte. Er schrieb das Auftragswerk 1945. Sein Sohn Peter fand das Manuskript – das Konzert wurde letztlich 1949 von Tibor Serly fertiggestellt. Trotz der „fremden“ Eingriffe hört man deutlich Bartóks musikalische Sprache, wo die ungarische Folklore nicht zu kurz kommt – was deutlich gegen Ende des Stücks hörbar ist. Toll, dass man einmal dieses Werk erleben konnte; vor allem mit einer so exzellenten Musikerin wie Tabea Zimmermann.

Sie schafft es, aus dem recht unzugänglichen Instrument schönste Klänge zu zaubern. Mit ihrer profunden Technik beweist sie, dass die Viola ihre Existenzberechtigung in der Musik hat. Trotzdem hat die Bratsche meistens eine Begleitfunktion quasi als „Harmoniefüller“ im Orchester. Auch die Sololiteratur ist recht spärlich; das bekannteste Werk ist immer noch „Harold in Italien“ von Hector Berlioz. Als Zugabe ließ Frau Zimmermann noch ein Bratschensolo von György Kurtág erklingen.

Obwohl erst Herbstbeginn ist, ließen die Amsterdamer unter Sokhiev Tschaikowskis „Winterträume“ erklingen und verzauberten damit das Publikum. Einfach begeisterungswürdig, wie der Maestro dem Orchester mit seiner souveränen Leitung die schönsten Klänge entlockte. Unvergesslich das Oboensolo im zweiten Satz, das wirklich darüber nachdenklich macht, ob der so hochgepriesene Jörg Albrecht Mayer tatsächlich der weltbeste Oboist ist. Das Solo bei diesem Konzert war einfach nur denkwürdig.

Auch die anderen Holzbläser und übrigens alle Instrumentengruppen waren unvergleichlich – bis hin zu dem triumphalen Finale, das die Leute von den Sesseln riss. Die obligate Zugabe war die Gavotte aus Prokofievs „Romeo und Julia“ (bzw. als 3. Satz in der „Symphonie Classique“ verwendet), wo Sokhiev und die Musiker mit vielen Rubati brillierten.

Herbert Hiess, 6. September 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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