Foto: © Peter Adamik
Musikverein Wien, Goldener Saal, 22. Mai 2021
Daniel Barenboim, Beethoven Klaviersonaten Nr.5 – Nr. 8
von Jürgen Pathy
Er kann es noch immer. Daniel Barenboim, mittlerweile 78 Jahre alt und vom Hauptberuf eigentlich Dirigent und Friedensvermittler, hat es noch immer drauf – auch als Pianist. Das durften gestern die rund 800 Zuschauer im ehrwürdigen Goldenen Saal des Musikvereins Wien erleben. Am Programm: Beethovens drei Klaviersonaten aus op. 10 und die berühmte Klaviersonate op. 13, besser bekannt als „Pathétique“.
Ausdruck statt Sturm
Natürlich geht da nicht mehr alles so locker von der Hand wie früher. Kein Wunder. Sind die Tage, an denen das Klavier im Mittelpunkt seines Schaffens standen, doch schon länger vorbei. Dennoch merkt man: Daniel Barenboim ist ein Tausendsassa, ein großer Musiker, wie er im Buche steht, und – er kennt seinen Beethoven in- und auswendig.
Immerhin hat der gebürtige Argentinier, der bereits im zarten Alter von sieben Jahren sein erstes öffentliches Konzert gab, Beethoven unzählige Male gespielt. Fünfmal hat er alle 32 Klaviersonaten auf Schallplatte/CD eingespielt. Das erste Mal als Sechszehnjähriger Ende der 1950er Jahre, die letzte Gesamteinspielung stammt aus dem Jahr 2020. Im Musikverein Wien hat er nun einen weiteren Anlauf gestartet. Bereits einen Tag nach Ende des Lockdowns hat er am Donnerstag den Zyklus mit den ersten vier Klaviersonaten gestartet. Am Samstagabend nun mit den Klaviersonaten Nr. 5 bis Nr. 8 fortgesetzt.
Dabei zeigt er, dass ein großer Musiker immer punkten kann. Egal, ob ihm der eine oder andere Ausrutscher unterläuft. Solange der Ausdruck stimmt, ist alles in Ordnung. Ist so und war schon immer so. Was haben die Leute bereits beim großen Alfred Cortot nur gewartet, dass ihm ein Fehler unterläuft. Letztendlich war es egal. Seine Poesie und Grandezza haben ihn dennoch zu einem der größten Pianisten gemacht. Genauso verhält es sich bei Daniel Barenboim.
In den Adagios liegt die Kraft
Wenn der große kleine Mann, der mittlerweile etwas betagt die Bühne betritt und verlässt, das Adagio der Sonate Nr. 5 zelebriert, gerät alles andere in den Hintergrund. Ein Rascheln dort, das Knarren der alten Bänke da, und der Rest der Welt da draußen sowieso – alles vollkommen egal. Das Einzige was zählt, ist der Augenblick. Die Verbindung der Welten. Des Unerklärlichen. Beethoven auf der einen Seite, das Publikum auf der anderen und irgendwo dazwischen Barenboim als Vermittler. Irgendwie schafft er es, die Magie, die so ein Adagio erzeugen kann, aus den Tasten zu locken. Wie er das schafft, trotz der fehlenden Praxis, das wisse er selbst nicht. „Manchmal spiele ich monatelang kein Klavier – aber bevor ich ein Konzert gebe, spiele ich natürlich“, erzählt er im Anschluss an das Konzert vor dem Künstlereingang mit stoischer Ruhe.
Das scheint zu reichen. Denn Barenboim beweist auch, dass er noch immer imstande ist, diese langsamen Sätze zu differenzieren. Während er das Adagio der c-Moll-Sonate Nr. 5, einen der schönsten Sätze, die Beethoven jemals geschrieben hat, mit viel Gewicht und Breite anlegt, gestaltet er ein anderes, weit bekannteres Adagio ganz anders – das der berühmten „Pathétique“. Hier wählt er einen luftigeren, leichteren Zugang, um einen Gegenpol zum schweren Eröffnungssatz zu bilden. Der stürmt und blitzt bei Barenboim zwar nicht mehr ganz so heftig, verfehlt seine Wirkung dennoch nicht.
Genauso wie das Largo der Klaviersonate Nr. 7. Dieser unheimliche Satz in d-Moll, den Barenboim mit einer Generalpause einleitet, wirkt beinahe wie eine Reminiszenz, wie ein Rückblick auf ein langes, nicht immer einfaches Leben. Ein Moment, der unglaublich viel Energie verleiht, gleichzeitig aber auch nachdenklich stimmt und die eigene Vergänglichkeit offenbart. Bleibt nur zu hoffen, dass Daniel Barenboim, dieser einzigartige Musiker, seine Gabe noch lange in den Dienst der Musik stellen kann!
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 23. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Berliner Philharmoniker, Daniel Barenboim, Philharmonie Berlin, 22. Oktober 2020
Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst Musikverein Wien, 18. April 2021
Öffentliche Meisterklasse mit Daniel Barenboim Pierre Boulez Saal, 13. September 2020