Konzert am 11. November 2021 im Musikverein Wien, Großer Saal
Robert Schumann: Symphonie Nr. 1 in B-Dur op. 38 „Frühlingssymphonie“
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 1 in c-moll, op. 68
Konzert am 12. November 2021 im Musikverein Wien, Großer Saal
Robert Schumann: Symphonie Nr. 2 in C-Dur
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 2 in D-Dur
Staatskapelle Berlin
Dirigent: Daniel Barenboim
Foto: Monika Rittershaus
von Herbert Hiess
In Berlin gibt es bei einem der führenden Symphonieorchester so Verhältnisse wie in Wien. Genauso wie beim Staatsopernorchester und den Wiener Philharmonikern rekrutieren sich die Mitglieder der Staatskapelle Berlin aus den Mitgliedern des Orchesters der Staatsoper unter den Linden; eines der besten Opernhäuser Europas – wenn nicht sogar weltweit.
Seit 1992 – also bald seit 30 Jahren – ist der unermüdliche Maestro Daniel Barenboim Chef sowohl der Oper als auch des Orchesters. Und mit diesem äußerst gut medial vernetzten Chefdirigenten und den zahllosen Tonaufnahmen ist dieses Orchester bei Musikfreunden weltweit verbreitet. Die Marke „Barenboim“ zieht halt!
Und dieses Orchester braucht sich keinesfalls zu verstecken. Schon im ersten Konzert haben die Musiker bewiesen, dass sie locker mit der Weltspitze mithalten können. In allen Instrumentengruppen hochwertigst gespielt; angefangen von den phantastischen Streichern, den unglaublich souveränen und hochmusikalischen Holzbläsern (allen voran Flöte und Oboe), das sonore und saubere Blech und nicht zuletzt der hervorragende Paukist.
Barenboim hat mit seiner Grundmusikalität dem Spitzenorchester seinen musikalischen Stempel aufgedrückt. Natürlich gibt es immer wieder Puristen und „Originalklang“, „historisch informiert“-Fetischisten, die über den argentinisch-israelischen Dirigenten pikiert die Nase rümpfen. Mag sein, dass er musikalisch nicht jedem gefällt; doch seine Produktionen und Aufführungen haben immer wieder einen „Touch“ des Besonderen – noch immer unvergessen die „Carmen“ am Tag vor dem Lockdown 2020 (https://klassik-begeistert.de/george-bizet-carmen-staatsoper-unter-den-linden-berlin-10-maerz-2020/).
Und auch diese Europatournee dieser hervorragenden Musiker ist etwas Besonderes. In vier Konzerten werden alle vier Symphonien von Johannes Brahms und Robert Schumann aufgeführt. Bei den ersten beiden Konzerten die ersten Symphonien am ersten Abend und die zweiten Symphonien am zweiten Abend. Immer Schumann voran und dann Brahms.
Barenboim in seiner recht breit angelegten und dennoch flüssigen Gangart kostete voll das Klangvolumen seiner großartigen Musiker aus. Am ersten Abend nach der wunderbar idyllischen „Frühlingssymphonie“ von Robert Schumann eine denkwürdige erste Brahms. Gerade diese Symphonie war immer ein Leibstück sowohl von Herbert von Karajan als auch von Leonard Bernstein. Auch Karl Böhm dirigierte sie sehr oft. Und Barenboim braucht sich da überhaupt nicht zu verstecken.
Im wuchtigen 6/8-Takt zelebrierte Barenboim die mit dem Holzbläserchoral unterlegte Einleitung des ersten Satzes. Im Andante sostenuto konnte man einen selten schönen Oboenklang und das Violinsolo mitfühlen. Und im Finalsatz das wunderschöne Hornsolo, das eigentlich ein Alphorn darstellt. Dieses wurde dann von der unvergesslichen Soloflöte übernommen; mit den Blechbläsern im Hintergrund. Barenboim führte dann die Coda des Finales zu einem fulminanten Finale, das zu Recht bejubelt wurde.
Der zweite Abend stand ganz in „Dur“; mit den jeweils zweiten Symphonien von Robert Schumann (in C-Dur) und der von Johannes Brahms (in D-Dur). Hier haben sich Daniel Barenboim und das Berliner Spitzenorchester selbst übertroffen. Die Musiker schwelgten in schönsten Klängen und zauberten Goldklänge aus ihren Instrumenten hervor. Stellvertretend für alle vor den Vorhang die Soloflötistin Claudia Stein und die Solooboistin Cristina Gómez Godoy. Traumhaft auch die diversen Soli in der Brahms-Symphonie Nummer zwei.
Natürlich werden selbsternannte Puristen und Hüter des Originalklang-Grals die Nase über die Interpretation von Daniel Barenboim rümpfen. Aber er steht zu seiner Spielart mit einem breiten süffigen romantischen Klang. Aber dank seinen kammermusikalischen Ausflügen schaut er immer wieder auf die Transparenz im Orchester. Und da konnte man gerade bei Schumanns Zweiter Stimmen entdecken, die sonst immer wieder untergehen. Er nahm gerade bei dieser Symphonie die Tempi relativ rasch, wobei ihm die Musiker schon auf den kleinsten „Fingerwink“ hin folgten. Sie sind so auf ihn eingeschworen, dass er fast keine Zeichen mehr geben muss. Die Coda vom zweiten Satz (Scherzo) der zweiten Schumann war so rasch, dass der für die Streicher ohnehin mehr als schwierig gesetzte Satz fast unspielbar wurde. Aber nicht für die Berliner; sehr beeindruckend, mit welcher Bravour sie das meisterten.
Letztlich sind heutzutage Christian Thielemann und eben Daniel Barenboim offenbar die letzten Vertreter der deutschen Romantik, denn viele Dirigenten haben sich von der Originalklangmanier richtig einfangen lassen. Letztlichen stehen diese Dirigenten nur als Kopierer von etwas da, das sie niemals erreichen werden. Daniel Barenboim ist vielleicht nicht der „last Romantic“; viele sind es derzeit aber nicht mehr. Deswegen kann man froh sein, diese beiden fabelhaften Konzerte gehört haben zu können.
Herbert Hiess, 13. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Martha Argerich, Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim Philharmonie Berlin, 8. September 2021
Daniel Barenboim, Musikverein Wien, Goldener Saal, 23. Mai 2021
Berliner Philharmoniker, Daniel Barenboim, Philharmonie Berlin, 22. Oktober 2020