Höchste Zeit, sich als Musikliebhaber neu mit der eigenen CD-Sammlung und der Streaming-Playlist auseinanderzusetzen. Dabei begegnen einem nicht nur neue oder alte Lieblinge. Einige der „Klassiker“ kriegt man so oft zu hören, dass sie zu nerven beginnen. Andere haben völlig zu Unrecht den Ruf eines „Meisterwerks“. Es sind natürlich nicht minderwertige Werke, von denen man so übersättigt wird. Diese sarkastische und schonungslos ehrliche Anti-Serie ist jenen Werken gewidmet, die aus Sicht unseres Autors zu viel Beachtung erhalten.
von Daniel Janz
Drei Solisten begleitet von einem Orchesterapparat, die mal gegen-, mal miteinander ihre Fertigkeiten demonstrieren – eine spannende Auseinandersetzung voller Möglichkeiten. So ähnlich dürfte wohl Beethovens Gedankengang gewesen sein, als der Bonner Klassik-Meister sein Konzert für Klavier, Violine und Violoncello in C-Dur (opus 56), kurz „Tripelkonzert“ konzipierte. Was er da ersann, war modern, gewagt, fast schon eine kleine Revolution – mit ernüchterndem Ergebnis.
Es hätte eine gänzlich neue Gattung werden können, die Beethoven da in einem Gedankenblitz parallel zur Komposition seiner bekannten 3. „Eroica“-Sinfonie, der 5. „Schicksals“-Sinfonie und seiner einzigen Oper „Fidelio“ ersann. Einen Solisten oder eine Solistin vor einem Orchester zu positionieren, um höchstes Können auf einem Instrument zu präsentieren, stellt immer eine besondere Erfahrung dar. Warum dies also nicht mit dreien gleichzeitig tun? Man stelle sich nur das Spannungsfeld der Solisten zum Orchester, geschweige denn untereinander vor.
Die Möglichkeiten, die sich aus so einer Konzeption ergeben, erscheinen mannigfaltig. Solcherlei Experimente sind es, die heutzutage einen Teil der freien Besetzungen und auch Verteilung im Raum bei „Neuer Musik“ ausmachen. Es verwundert daher umso mehr, dass nach diesem Beethoven’schen Experiment keine Tendenz unter Komponisten einsetzte, Tripel-, Quadrupel- oder sogar Quintupel-Konzerte zu erstellen. Gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass Trios, Quartette und Quintette in der Kammermusik zu Beethovens Zeit gang und gäbe waren. Da ist es nur ein kleiner Schritt, ihnen ein Orchester zur Seite zu stellen. Der Ansatz war da!
Man muss sich also fragen, warum diese Beethoven’sche Komposition nicht die Auswirkungen hatte, die andere Werke vor ihm erreichen konnten. So sind seine 3. und 5. Sinfonie auch heutzutage noch in aller Munde und zählen zu den nachträglich einflussreichsten Kompositionen aller Zeiten. Seine „Schicksalssinfonie“ dürfte sogar strengen Klassik-Abstinenzlern ein Begriff sein.
Im Gegensatz dazu fristet das „Tripelkonzert“ aber ein trauriges Schattendasein und lässt sich eher als gelegentlich aufgeführtes Kuriosum im Konzertbetrieb finden. Auf der Suche nach den Gründen dafür wird man bereits in der historischen Rezeption fündig. Es spricht beispielsweise Bände, dass nach der Uraufführung 1808 die zweite Aufführung dieses Werks erst 1820 stattfand. Zum Vergleich: Beethovens „Eroica“ wurde nach der Uraufführung in demselben Jahr mindestens weitere 4 Mal innerhalb weniger Monate aufgeführt. Dass Beethovens „Tripel“-Experiment vom Publikum eher eisig empfangen wurde, belegen auch Zeugnisse, wie das von Leon Plantinga, der dem Werk „Undeutlichkeit im Ausdruck“ und eine „schwammige Konstruktion“ bescheinigt.
Ein Blick auf die Musik selbst macht die Ursache für solche Aussagen deutlich. Denn der Vorteil dreier Solisten verkehrt sich schnell in einen Nachteil, wenn man den Solo-Part zu stringent setzt. Bis dato alle Solokonzerte, die ich gehört habe, haben den Punkt, an dem das Orchester schweigt und nur noch das Soloinstrument selbst zu hören ist. Das kann mal geschickter, mal plakativer umgesetzt sein, fällt aber immer auf und stellt zumeist auch einen Knick in der Dramatik dar. Man stelle sich solche Knicke nun für drei Soloinstrumente vor: Da kommt schnell die Befürchtung auf, dass das Orchester mehr schweigt, als spielt.
Tatsächlich bewahrheitet sich diese Befürchtung beim Tripelkonzert. Damit die Solisten im Vordergrund bleiben, ist eine sparsame Instrumentation ab und an zwar notwendig. Wenn diese aber dazu führt, dass das Konzert auch ohne das Orchester hätte stattfinden können, darf man schon fragen, wozu Beethoven all die anderen Musiker benötigt. Für die Fülle im Klang reicht ihm beispielsweise oft nur das Soloklavier, während im Hintergrund ein komplett besetzter Streicherapparat tatenlos herumsitzt – ganz zu schweigen von den 11 Bläsern. Zum eigentlichen Werk dürfen diese nur wenig beitragen und werden so auf Schulklassen-Niveau reduziert. Bei immerhin mindestens 40 weiteren Musikern doch ein Statement in sich!
Dazu kommt ein Umstand, an dem besonders die hochklassischen Solo-Konzerte kranken: Jedes Soloinstrument muss das vom Orchester aufgestellte Hauptthema selbst noch einmal vorstellen, um sich dann in aufwändigen Solokadenzen und Koloraturen als Soloinstrument zu emanzipieren. Das sorgt bei drei Soloinstrumenten dann doch für ein Übermaß an Wiederholungen und unzusammenhängend wirkenden Zwischenspielen – die perfekte Bauanleitung für Überdruss und Langeweile. Von den 37 Minuten, die das Stück lang ist, könnte man mindestens 10 kürzen und würde dadurch ein reicheres Konzerterlebnis erfahren.
Zwar macht die Variation in den Klangfarben der einzelnen Instrumente hier etwas aus. Diese täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Musik sich irgendwann ausreizt. Die Themen selbst erstrahlen fast leitmotivisch in nahezu unverarbeiteter Form, um einen roten Faden zu ermöglichen und verlieren dadurch ihre Aussagekraft. Hier hätten mehr Tonartenspiel und Spannung der Soloinstrumente zueinander einen entscheidenden Unterschied gebracht. Wenn diese sich aber immer nur wie beim „Ja“ und „Amen“ in der Kirche die Parts gegenseitig zuwerfen oder einvernehmlich ihre auf Kunstfertigkeit hochpolierten Koloraturen runterträllern, anstatt in Konflikt zueinander zu treten, kann von Spannung keine Rede sein.
Gleichzeitig lenken die vielen solistischen Spielereien von den Themen so sehr ab, dass Beethoven kaum eine andere Wahl hat, als immer wieder dasselbe aufzugreifen. So stellt sich ein merkwürdig unbestimmtes Gefühlsmischmasch zwischen thematischer Einfallslosigkeit und musikalisch ausladender Willkür ein. Bei mir hinterlässt das deshalb auch immer einen fahlen Beigeschmack zu einer Komposition, die so viel atemberaubender hätte sein können.
Beethovens Tripelkonzert kann man durchaus als einen revolutionären Ansatz bezeichnen. Eigentlich hätte dieses Werk zu einem zeitlosen Favoriten unter den Solokonzerten werden können. Doch als Blaupause für eine neue Gattung Solokonzerte scheitert die Umsetzung an Beethovens technisch eingefahrenen Konventionen. Ihm fehlt die – für Beethoven sonst typische – Freiheit in der Gestaltung der Themen und damit der spannungsreiche Dialog der Solisten untereinander und zum Orchester. Es wirkt eher wie ein Nebeneinander als ein Miteinander. Eine dramaturgische und in der Konsequenz auch emotionale Schwäche, die kaum ein anderes Urteil als das des Zeitgenossen Plantinga zulässt. Dieses Werk reicht daher nur schwerlich über den Status eines Experiments hinaus. Und das ist schade, wenn man bedenkt, was dieser Meister sonst noch so alles vollbracht hat.
Daniel Janz, 16. Juli 2021, für
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Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
Daniels Anti-Klassiker 20: Richard Strauss – Also Sprach Zarathustra (1896)