Daniels vergessene Klassiker Nr 7: Giovanni Sgambati – Sinfonie Nr. 2

Daniels vergessene Klassiker Nr. 7: Giovanni Sgambati – Sinfonie Nr. 2  klassik-begeistert.de, 23. Oktober 2022

Foto: Giovanni Sgambati, Ölgemälde von Raffaele Gagliardi, Rom

Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.

von Daniel Janz

Die Hoch- und Spätromantik – Zeitalter deutscher Komponisten und Größen, wie Brahms, Wagner, Bruckner und später Mahler und Strauss. Was für ein reiches Zeitalter. Vielleicht sogar die Deutscheste aller musikalischen Epochen? Solch ein Eindruck könnte sich bei dieser Versteifung, die wir im Konzertbetrieb auf diese Namen feststellen müssen, aufdrängen. Da wird nur zu leicht vergessen, dass auch in anderen Ländern herausragende Musik komponiert wurde. Was ist zum Beispiel mit Frankreich? Tschechien? Russland? Den (vor wenigen Wochen angesprochenen) USA? Oder eben Italien? Auf Letzteres soll heute durch den Namen Giovanni Sgambati der Fokus gelegt werden.

Sgambati galt als derjenige, der in seiner Heimat und Geburtsstadt Rom die beiden Komponisten Beethoven und Liszt verbreitete. Schon früh war er besonders von Letzterem beeinflusst und inspiriert worden – eine Romreise des österreichisch-ungarischen Komponisten hatte beide 1860 bekannt gemacht und Sgambati erlaubt, in dessen Lehre zu treten. Fast 10 Jahre später sollte er Liszt nach Deutschland folgen, um sich dort unter Anton Rubinstein fortzubilden und die Werke Wagners kennenzulernen. Auch diese sollte er kurz darauf in Rom bekanntmachen. So, wie auch Bach, Mozart und Haydn, die dort bis 1880 unbekannt gewesen sein sollen.

An dieser Sammlung von namenhaften Inspirationen merkt man schnell, dass Sgambati sich Zeit seines Lebens immer an den ganz Großen orientiert hat. In der Tat war der ursprünglich am Piano ausgebildete Künstler auch kompositorisch tätig und reiht sich stilistisch sowie auch qualitativ nahtlos in die Reihe seiner Idole ein. Sein Oeuvre umfasst zwar bei Weitem nicht so viele Werke, wie Mozart, Bach oder Haydn zugeschrieben werden. Aber die Werke, die er hinterließ, haben es in sich. So auch seine zweite Sinfonie, die heute einmal inhaltlich betrachtet werden soll, weil sie ein Werk voller Schönheit, Eleganz und Klangkraft zugleich darstellt.

Den ersten Satz in seiner szenischen Abfolge aus feierlich/traurigem Bläserchoral, sehnsüchtigen Holzbläserpassagen und feurigen Tutti kann man beispielsweise für seine starken Kontraste loben. Und natürlich kommen auch die für Sgambati typischen Streicherepisoden nicht zu kurz, die mal begleitend in den Hintergrund rücken und mal als Melodieträger vordrängen. Diese Musik ist äußerst reich – was sowohl als Lob sowie als Makel verstanden werden kann. Denn dadurch eröffnen sich dutzende Themenansätze, die allesamt etwas Erfrischendes haben. Der Nachteil – keiner davon wird so konsequent verfolgt, dass ein roter Faden entsteht – und das, obwohl es durchaus Wiederholungen gibt. Aber die Leitthemen fallen zu wenig auf.

Nachdem der erste Satz dadurch noch etwas beliebig wirkt, fängt sich die Sinfonie aber besonders zum zweiten Satz. Schon alleine der fließend wirkende, durch seine stete Wiederholung aber als Thema schnell in die Erinnerung übergehende Einstieg hat etwas Ergreifendes. Und ein ausgereift fröhliches Spiel aus Flöten, Harfen und Streicherpizzicati bildet dazu den bestmöglichen Gegenpol. Die tänzerische Motivik kann spätestens da überzeugen, wo die Flöten begleitet von Geigenzirpen auf die Höhepunkte des Satzes hinarbeiten. Ein wahrer Ohrenschmaus.

Faszinierend ist auch, wie Sgambati diese einzelnen Episoden zusammenführt und einen regelrechten Tanzreigen daraus schürt. Das sind Klänge, wie wir sie heute aus Filmmusik, wie beispielsweise zu Harry Potter, kennen – nur 100 Jahre früher. Und so, wie dieser Vergleich, hat der ganze Sinfoniesatz etwas Magisches.

Auch der dritte Satz mit seinem Englisch-Horn-Solo, das an Hirtenmusik aus Beethovens Pastorale erinnert, gefolgt von romantischen Streichereinsätzen und Holzbläsertrillern kann überzeugen. Es begegnen einem an Vogelgezwitscher angelehnte Flötenrufe, zu Harfenarpeggien vor sich hinfließende Streicher, vereinzelte Jagdrufmotive in den Hörnern. Dazu stößt man auf häufig unerwartete Wechsel von Dur ins Moll und zurück, nur um dann zu erkennen, dass man in einer Paralleltonart gelandet ist – das ist gefällige Musik voller Farbe und Überraschung mit typischen Erkennungsmerkmalen der „Hochromantik“, die trotz ihrer Gemächlichkeit ein hohes Maß an Unterhaltung bietet.

Wie es für Sinfonien konsequent ist, folgt auf das Gemächliche das Drängende. Der vierte Satz bietet einen direkten Streichereinstieg mit Bläseruntermalung, der in seinem Sturm etwas Treibendes hat. Hier zeigt sich wieder die Tendenz aus dem ersten Satz, einen Fluss aus Themen zu entwickeln, um das Gehör mitzureißen. Untermalt von starken Bässen deutet sich hier über den ganzen Verlauf ein glorreicher Ausbruch an, der am Ende auch kommt. Allerdings gerät auch hier die Form der Themen etwas ins Abseits, was diesen Satz weniger konsequent erscheinen lässt, als die Mittelsätze.

Es ist spannend, dass aus dieser Konzeption besonders die beiden Mittelsätze im Vergleich zu den Ecksätzen in Erinnerung bleiben. Wenn man etwas kritisieren wollte, könnte man also unter Umständen am ersten Satz und am Finale ansetzen. Deren Fokus auf einen musikalischen Fluss wird zum Nachteil an der Klarheit der Themen und damit an der Identität der Sätze selbst. Hier hätte es also noch Potenzial zur Pointierung gegeben.

Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies ein absolut empfehlenswertes Werk ist mit Musik, die eine fantastische Ergänzung zu den althergebrachten Klassikern darstellt. Sgambatis Schaffen ist vor allem Ausdruck eines kompositorischen Reichtums, der sich oft genug auch in faszinierender Weise klangmalerisch, wenn nicht sogar erinnerungswirksam ausdrückt. Und wer sich von dem Anspruch befreien kann, stets ein erkennbares Thema zu benötigen, um der Musik zu folgen, der wird hier einen wahren Schatz finden. Für mich steht jedenfalls fest: Für Sgambati würde ich sofort ins Konzert gehen.

Daniel Janz, 23. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.

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