Camilla Nylund (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg © Ruth Walz
Was war das für ein grandioses, fesselndes Schlussterzett! Diese drei brillanten Stimmen, an ihrer Spitze Camilla Nylunds fürstlich voranschreitende Feldmarschallin, füllen die Lindenoper randvoll mit überwältigen Zauberklängen, dass einem nur der Atem stockt!
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 29. April 2023
Der Rosenkavalier
Musik von Richard Strauss
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
von Johannes Karl Fischer
Selbst das bislang eher preußisch-marschartig spielende Orchester mischt auf einmal mächtig im Richard-Strauss-Sog mit. Wie eine Riesenwelle in einem sommerlich warmen Meeresbad fegt diese magische Musik durch den Saal, reißt einen mit der sanften Gewalt der höchsten aller Emotionen in den Strudel von Octavians und Sophies Liebe!
Stichwort Octavian: Wie ein furchtloser Ritter beherrscht Ema Nikolovskas jugendlicher Graf den Abend fast schon im Alleingang. Mit seinen siebzehn Jahren ist er Herr im Haus, und die Sängerin Herrscherin der Bühne.
Ihre Stimme hat genau die Macht, dieses naive, allmächtige Selbstbewusstsein, das ein Octavian braucht. Ein kleiner Don Quixote, furchtlos zieht er durch die Welt. Selbst die vermeintliche Ankunft des Feldmarschalls kann ihm das Fürchten nicht lehren, seine Marie Theres’ würde er wohl genauso verteidigen, wie er den Ochs für seine Sophie niedersticht.
Nur Camilla Nylunds stets brillanter, einzigartiger Marschallin muss er sich am Ende geschlagen geben. Wie eine allwissende Göttin beherrscht ihre runde, strahlende Stimme das musikalische Geschehen, dringt seidensanft in das Gehör der ZuschauerInnen ein.
Wo sie singt, singt sie, da traut sich keiner mehr in die Welt ihrer unendlichen Melodien hinein. Dieser Wundersopranistin beim Philosophieren – über den Lauf der Zeit und der Welt – zuzuhören, das ist der wahre Genuss der Richard-Strauss-Magie! Und wo sie steht, werfen sich alle ihr zu Füßen. Nicht nur der Polizeikommissar und die Lakaien.
Den Baron Ochs (David Steffens) scheint das nicht zu interessieren, wenn er manierlos in ihr Schlafzimmer hinein poltert. Wie kann man diesen Herren denn bloß antichambrieren lassen? Wissen die Lakaien nicht, wer er ist? Und dieser Baron ist noch ein städtischer, weiß, seine aufdringliche Art etwas moderater zu verkaufen.
Trotzdem deutet sein donnernder Bass mit makellosen Monologen genau an, wo er hindenkt. Von gesellschaftlichen Grundregeln sieht er sich ausgenommen. Völlig despektierlich mischt er sich in jede Situation ein, grabscht alle Frauen – sei es Marschallin, Sophie oder auch Mariandl – an und bildet sich wahrscheinlich auch noch ein, sie würden freiwillig mit ihm zum Walzer einstimmen.
Zum Glück bleibt der Sophie (Siobhan Stagg) eine Ehe mit diesem schlechten Kerl erspart. Die australische Sopranistin brilliert in der Rolle der etwas hilflosen Faninal-Tochter, im Schlussterzett kann sie ihr höchstes Glück voll entfalten und die feierliche Stunde der stimmlichen Prüfung bestens bestehen. Zur Seite steht ihr mit Anna Samuil eine äußerst stimmstarke Marianne Leitmetzerin. Mit dieser mächtigen Stimme könnte man sie schon fast als musikalische Strippenzieherin verstehen.
Die Strippenzieher der Handlung wären – neben der Maria Theresa Fürstin von Werdenberg – aber wohl eher Valzacchi (Karl-Michael Ebner) und Annina (Katharina Kammerloher). Die Kammerzofe Mariandl – frisch von der Marschallin geschaffen – kennen sie schon seit Jahren, den Baron Ochs dann plötzlich nicht mehr. Geht alles wie am Schnürchen, beide verkörpern ihre äußerst cleveren Rollen samt einer Prise an kecker Komödie bestens.
Tönenden Applaus bekommt auch Andrés Moreno García in der Rolle des italienischen Sängers. Und das völlig verdient: Seine lyrische Stimme segelt über die Bühne und in den Saal, für das Bagagi der Marschallin dürfte das spontane Schlafzimmer-Konzert wohl zum Höhepunkt des Jahres werden. Als würde man durch die Gassen der Wiener Innenstadt spazieren und plötzlich auf einen singenden Juan Diego Flórez stoßen…
Einzig André Hellers eher statische Inszenierung gerät leider weitgehend flach und kommt aus dem Schatten der fesselnden dynamischen Rosenkavalier-Musik nur schwerlich raus. Eine überzeugende Antwort auf die stürmischen Streicher des rauschhaften Liebesnacht-Vorspiels kann sie jedenfalls nicht präsentieren. Diese Regie reduziert sich großenteils auf bunte Bühnenbilder, immerhin werden die obligatorischen Häkchen gesetzt.
Komisch, bei der Premiere konnte ich die zahlreichen Buh-Rufe irgendwie nicht nachvollziehen… naja, das war eben die Sichtweise eines musikalisch naiven 23-jährigen, der gerade seinen ersten Rosenkavalier gesehen hatte. Was drei Lebensjahre samt fünf Rosenkavalier- und drei Tristan-Inszenierungen mit einem so alles machen können…
Auch die eher marschmäßigen Klänge im Graben können den Walzerzauber dieser Oper leider nicht wirklich zum Schwingen bringen. Eine großartig spielende Staatskapelle legt mit viel Power und Feingespür für die teilweise höchst virtuosen Einzelstimmen zwar alle zuckersüßen Zutaten einer Richard-Strauss-Torte auf den Tisch. Doch am entscheidenden Meter lässt Dirigent Alexander Soddy den walzerenden Geist dieser Komödie für Musik ein wenig außen vor…
Ein insgesamt brillanter Rosenkavalier erfreut in der Lindenoper, dank vor allem vier alles überstrahlende Hauptpartien. Es bleibt spannend, ob Günther Groissböck und Joana Mallwitz diese Inszenierung im kommenden Dezember vielleicht etwas aufheitern können. Das wäre ein wahres Weihnachtswunder!
Johannes Karl Fischer, 3. Mai 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Der Rosenkavalier, Musik von Richard Strauss De Nationale Opera Amsterdam, 23. April 2023
Der Rosenkavalier Musik von Richard Strauss Semperoper Dresden, 10. April 2023
Richard Strauss, Der Rosenkavalier Bayerische Staatsoper, München, 21. Juli 2022