TARMO PELTOKOSKI, 2021 © www.peterrigaud.com
Das Werk endet in tiefenentspannter Ruhe, fast wie ein faszinierender Traum. Und wieder ergriffenes Schweigen im Saal, dann bricht frenetischer Beifall los.
1. Premieren-Abonnementskonzert
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
„Irdische Liebe & himmlisches Leben“
Programm:
Robert Schumann: „Frauenliebe und Leben“ für Sopran und Orchester (bearbeitet für Orchester von Conrad Artmüller)
Gustav Mahler: Sinfonie Nr.4 G-Dur
(Orchesterreduktion von Yoal Gamzou)
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Chen Reiss Sopran
Tarmo Peltokoski Dirigent
Großer Saal der Bremer Glocke, 19. Januar 2024
von Gerd Klingeberg
Es ist einigermaßen heikel, beim Kunstlied die eigentlich vorgesehene Klavierbegleitung einem Orchester zu übertragen. Funktionieren kann dies nur mit einer gehörig volumenstarken Stimme. Oder aber mit einem deutlich zurückgenommen spielenden Orchester.
Die erste Variante kam beim Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie in der Bremer Glocke kaum in Betracht; die israelische Sopranistin Chen Reiss ist keine Walküre. Nicht, dass sie sich nicht durchsetzen könnte. Aber bei Robert Schumanns „Frauenliebe und Leben“ geht es nicht darum, die Saalmauern vibrieren zu lassen. Nicht ein Maximum an Lautstärke, sondern ausgeprägtes Einfühlungsvermögen ist hier angesagt. Und das hat Reiss.
Mit feiner lyrischer Note, veredelt mit einem niemals übertriebenen Vibrato und ungemein expressiv gestaltet sie dieses 8-teilige Monodrama fast so, als würde sie sinnierende Selbstgespräche führen. Es ist die ganz auf authentische Textvermittlung abzielende, von lediglich angedeuteter Gestik unterstrichene Schlichtheit des Gesanges, die überzeugt. Und nicht eine vermeintlich publikumswirksame, auf Selbstdarstellung abzielende Exaltation.
Der noch sehr junge, von der Deutschen Kammerphilharmonie als längst „Principal Guest Conductor“ titulierte und mittlerweile weltweit hofierte Dirigent Tarmo Peltokoski bleibt ebenfalls in seiner Vorgabe zurückhaltend; groß gestikulierendes Maestro-Gehabe hat er nicht nötig.
Diesem Orchester reichen diskrete Anweisungen; nicht einen Moment lang entsteht der Eindruck, es wolle sich in den Vordergrund drängen. Der instrumentale Begleitpart wird damit wie eine unaufdringlich aquarellfarbene Hintergrundkulisse wahrgenommen, die den gesungenen Text stimmig unterstreicht. Mehr braucht es nicht, aber auch nicht weniger.
So lässt sich pure Emotionalität vermitteln. Das dies gelingt, spürt man am Verhalten der Zuhörer im Saal: Das Auditorium lauscht gebannt, kein Huster stört. Jede mit subtil geführter Singstimme dargebotene Regung lässt sich nachvollziehen, das Erzählte wird nahezu zum eigenen Erleben.
Im Lied Nr. 6 „Süßer Freund, du blickest mich verwundert an“ bringt die Sängerin die unendliche Zuneigung der Protagonistin als Mischung aus schierer Wonne und zugleich verhaltenem Bangen in faszinierender Ambivalenz zum Ausdruck. Dann, deutlich kontrastierend der Überschwang, das Glück der Liebe, im emphatischen Jubel bei Lied 7. Und schließlich der unendliche Schmerz, der Tod des geliebten Mannes, in erschütterndem Gesang dargeboten. Das geht unter die Haut. Es dauert geraume Zeit, bis sich die ersten Zuhörer trauen zu applaudieren, erst vorsichtig, dann umso stärker.
Mahlers 4. Sinfonie schließt in der zweiten Konzerthälfte an. Die samt und sonders auf ruhigen Fluss angelegten Satzbezeichnungen (bedächtig, gemächlich, ruhevoll, etc.) lassen nicht unbedingt ein mitreißendes Werk erwarten. Peltokoski lässt es tatsächlich auch ruhig, wenngleich mit unbeschwert elegantem Schwung angehen. Romantisierend schwülstige Passagen werden durch kleine Akzente aufgelockert, als würde man sie mit augenzwinkernd vortragen.
Die schmale Grenze zu allzu großen Klangschwelgereien weiß das Orchester sehr wohl zu vermeiden. Ohnehin gibt es immer wieder kurze, aber durchaus heftig eruptive, von Pauken und Schlagwerk markant betonte Elemente oder überraschende Klangeffekte. Imponierend ist zudem die breit gefächerte Dynamik, mit der jeglicher Anschein von Gleichförmigkeit unterbunden wird. Das sorgt für einen steten Spannungsbogen vor allem der beiden ersten Sätze.
Dagegen verströmt Satz 3 mit einem in einem fast bis zur Hörgrenze zurückgenommenen, sphärisch zarten Harmoniegeflecht kontemplative Intensität. Auch beim Pianissimo der Streicher stimmt die Balance mit den Bläsern. Beim Übergang zum Finalsatz darf es dann aber wieder gehörig donnern. Wuchtige Akkorde rollen wie Kaventsmänner heran, verebben wieder. Abrupte, zumeist scharf konturierte Stimmungswechsel bestimmen den kontinuierlich vorandrängenden Ablauf.
Und hier fordert der ansonsten eher zurückhaltend agierende Peltokoski mit großen Gesten vollen Einsatz. Mit Erfolg.
Für den gelungenen Höhepunkt sorgt wieder Chen Reiss: Im „Wunderhorn“-Lied („Das himmlische Leben“), das Mahler in seine Sinfonie eingearbeitet hat, überzeugt erneut ihre wunderschöne Interpretation des mitunter gar absurd anmutenden Textes.
Das Werk endet in tiefenentspannter Ruhe, fast wie ein faszinierender Traum. Und wieder ergriffenes Schweigen im Saal, dann bricht frenetischer Beifall los.
Gerd Klingeberg, 20. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at