Christian van Horn (Don Giovanni), Peter Kellner (Leporello). Alle Fotos: © Wiener Staatsoper / Stephan Brueckler
„Every song is a burner“, schwärmt ein junger Gast in den Gängen der Wiener Staatsoper. Seine weibliche Begleitung nickt nur zögernd, während sie in der Pause durch das Foyer schweifen. Bei „Là ci darem la mano “, dem Verführungshit von Don Giovanni, könnten die Kantilenen zwar etwas geschmeidiger gemeißelt sein, ansonsten hinterlässt Christian Van Horn einen massiven Eindruck. An der Wiener Staatsoper debütiert der gefühlt zwei Meter große Hüne in der Titelpartie von Da Pontes und Mozarts dramaturgischem Meisterwerk.
Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart
Wiener Staatsoper, 17. Januar 2024
von Jürgen Pathy
Dass man in Barrie Koskys Inszenierung überhaupt mal neue Gesichter erleben kann, gleicht sowieso schon einem Wunder. Es gab mal das Zeitalter der Dirigenten. So Anfang bis weit über Mitte des letzten Jahrhunderts, als Toscanini, Karajan & Co die Opernbühnen bestimmt haben. Weit früher regierten mal die Sänger. Komponisten hatten ihre Partien bestimmten Goldkehlchen auf den Leib geschneidert. Seit rund 30 Jahren dominiert die Regie und erregt die Gemüter.
Bei Barrie Kosky könnte man dem Trugschluss unterliegen, er habe seine zirkusreife „Don Giovanni“-Inszenierung Philippe Sly und Kyle Ketelsen auf den Leib gezimmert. Zwei Sängerdarsteller von großem Format. Bislang hatten seit der Premiere 2021 immer diese beiden Sänger die beiden Hauptprotagonisten verkörpert. Nun wagt man es, neue Gesichter ins Rennen zu schicken.
Riesige Edelnote trifft auf spielfreudiges Ensemblemitglied
Bassbariton Christian Van Horn schlägt sich als Don Juan hervorragend. Im Vergleich zu Ketelsen führt er eine viel elegantere Note, ein wenig mehr Noblesse in die Schlacht um die Frauenherzen ein. Ensemblemitglied Peter Kellner, der statt Sly als Leporello seinen Mann steht, ist überhaupt eine Idealbesetzung. Mit dem slowakischen Bass-Sänger hat man eine 1-A-Entscheidung getroffen. Über Peter Kellners stimmliche Qualitäten gibt es sowieso keine Diskussionen – die ist über jeden Zweifel erhaben. Darstellerisch fügt er sich auch perfekt in die durchgeknallte Punk-Attitüde des völlig verrückten Dieners seines Herrn ein.
Dass die letzten Phrasen seiner „Registerarie“, für mich das musikalische Highlight dieser Oper, nicht ganz so tiefgehend das Herz ergreifen, möchte ich gar nicht nur ihm in die Schuhe schieben. Das Staatsopernorchester unter der Leitung von Musikdirektor Philippe Jordan konnte bei der ersten Aufführung der Serie am Sonntag generell mehr Akzente setzen. Stattdessen zeigt der komplette Sänger-Cast bei dieser Mittwoch-Vorstellung eine Steigerung um Welten.
Durch die Bank eine Steigerung
Bogdan Volkov, ein „Tenore di grazia“, wie er im Buche steht, besinnt sich als Don Ottavio wieder seiner Kernstärken. Nachdem er sonntags noch zu sehr auf Attacke gesetzt hat, fließt sein „Dalla sua pace“ wieder mit geschmeidiger Linienführung und vor allem eines – unheimlich sauberer Intonation. Federica Lombardi als Donna Elvira zeigt sich hinsichtlich Sauberkeit und Schmelz auch von ihrer Zuckerseite. Während bei der jungen Italienerin am Sonntag noch einiges aus den Fugen geraten war, endet diese Vorstellung mit einem versöhnlichen „L’ultima prova dell’amor mio“ – dem Beweis ihrer Liebe zu Don Giovanni.
Slávka Zámečníková als Donna Anna ist neben den beiden männlichen Hauptdarstellern die dritte Konstante: Ihre unheimlich sicher und angenehm ins Rennen geführte Sopranstimme tendiert nie dazu, ab dem Mezzoforte in ein unangenehmes Forcieren abzurutschen. Selbst bei der von allen gefeierten Patricia Nolz, die als Zerlina zwar unheimlich weiche Piani in den Saal haucht, war das sonntags leider öfters der Fall. Nein, ganz im Gegenteil: Die slowakische Allrounderin – bei Mozart und Monteverdi steht sie zur Stelle – beherrscht die Komplexität ihrer Rolle über alle Lagen und Dynamiken hinweg.
Am Ende großer Jubel für alle. Sowohl für den kompletten Cast als auch für Philippe Jordan – obwohl der am Sonntag einen harmonischeren Klangkörper im Graben sitzen hatte.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 20. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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