Die mit den Walküren tanzen

„Die Walküre“ von Richard Wagner  Bühnen Bern, Samstag, 11. März 2023

Foto: Seth Carico, Claude Eichenberger © Rob Lewis

Das Stadttheater Bern ist nicht groß, aber sympathisch und hat ein breites Angebot für das Publikum. Manchmal bringt eine Aufführung an einem solchen Ort mehr positive ästhetische Eindrücke als an renommierten Bühnen mit berühmten Namen; und erst recht bei Inszenierungen von Richard-Wagner-Opern.

Die Walküre
Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner

Musikalische Leitung: Nicolas Carter
Regie: Ewelina Marciniak
Bühne: Mirek Kaczmarek
Kostüme:  Julia Kornacka
Choreografie: Dominika Knapik
Licht: Bernard Bieri
Dramaturgie: Miron Hackenbeck


Stadttheater Bern, 11. März 2023


von Jolanta Łada-Zielke

In der Berner Inszenierung der „Walküre“ drückt der Tanz mehr aus als die gesungenen Worte. Fast jeder Charakter hat ein Alter Ego in Form einer Tänzerin oder eines Tänzers, deren Bewegungen, Gesten und Mimik seine Darstellung ergänzen. Einige spielen die Figuren, die nicht direkt in die Handlung involviert sind, wie das Mädchen, das Siegmund versucht, vor einer Zwangsheirat zu schützen.

Diese Idee erwies sich bei der Aufführung am 11. März 2023 als eine Erlösung. Tómas Tómasson von der Staatsoper Berlin hat als Wotan den plötzlich erkrankten Seth Carico ersetzt. Der kräftige und ausdrucksvolle isländische Bass sang am Notenständer, während Brünnhilde und die anderen mit dem Regieassistenten Benedek Nagy interagierten, der Wotan schauspielerisch darstellte. Diese Notsituation diente jedoch des besseren Erscheinungsbilds des Göttervaters, der das Geschehen aus der Ferne beobachtet und die Fäden zieht – soweit es der Fluch, der auf ihm lastet, zulässt. Im Original ist er auf einem Auge blind, während wir hier einen „einohrigen“ Wotan hatten. Tómasson hatte keine Zeit, sich an die Akustik der Großen Bühne des Stadttheaters Bern zu gewöhnen und hielt sich beim Singen das linke Ohr mit der Hand zu.

Nagy bewegte sich auf der Bühne so überzeugend, dass man ihn – ohne zu wissen von der Vertretung – für einen professionellen Schauspieler halten könnte. Er hat Wotans Verstrickung in ungünstige Verpflichtungen, die ihn dazu bringt, seine eigenen Kinder zu zerstören, herausragend gezeigt. Zugegebenermaßen wiederholte er in den Schlussszenen einige seiner Gesten. Das könnte man aber erklären, dass Wotan, nach der endgültigen Trennung von seiner geliebten Tochter, keinen Platz für sich finden kann. Die Choreografin Dominika Knapik hat den Zuschauern eine amüsante Überraschung  vorbereitet. Zu Beginn des dritten Aktes, bevor das Orchester den „Walkürenritt“ spielt, tanzen zwei Männer zu dessen Rhythmus und klatschten ihn dabei heraus. Dieser Einsatz belebte das bereits etwas ermüdete Publikum.

Während des Liebesduetts von Siegmund und Sieglinde zeigt ein Paar Tänzer ihre kindlichen Spiele und dann den Beischlaf. Das Schwert Nothung ist ein Küchenmesser, das man aus einem Brett zieht. Bei Siegmunds Tod lässt Marco Jentzsch, der die Rolle singt, das Messer fallen und dreht dem Publikum den Rücken zu. Die tödliche Wunde erhält sein tanzender Doppelgänger und stürzt von einem Felsen ins Wasser.

Der Schwerpunkt dieser Inszenierung liegt auf zwischenmenschlichen Beziehungen, insbesondere auf dem Gegensatz zwischen Eltern und Kindern. Es geht aber nicht nur um Wotan und Brünnhilde. Marciniak lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Motivation Wotans, der den Ring des Nibelungen um jeden Preis zurückgewinnen will, dies aber nicht mit eigenen Händen tun will. Dazu braucht er jemanden von außerhalb des göttlichen Kreises. Er schwängert daher eine sterbliche Frau, in der Hoffnung, dass sie ihm den erwarteten Helden gebiert. Doch der Göttervater hat nicht damit gerechnet, dass Zwillinge geboren werden, von denen sich die Schwester schließlich als die Stärkere erweist. Ewelina Marciniak stellt Sieglinde nicht als eine leidende Hausmaus dar, sondern als eine von der Monotonie des Lebens gelangweilte Frau. Siegmund erscheint in ihr Haus nicht als Flüchtling, sondern als ein an ihrer Seite schlafender Geliebter, als ob sie ihn aus seinen Träumen angezogen hätte. Mit Brünnhilde vor Wotans Zorn fliehend, bricht sie nur kurz zusammen, als sie sieht, mit welcher Gleichgültigkeit und Zurückhaltung die anderen Walküren ihre Schwester betrachten. Dann beschließt sie, für ihr ungeborenes Kind weiterzuleben.

© Rob Lewis

Ich begrüße es, wenn ein Regisseur die Nebenrollen vertieft. Marciniak ist das im Fall des Hunding gut gelungen, den der brasilianischen Bass Matheus França meisterhaft singt und spielt. Statt eines grausamen Machos sehen wir einen verzweifelten Mann, der spürt, dass er mit dem Erscheinen Siegmunds seine geliebte Gattin verloren hat. Er bezieht sich feindselig auf seinen Rivalen und macht zärtliche Gesten gegenüber Sieglinde (wie Handkuss), ist sich aber bewusst, dass er sie nicht halten kann. Sympathie und Verständnis des Publikums erweckt auch Fricka, die die Schweizer Mezzosopranistin Claude Eichenberger als desillusionierte und verbitterte Frau interpretiert. Wagner hat diese Figur kinderlos gemacht, während Wotans Affären zu mehr oder weniger erwünschtem Nachwuchs führen. Die Göttin hasst all diese Kinder. Die Regisseurin kommentiert diese Situation ironisch: die Tänzerinnen in identisch knallroten Kleider und mit schwangeren Bäuchen umkreisen Fricka.

Seth Carico, Yanhua Liu © Rob Lewis

Die echte Perle dieser Produktion ist Yanhua Liu als Brünnhilde. Zwar soll sie noch an dem fließenden Übergang vom mittleren zum Bruststimme und an ihrer Diktion arbeiten, weil man häufig in ihrer Aussprache  kaum Unterschied zwischen „a“ und „e“ hört. Liu verfügt jedoch über einen wunderschönen, starken dramatischen Sopran und ist eine ausgezeichnete Schauspielerin. Zu Beginn sehen wir sie als brave Tochter des großen Vaters, die sich wie ein Kind über die ihr anvertraute Aufgabe freut. Die Musterschülerin Wotans verwandelt sich vor unseren Augen in eine reife Frau, die bereit ist, die Konsequenzen ihrer Entscheidung zu tragen.

Die Meisterin des Übergangs zur Bruststimme sowie der schönen, bogenhaften Phrasierung ist Julie Adams als Sieglinde. Claude Eichenberger hingegen ist in der Brustlage fast nicht zu hören, obwohl sie über eine ausgezeichnete Höhe verfügt. Das gesangliche Leistungsniveau der acht Walküren ist sehr unterschiedlich. Von den Herren verdient der bereits erwähnte Matheus França, ein Basso profondo mit hervorragender Diktion, eine spezielle Auszeichnung, und  daher eine größere Rolle. Klar, stark und sehr ausdrucksvoll ist der Tenor Marco Jentzsch als Siegmund.

Nicolas Carter dirigierte die Vorstellung mit einem Elan, der der Werke Wagners würdig ist. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er in Bezug auf die Dynamik zu viel Biss darauf legt, da einige Passagen zu laut waren. Das Berner Symphonieorchester stellte sich der Herausforderung. Besonders schön erklang das Duett der beiden Harfen am Ende des dritten Akts. Das Ganze bereichert ein sparsames, aber aussagekräftiges Bühnenbild von Mirek Kaczmarek, in dem vor allem Felsen in verschiedenen Beleuchtungen und Konfigurationen gezeigt werden.

Man könnte vielleicht sagen, ich sei nicht objektiv, weil ich aus demselben Land  wie die Regisseurin Ewelina Marciniak komme. Außerdem habe ich ihren Erfolg miterlebt, als sie noch Studentin war und vor ungefähr zwanzig Jahren den Studentenlied-Wettbewerb in Krakau gewann. Aber ihre tiefgründige, mit interessanten Ideen angereicherte Inszenierung der  „Walküre“ stelle ich in eine Reihe mit Tankred Dorsts Ring-Produktion in Bayreuth 2006. Ich bin sehr gespannt, wie  sie den „Siegfried“ interpretieren wird.

Das Stadttheater Bern ist nicht groß, aber sympathisch und hat ein breites Angebot für das Publikum. Manchmal bringt eine Aufführung an einem solchen Ort mehr positive ästhetische Eindrücke als an renommierten Bühnen und mit berühmten Namen; und erst recht bei Inszenierungen von Richard-Wagner-Opern.

Jolanta Łada-Zielke, 17. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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