Camilla Nylund (Katerina Ismailowa) nimmt den jubelnden Beifall des Publikums entgegen, dahinter Dmitry Golovnin (Sergej), Alexander Roslavets (Boris Ismailow), Carole Wilson (Aksinja / Zwangsarbeiterin), Tigran Martirossian (Pope) (Foto RW)
Camilla Nylund singt diese Katerina mit warmem runden Klang; einer leuchtenden Kerze gleich, mal höher mal niedriger aufbrennend, aber nie flackernd oder ungleiche Schatten werfend. Am Ende verhaucht sie voller Seelenqual ihr allgegenwärtiges Leid und ihre Taten bereuend im schönsten Piano.
Lady Macbeth von Mzensk
Oper von Dmitri Schostakowitsch
Staatsoper Hamburg, Dernière, 8. Februar 2023
von Dr. Ralf Wegner
Eigentlich irritiert der Titel; Katerina Ismailowa hat in dieser Version von Angelina Nikonva (Inszenierung) nichts tiefböses, skrupelloses wie Shakespeares bzw. Verdis Lady. Katerina handelt vielmehr impulsiv, fast besorgt, Unglück von sich und ihrem Liebhaber abwendend und büßt dafür mit dem Freitod im Wasser. Camilla Nylund singt diese Katerina mit warmem runden Klang; einer leuchtenden Kerze gleich, mal höher mal niedriger aufbrennend, aber nie flackernd oder ungleiche Schatten werfend. Am Ende verhaucht sie voller Seelenqual ihr allgegenwärtiges Leid und ihre Taten bereuend im schönsten Piano. Ihr Schlussgesang klingt wie das Wiegenlied für ein soeben verstorbenes Kind.
Leider hatte Camilla Nylund mit Dmitry Golovnin als Liebhaber Sergej keinen gesanglich adäquaten Partner. Sein nicht sehr kräftiger Tenor klang eng, besaß kaum Farbvariation und hatte Nylunds aufblühendem Sopran wenig an Klangschönheit entgegenzusetzen. Anders als Katerinas Bühnenehemann Vincent Wolfsteiner drang Golovnin von der Stimmkraft her kaum über das Orchester hinweg; im Zwiegesang wurde er von seiner Partnerin zum Teil völlig zugedeckt. Dass sich Nylunds Katerina in Golovnins Sergej verliebt, ist damit akustisch nicht schlüssig.
Dafür entschädigt das sich unter der Leitung von Kent Nagano im orgiastischen Liebesrausch verzehrende Orchester. Wie schön klangen die tiefen Streichinstrumente oder die noch tieferen Bläser. Schnelle Rhythmen wechselten mit walzerähnlichen Klängen, dazu sang der Chor großartig. Selten glitt der Blick von unserer ersten Loge aus so häufig ins Orchester und weg von der Bühne wie in dieser Schostakowitsch-Oper. Wie wäre der Eindruck wohl in der Elbphilharmonie mit der vollen Sicht auf das Orchester und ihrer glasklaren, differenzierteren Akustik gewesen?
Um Katerina zu verstehen, muss auf die Handlung eingegangen werden. Eigentlich ist sie nicht wie Nylund eine erfahrene, sondern eher unbedarfte, wohl Anfang des dritten Lebensjahrzehnts stehende, wegen fehlenden Avancen seitens ihres nur wenig älteren Ehemannes Sinowij Ismailow sexuell frustrierte junge Frau. Ihre sexuelle Begierde wird von dem sich Frauen gegenüber schäbig verhaltenden Handlungsgehilfen Sergej während einer beruflichen Abwesenheit des Ehemannes gestillt. Der Katerina kujonierender Schwiegervater Boris Ismailow, großartig gesungen und exzellent dargestellt von Alexander Roslavets, bemerkt die Beziehung, lässt Sergej fast totschlagen, sperrt ihn ein und droht mit Wiederholung. Um Sergej zu retten, mischt Katerina Rattengift in das Pilzgericht des Alten. Dieser stirbt, was der Pope (Tigran Martirossian) angesichts der offenbar ihm bekannten Sünden des Alten für den natürlichen Gang der Dinge hält und sowohl Katerina als auch Sergej vor weiterer Verfolgung rettet.
Allerdings taucht der Ehemann Sinowij Ismailow unvermittelt im Hause auf. Sergej erwürgt ihn, der Tote wird im Keller versteckt. Dort findet man die Leiche bei einer Feier, Katerina und Sergej werden zu Zwangsarbeit verurteilt. Das letzte Bühnenbild (Varvara Timofeeva) zeigt ein getreideltes Panzerschiff, mit dem Kohlen transportiert werden. Sergej hat das Interesse an Katerina verloren, er bandelt mit der jüngeren Sonjetka an. Marta Swiderska wertet diese kurze Partie mit in der Tiefe voll klingendem, sinnlichen Mezzo erheblich auf. Jedenfalls schwatzt Sergej seiner früheren Geliebten Wollstrümpfe ab, die sich Sonjetka für ihre sexuelle Hingabe als Lohn ausbedungen hat. Katerina, von den anderen Zwangsarbeiterinen darob verhöht, schubst Sonjetka in den eisigen Fluss und springt in suizidaler Absicht hinterher.
Das neorealistische Bühnenbild zeigte im Hintergrund jahreszeitliche Videoprojektionen, am Ende den zahllose Eisschollen bedeckenden Fluss. Die beiden ersten Akte dominierte ein hochkant gestelltes Bett, welches dem Liebespaar die Möglichkeit gab, stehend und ohne artistische Verrenkungen zu singen; welch ein schöner Einfall. Dem ging eine quälend lange Vergewaltigungsszene voraus: Die Köchin Akzinja wird von den Männern des Dorfes in ein großes, mit Nudeln gefülltes mannshohes Glas gesteckt, ihr dann die Oberbekleidung zerrissen, bis Katerina dem ein Ende bereitet. Carole Wilson sang und spielte sich mit dem Sopranpart dieser Akzinja in das Gedächtnis der Zuschauer; in Erinnerung bleibt auch Moritz Gogg als von der Polizei des Atheismus verdächtiger, angstvoll den Polizeiflur entlang getriebener Lehrer. Am Ende gab es im zu etwas mehr als Zweidrittel gefülltem Haus Jubel, vor allem für Camilla Nylund, Alexander Roslavets und Kent Nagano.
Dr. Ralf Wegner, 10. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk, Evelyn Herlitzius, Deutsche Oper Berlin