In diesen kulturell ungemütlichen Zeiten ohne Livekonzerte geben sich Künstler, Kultureinrichtungen und Theater alle Mühe, uns online an ihrem kreativen Schaffen teilhaben zu lassen. Unterstützung bekommen sie dabei aus ganz unerwarteter Richtung: Diverse Firmen und sogar Großkonzerne bieten dem geneigten Zuhörer musikalische Zerstreuung via Telefon an.
von Dr. Petra Spelzhaus
Da der frühe Vogel ja bekanntlich den Wurm fängt, beginne ich eines Morgens um 8:00 mit dem Lauschen eines Telefonkonzerts. Ich wähle eine 0800-er Nummer. Die Musik eines mir unbekannten Komponisten beginnt mit einem pfeifenden Glissando. Es folgt ein Dur-Vamp im Bontempi-Sound. Ich fühle mich in meine Kindheit zurückversetzt. Hier ist der Einfluss von Kraftwerk und Startrek hörbar. Ein Raumschiff gleitet auf einer Synthesizer-Wolke durch den Orbit. Dieses Vergnügen dauert ganze drei Minuten. Dann beginnt es – weil es so schön ist – wieder von vorne. Und erneut von vorne, wieder und wieder. Herrlich, eine nicht endende Raumfahrt dank Endlosschleife. Wären da nicht die störenden Unterbrechungen: „Der nächste freie Servicemitarbeiter nimmt ihren Anruf entgegen.“ Ich lege nach einer Viertelstunde auf.
Es kommt mir in den Sinn, dass ich tatsächlich gerne einen Servicemitarbeiter sprechen würde. Schließlich stammt der telefonische Musikservice von meiner Hausbank. Diese hatte mir per E-Mail mitgeteilt, dass ein Konto, das ich nicht benutze, finanziell belastet wurde. Man bat mir großzügig einen Dispo-Kredit über 10 Euro an. Das solle ich mit einem Servicemitarbeiter besprechen.
Mein nächstes Telefonat ist erfolgreicher. Nach zehn Minuten Gleitens durchs Weltall meldet sich eine wahrhaftige Stimme. Der Kundenberater nimmt gelangweilt mein Anliegen an. Nach erfolgreicher Registrierung via Telefon-PIN legt er mich auf die nächste Warteschleife für den Mitarbeiter, der die Berechtigung hat, das Problem zu lösen. Ich hätte mir jetzt eine andere Komposition zur Unterhaltung gewünscht. Es war aber leider wieder der bekannte Synthie-Pop-Vamp. Nach einer weiteren halben Stunde hat meine Bank ein Einsehen mit mir und schmeißt mich aus der Warteschleife.
Zwischenzeitlich teste ich die Hotline einer anderen Firma aus. Es ist die des Haarkosmetik-Konzerns meines Vertrauens. Er soll mir einen Tipp geben, wie ich trotz Friseur-Lockdown einer Streifenhörnchen-Mutation entgegenwirken kann. Diese Firma hingegen hat sich darauf spezialisiert, der Kundschaft Telefon-Musik zu präsentieren, ohne dass sie jemals von einem Servicemitarbeiter unterbrochen wird. Nach jeweils einer Dreiviertelstunde wird das Telefonat seitens des Haarverschönerers abgebrochen. Aber kein Problem, man kommt durch erneutes Wählen der Nummer sofort wieder ins Kulturprogramm. Leider ist der Genuss maximal minimiert durch die grauenhafte Aufnahmequalität der Klavierklimpermusik mit ordentlich Scheppern und Hall. Nach drei Stunden habe ich genug gehört.
Es ist mittlerweile Nachmittag. Ich rufe mal wieder bei meiner Bank an, um der Weltall-Musik zu lauschen. Ich schrecke hoch, da ich schon früh von einer menschlichen Stimme gestört werde. Der Bankberater fragt nach meinem Anliegen und erwidert, er könne den Fall schon aufnehmen. Allerdings habe der entscheidungsbefähigte Kollege eine Wartezeit von einer Stunde. Die Stimme empfiehlt mir, mich um 22:00 nochmals zu melden. Da sei deutlich weniger Andrang. Schließlich habe man eine 24-Stunden Hotline. Ich vertage das Projekt.
Nach einem leckeren Abendessen und einem Filmeabend mit vorzüglichen Cocktails verschwinde ich wieder hinterm Telefonhörer. Nach einer Viertelstunde Spacemusik stelle ich das Fernsprechgerät auf laut. So kann ich das beschwingte Gefühl des Gleitens durch Raum und Zeit nutzen, während ich die Küche aufräume und zweimal die Niederlage meines Fußballvereins genieße – einmal in den Tagesthemen und einmal im aktuellen Sportstudio. Ich lausche im Bad und beim Zähneputzen.
Als ich schon bereit bin, meine Mission um einen weiteren Tag zu verlängern, greife ich um 1:06 ein letztes Mal zum Hörer. Es geschieht ein Wunder: Eine freundliche Frauenstimme wünscht mir eine gute Nacht und fragt, wie sie mir helfen könne. Ich fühle mich wie jemand, der gerade beim WDR zwecks Problembesprechung zum Nachttalker Domian durchgestellt wird. Ich rede mir meinen Kummer von der Seele. Die Dame ist erfreulicherweise so kompetent, Anliegen auch ohne neue Warteschleife zu bearbeiten. Wir tauschen fröhlich Telefon-PINs und Photo-TANs aus. Ich werde immer ekstatischer. Im Übermut lasse ich gleich noch einen Dauerauftrag ändern. Ich bin voll des Glücks und bedanke mich für das wundervolle nächtliche Gespräch. Die freundliche Kundenberaterin erwidert: „Das alles ist möglich dank Telefonbankings.“
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Hotline des sündhaft teuren Haarprodukteherstellers ist ein Flop! Geklimperte Klaviermusik in schlechter Tonqualität. Einziger Pluspunkt: Man wird auch nach 3 Stunden Musikkonsums nicht durch menschliche Nachfragen gestört.
Die Warteschleife meiner Hausbank hingegen kann ich uneingeschränkt empfehlen. Ein Tag Gleitens durch den Orbit mit einem phantastischen nächtlichen Höhepunkt. Immer wieder gerne!
Dr. Petra Spelzhaus, 23. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Spontan sprang Dr. Petra Spelzhaus, Jahrgang 1972 und wohnhaft in München, bei der Jazzahead 2019 für eine erkrankte Kollegin ein und berichtete vom Partnerland Norwegen für klassik-begeistert.de. Ehe sie sich versah, war sie Autorin. Sie qualifizierte sich schon früh für die Musiksparte, kannte sie doch bereits alle Komponisten ihres Quartett-Kartenspiels auswendig, noch bevor sie richtig sprechen konnte. Schweißtreibende Jahre folgten beim Versuch diverse Instrumente spielen zu lernen. Als Jugendliche traf sie ihre große Liebe, die Trompete. Nach zunächst klassisch geprägter Ausbildung stieß sie auf Jazz- und Weltmusik. Es fiel ihr wie Schuppen von den Ohren: „Ich will musikalisch frei sein und improvisieren.“ Namhafte Professoren unterstützen sie bei dem nahezu unmöglichen Unterfangen. Getreu ihrem Motto „Life is Jazz“ möchte die ganzheitlich tätige Ärztin Auge und Ohr auf Klassik-begeistert für die Jazzmusik öffnen. In der 14-tägig erscheinenden Kolumne „Dr. Spelzhaus Spezial“ informiert sie jeden zweiten Samstag über Medizin und Musik.