Das WDR Sinfonieorchester und Renaud Capuçon glänzen in Köln

Dvořák, Bartók und Mahler im letzten Programm der Saison, WDR Sinfonieorchester Cristian Măcelaru, Dirigent  Kölner Philharmonie, 16. Juni 2023

Foto: Cristian Măcelaru © Thomas Brill

Dvořák, Bartók und Mahler im letzten Programm der Saison.

Antonín Dvořák (1841-1904) – Romanze f-Moll für Violine und Orchester op. 11

Béla Bartók (1881-1945) – Konzert Nr. 1 für Violine und Orchester op. posth.

Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 1 in D-Dur


Renaud Capuçon, Violine
WDR Sinfonieorchester
Cristian Măcelaru, Dirigent

Kölner Philharmonie, 16. Juni 2023

von Brian Cooper, Bonn

Da geht man jahrelang fremd und hört seinen Mahler in Amsterdam, Wien, Berlin „oder, äh, sonst wo“, wie es Edmund Stoiber einst so geschliffen formulierte, und das Gute liegt doch (auch) so nah. Im letzten Programm der allmählich verklingenden Spielzeit 2022/23 beeindruckte nämlich das WDR Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Cristian Măcelaru mit einer sehr guten Ersten Sinfonie.

Es hat etwas von Coelho-Kitsch: Du musst erst aufbrechen und weit reisen, um dann festzustellen, dass es zuhause auch schön ist usw. Etliche Jahre hatte ich das WDRSO nicht gehört, die Ära Saraste hatte mich nie so recht gepackt, und zu meiner Schande gestehe ich, dass ich Cristian Măcelaru zum allerersten Mal live erlebte. Also zum Ende seines vierten Amtsjahres. Asche auf mein Haupt.

„Metzger“ bedeutet der Nachname übersetzt, erklärte mir jüngst der rumänienaffine Konzertfreund, der gerade dort Urlaub macht. Das könnte in meiner Muttersprache zu unschönen Wortspielen führen, à la „He really butchered that symphony“.

Aber mitnichten. Cristian Măcelaru kitzelt mit seinem energetischen, etwas zackig anmutenden Dirigierstil sehr viel aus dem Orchester heraus. Man spielt und hört an diesem Abend sehr aufmerksam, und es gibt viele schöne Details, die an den richtigen Stellen sogar für ein wenig Gänsehaut sorgen.

Beispielsweise der Schluss, wo Măcelaru die Hörner aufstehen lässt. Das erlebte ich zum ersten Mal vor vielen Jahren beim Beethovenfest, als Iván Fischer mit derselben Sinfonie in einem denkwürdigen Konzert mit seinen Budapestern die Beethovenhalle aus den Angeln hob. (Sie wird heute noch renoviert.) Die Berliner machten es in einer frühen Abbado-Probe automatisch, was den Maestro und Mahler-Guru irritierte; ich erinnere mich an ein amüsiertes Lächeln und so etwas wie „Was machen Sie da?“, woraus ich geschlossen habe, dass das Aufstehen des Blechs ein Effekt sein soll, der so nicht in der Partitur steht.

Es war eine feine Aufführung des WDRSO, mit vielen schönen solistischen Einzelleistungen. Viel Wärme war zu erleben, und auch wenn der Schluss für meine Begriffe ein wenig zu zügig genommen wurde, war es nie grobschlächtig, sondern einfach eine weitere Sichtweise bzw. Auffassung von vielen möglichen.

Der zweite Satz etwa kam beschwingt daher, sogar humorvoll, das Trio ruhevoll und behaglich, und die hervorragende Solohornistin, Haeree Yoo, war schon lange vor ihrem Einsatz bereit, um zum da capo des gesamten Orchesters zu rufen.

Der zügig genommene „Bruder Jakob“-Kanon wurde von Stanislau Anishchanka so fabelhaft gespielt, wie ich es sonst nur von Dominic Seldis und wenigen anderen Solobassisten gehört habe. Eine Gruppe junger Menschen war nach Konzertende im Foyer gerade dabei, Frère Jacques anzustimmen, als ich an ihnen vorbeiging. Gibt’s einen schöneren Beweis, dass es ein guter Abend war?

Zu diesem langsamen dritten Satz, der übrigens nahtlos in den vierten überging – die Huster von Köln, nach dem ersten Satz noch in ihrem Element, hatten keine Chance –, meinte mein Begleiter, da gebe es eine Stelle, die ihn an Mafiafilme erinnere. „Meinst Du die, wo es nach irgendwas zwischen Sirtaki und Zirkus klingt, die mit dem unaufdringlichen Tschingderassabum?“, frage ich, die Stelle anstimmend. „Ja, genau die!“, strahlt er. Langjährige Freunde verstehen einander halt; für Außenstehende muten solche Dialoge wohl eher merkwürdig an. Der vierte und letzte Satz hatte dann auch endgültig das, was ich in den vorangehenden Sätzen ein wenig vermisst hatte: das Viszerale.

Begonnen hatte der Abend mit zwei Werken, für die der französische Geiger Renaud Capuçon gewonnen worden war. In feinem, zartem piano begann Dvořáks op. 11, die Romanze für Violine und Orchester. „Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben“: So bewundernd äußerte sich Johannes Brahms über den Melodienreichtum des Kollegen, der wiederum das Andante seines Streichquartetts op. 9 recycelt hat, um es im op. 11 für Violine und Orchester einzurichten.

Capuçons wunderbarer Geigenton, der für meine Begriffe viel von jenem Isaac Sterns hat, fügte sich hervorragend in den schön gewobenen Orchesterteppich, den Măcelaru erzeugte. Man hörte aufmerksam aufeinander; die Violine klang hier, wie auch im folgenden Werk, edel und gesanglich.

Bartóks erstes Violinkonzert teilt dasselbe Schicksal mit jenem Sergei Prokofjews: Das jeweils zweite Violinkonzert der beiden Komponisten steht in Konzerthäusern weit öfter auf dem Programm. Dabei sind die beiden ersten Violinkonzerte ebenfalls sehr wichtige Werke. Beide sind von der Spieldauer ähnlich, beide beginnen mit einer Kantilene – das Bartók-Werk zunächst sogar ohne Orchesterbegleitung. Capuçon spielte den ersten Satz, eine einzige Liebeserklärung an Stefi Geyer, mit aristokratischem Ton, in sich ruhend und in der Höhe niemals schrill. Der wilde zweite Satz weist schon weit in Richtung Moderne, doch weil er auch noch fest in der Folklore verankert ist, liegt die Atonalität noch in weiter Ferne.

A propos Folklore: Als Zugabe gab’s ein paar kurze und sehr fetzige Bartók-Duos, die Renaud Capuçon und der Konzertmeister des WDRSO, José Maria Blumenschein, mitreißend musizierten.

Nach Konzertende gab’s Kölsch aufs Haus. Ein schöner, stimmiger Abend, wie immer an diesen lauen Sommerabenden in Köln, wenn die Menschen vor und nach dem Konzert zusammenstehen, sich angeregt unterhalten (NB: nicht während der Aufführung) und insgesamt guter Dinge zu sein scheinen.

Am Samstag gibt’s einen Livestream der zweiten Aufführung, am 4. Juli ist das Programm ab 20 Uhr auf WDR 3 zu erleben, und einen Tag später kann man es 30 Tage lang im WDR 3 Konzertplayer nachhören

Dr. Brian Cooper, 17. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Orchestre National de France, Daniil Trifonov, Klavier, Cristian Măcelaru, Dirigent Elbphilharmonie, Hamburg, 29. November 2022

WDR Sinfonieorchester Cristian Măcelaru, Dirigent, Karen Gomyo Kölner Philharmonie, 10. Juni 2022

WDR Sinfonieorchester Köln, Cristian Măcelaru, Dirigent, Denis Kozhukhin, Klavier Kölner Philharmonie, 4. Februar 2022

2 Gedanken zu „Dvořák, Bartók und Mahler im letzten Programm der Saison, WDR Sinfonieorchester Cristian Măcelaru, Dirigent
Kölner Philharmonie, 16. Juni 2023“

  1. Eine sehr stimmige Kritik, lieber Brian! Da erlebe ich mein eigenes Konzerterlebnis vom gestrigen Abend auch wieder.

    Ich muss sagen, ich war gestern sehr erleichtert, dass Cristian Măcelaru seinen Hang, das Epische in der Musik zu zertrampeln diesmal einigermaßen unter Kontrolle hatte. Für mich hat er im ersten Satz der Sinfonie und auch im Finale ein wenig zu viel Tempo gegeben, aber es war doch in solchen Grenzen, dass man den Abend gut genießen konnte. Nach vier Jahren hat er wohl doch langsam gelernt, die inneren Pferde ein wenig zu zügeln – das war ja auch bitter notwendig. Hoffentlich behält er das bei und ruiniert nicht wieder die nächste Spielsaison.

    Mahlers Erste hatte ich jetzt in diesem Jahr bereits das vierte Mal gehört und für mich war diese Aufführung vom WDR eine Spur besser, als die Aufführung vom Wuppertaler Sinfonieorchester im Januar (https://klassik-begeistert.de/sinfonieorchester-wuppertal-patrick-hahn-dirigent-angela-hewitt-piano-koelner-philharmonie-18-januar-2023/) oder vom Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin im letzten Februar (https://klassik-begeistert.de/deutsches-symphonie-orchester-berlin-robin-ticciati-leif-ove-andsnes-klavier-koelner-philharmonie-7-februar-2022/). Aber an die sehr scharf und gut akzentuierte Aufführung des Gürzenich-Orchesters im Oktober (https://klassik-begeistert.de/w-a-mozart-gustav-mahler-guerzenich-orchester-koeln-koelner-philharmonie-18-oktober-2022/) kam es dann doch nicht ganz heran. Die war aber auch wirklich auf einem meisterhaften Niveau, mit klar pointiert herausgearbeiteten Details und einem geschliffenen Klang an der Grenze zur Perfektion.

    Aber können wir mal über die erneute Einfallslosigkeit in Köln diskutieren? Wie kommt es, dass in diesem Saal wirklich regelrecht so viele Werke innerhalb einer Saison so oft von so vielen unterschiedlichen Orchestern gespielt werden? Man scheint hier ja wirklich gar nicht miteinander zu sprechen… einfach nur Pech kann das doch nicht sein! Ich hab das jetzt in den vergangenen drei Jahren mit Bruckners Vierten, Mahlers Fünften, diese Saison mit Mahlers Ersten und Schostakowitschs Fünften erlebt. An bloße Zufälle glaube ich da langsam nicht mehr – irgendwie ist das inzwischen schon auffällig.

    Liebe Grüße und bis bald wieder in Köln,
    Daniel Janz

  2. Vielen Dank, lieber Daniel!

    Zum Thema Wiederholungen bei der Programmierung, das hast Du ja schon in Deinen Kommentaren und auch im privaten Austausch öfter moniert: Ich sehe das etwas positiver als Du und finde es tatsächlich sehr interessant, dasselbe Werk in einer Spielzeit von verschiedenen Orchestern zu hören. Man kann sich ja aussuchen, welche Orchester man hören will, und wie oft. Ob es seitens der Konzerthäuser Absicht ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

    Ein Punkt übrigens noch zu Isaac Stern: Ich sollte mehr Künstlerbiographien lesen. Sie gehören zum Langweiligsten, was man lesen kann. (Ich habe selbst einige verfasst.) Die Formulierung „Einer der aufregendsten Geiger seiner Generation“ z.B. hat man schon oft ad nauseam erlitten.

    Bei Renaud Capuçon ist es nun so, dass er bei Isaac Stern studiert hat und sogar auf dessen Guarneri spielt, die ihm gehörte! Das wusste ich nicht, als ich meinen Bericht an den Herausgeber schickte. Ich kam nämlich auf Isaac Stern, weil ich, in Vorbereitung auf das Konzert, im Netz eine tolle Einspielung des Bartók-Konzerts entdeckte. Und Capuçons Art zu musizieren erinnerte mich prompt daran.

    So viel zum Thema Zufall, ich kann’s nicht belegen… Schöne Grüße!

    Brian

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