klassik-begeistert.de-Autorin Jolanta Łada-Zielke liebt die Musik Richard Wagners und besucht seit 2003 jedes Jahr die Bayreuther Festspiele. 2007 führte die polnische Journalistin und Sängerin ein Gespräch mit der Urenkelin Richard Wagners, Katharina Wagner. Dieses Gespräch erscheint hier erstmals exklusiv in voller Länge auf Deutsch.
Foto: Katharina Wagner und Jolanta Łada-Zielke 2007 in Bayreuth
von Jolanta Łada-Zielke
Katharina Wagner (* 21. Mai 1978 in Bayreuth) braucht man niemandem vorzustellen. Die Theaterregisseurin und Honorarprofessorin für Regie an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin wurde mit dem Kulturpreis Bayern, mit der Bayerischen Europamedaille und mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet … und liebt ihren Beruf wirklich. Das sagte sie mir schon bei unserem ersten Treffen. Seit 2015 ist sie alleinige künstlerische Leiterin der Bayreuther Festspiele.
2007 kam ich zum fünften Mal zu den Bayreuther Festspielen, um „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Katharina Wagners Debütinszenierung zu sehen und eine Kritik dazu für die polnische Theaterzeitschrift „Didaskalia“ zu schreiben. Außerdem sollte ich ein Interview mit Katharina Wagner für das Internet-Radio ART in Krakau durchführen. Als ich einen Termin mit ihr vom Pressebüro bekam, war ich glücklich und ein bisschen schüchtern, sollte ich mich doch mit Wolfgang Wagners Tochter, Siegfried Wagners Enkelin, Richard Wagners Urenkelin, Franz Liszts Ururenkelin unterhalten…
Natürlich war ich auf das Gespräch gut vorbereitet und wusste, dass Katharina Wagner bis dahin „Der Fliegende Holländer“ in Würzburg, „Lohengrin“ in Budapest, „Der Waffenschmied“ von Albert Lortzing in München und „Il trittico“ von Giacomo Puccini in Berlin inszeniert hatte.
Als sie den vom Pressebüro geteilten Raum betrat und unsere Blicke sich trafen, erinnerte ich mich an Fotos von Richard Wagner und Beschreibungen seines Aussehens. Überall stand über seine blauen, durchdringenden Augen geschrieben.„Sie hat seine Augen“, dachte ich. Und mein nächster Gedanke, als ich ihre Stimme hörte war: „Sie muss aber viel rauchen.“ Mein Gespräch mit Katharina Wagner konzentrierte sich auf ihr Regiedebüt.
Warum haben Sie die „Meistersinger“ zum Inszenieren gewählt?
Mein Vater bot mir das an, als die Oper schon im Spielplan stand. Ich kenne die „Meistersinger“ ziemlich gut, habe aber zwei Wochen lang überlegt, ob ich mich als Regisseurin mit dem Stück befassen kann. Dann bin ich zu dem Endschluss gekommen, dass ich das könnte und habe zugesagt.
Die „Meistersinger“ ist die einzige Oper Wagners mit vielen lustigen Momenten und mit einem Happy End…
In dem Fall benutzt man den Begriff „Komische Oper“. Auch Richard Wagner wollte sie als „Komische Oper“ bezeichnen, aber in der Partitur steht das nicht. Und ich meine, sie ist eigentlich nicht komisch, hat aber einen starken, eigenen Humor, den ich auch nicht typisch für Wagner finde. Das ist aber nicht mein Ding, die „Meistersinger“ immer mit diesem konventionellen Schenkelklopfer-Humor zu belegen.
Sie haben schon zwei Opern Ihres Urgroßvaters außer Bayreuths inszeniert: „Der Fliegender Holländer“ in Würzburg und „Lohengrin“ in Budapest. Wie waren die Bühnenbedingungen in diesen Theatern?
Das waren ganz normale Bedingungen vom Repertoire aus. In Budapest kam noch eine Dolmetscherin dazu. Dort war alles ein bisschen umständlich, weil ich wegen der Sprachbarriere keinen direkten Zugang zu manchen Mitarbeitern hatte. Im direkten Gespräch kann man mehr erreichen, als wenn man die Sprache nicht kennt und alles übersetzt werden muss. Manche Mitwirkende haben Englisch gesprochen, und die meisten Solisten konnten gut Deutsch, also konnte man sich einigermaßen gut verständigen.
In Bayreuth sind die Bühnenbedingungen speziell…
Ja, und wir haben den Luxus, dass wir das Stück im originalen Bühnenbild proben können. Wir verfügen über relativ originale Requisiten. Die Sänger bleiben die ganze Zeit hier und haben keine anderen Repertoirevorstellungen oder Verpflichtungen. Deswegen arbeiten sie hier wesentlich konzentrierter.
Ist die Arbeit bei den Festspielen leichter als anderswo, weil viele Mitwirkenden aus der Liebe zu Wagner da sind?
Ja, auf jeden Fall. Wenn die Leute nach Bayreuth kommen, machen sie das freiwillig. Ich muss sagen, der Festspielchor hier ist absolute Spitzenklasse und es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten. Die Sänger sind motiviert, sie wollen spielen; sie sind diszipliniert und hören mir zu. Auch wenn man fix und fertig am Ende jedes Probentags oder nach der Vorstellung nach Hause kommt, macht man am nächsten Tag einfach weiter. Alle wollen hier sein: die Orchestermusiker, die Chorsänger, die Solisten. Das betrifft natürlich auch die Besetzung der „Meistersinger“. Wir sind ein gutes Team, verstehen uns immens gut, und diese große Bereitschaft macht unsere Arbeit angenehmer. Das wirkt sich äußerst positiv aus. Wir haben keine Sänger, die sagen: Ich mache das, weil das mein Job ist. Sie machen das, weil sie das wirklich wollen.
Die Produktion der „Meistersinger“ 2007 traf auf widersprüchliche Meinungen. Katharina Wagner zeigte bewusst etwas Neues, Frisches, Unkonventionelles, was dem konservativen und an traditionelle Lösungen gewöhnten Publikum nicht gefiel. Diese Botschaft wurde von dem modern dargestellten Beckmesser (Michael Volle) übermittelt. Der besiegte Stadtschreiber blieb bis zum Ende der Vorstellung auf der Bühne und kommentierte das Ergebnis des Wettbewerbs mit ironischem Lächeln.
Werden die Titelhelden der Meistersinger in Ihrer Inszenierung als Hochschullehrer dargestellt?
Nicht unbedingt. Sie sehen ein bisschen wie Professoren aus, aber im Prinzip kann man diese Darstellung – hinter der ganzen Fassade – als eine gewisse Geisteshaltung nehmen. Natürlich kann das etwas Gelehrtes oder Bildungsbürgerliches sein, aber noch mehrere Assoziationen sind möglich.
Ihre Lieblingsfigur oder Lieblingsoper von Wagner?
Das ist ganz schwierig… aber ich finde die Kundry im zweiten Akt vom „Parsifal“ ganz toll. Sie verfügt über sämtliche psychologische Facetten. Zuerst kommt sie über die Mutterschiene, dann als Frau und endgültig rastet sie so aus, wie nur eine Frau ausrasten kann.
Ist der Nachwuchs in Ihrer Familie verpflichtet, etwas mit Musik und Theater zu studieren, um die Festspiele weiter leiten zu können?
Nein. Ich glaube, man kann in dem Fall von keiner Verpflichtung reden. Entweder man liebt diesen Job, zum Beispiel Regisseur, oder man wählt etwas ganz anderes. In meiner Familie wird niemandem gesagt „du musst unbedingt Regisseur werden“. Ein Beruf sollte auch eine Berufung sein. Wenn ich jeden Tag zu einer Arbeit gehe, die mich ankotzt, gerade im künstlerischen Bereich, kann ich den Job einfach nicht gut machen. Das muss ich schon wollen. Und wenn jemand überhaupt keinen Bezug dazu hat, dann um Gottes Willen nicht reinprügeln!
Es gibt Neuigkeiten, dass Sie die Festspielleitung nach Ihrem Vater übernehmen sollen. Möchten Sie das wirklich machen?
Ich kann so sagen: Theoretisch wäre ich dazu bereit. Aber Sie wissen das auch, dass das alles vom Stiftungsrat abhängt und diese Gesellschaft hat gewisse Voraussetzungen einem neuen Festspielleiter gegenüber. Man muss sich mit ihnen unterhalten, wie sie die weitere Festspielleitung sehen. Ich will nicht unbedingt die Festspielleiterin werden, um mir diesen Titel irgendwo an den Kragen zu heften. Es geht mir darum, die Festspiele aus Verantwortung und mit einem Innovationsbild zu führen, aber auch ihre Qualität zu erhalten. Wenn die Bedingungen an beiden Seiten stimmen, und die Gesellschaft davon überzeugt ist, dass wir das zusammen schaffen können, dann bin ich bereit die Festspielleitung zu übernehmen. Ich bin aber nicht dazu bereit, alles zu tun, um den Titel der Festspielleiterin zu bekommen.
Wäre das für Sie eine Herausforderung oder eher Spaß, sich mit der Musik zu beschäftigen?
Ich bin jetzt schon Theaterregisseurin und hatte immer mit der Musik zu tun. Mein Beruf macht mich extrem glücklich. Als Festspielleiterin würde ich auch mit extremen Abstrichen in diesem Beruf zu tun haben. Natürlich wird mir das auch Spaß machen, aber diese verantwortungsvolle Aufgabe – falls ich sie übernehme – wird auch Konsequenzen für meine Inszenierungstätigkeiten haben.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Ein Jahr nach unserem Gespräch wurde Katharina Wagner zusammen mit Eva Wagner-Pasquier künstlerische Leiterin der Bayreuther Festspiele, seit 2015 ist sie das alleine. In Bayreuth inszenierte sie noch 2015 „Tristan und Isolde“, außerdem „Rienzi“ in Bremen, „Tannhäuser“ in Las Palmas de Gran Canaria, „Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini und „Tiefland“ von Eugen D’Albert in Mainz.
Dieses Jahr war das Glück nicht an der Seite der leidenschaftlichen Theaterregisseurin . Wegen des Coronavirus wurden im März zuerst ihre neue „Lohengrin“-Produktion in Barcelona, dann die diesjährigen Bayreuther Festspiele abgesagt. Am 24. April hat der Nordbayerische Kurier (die lokale Zeitung in Bayreuth) über Katharina Wagners Krankheit berichtet. Sie sei „längerfristig erkrankt“. Es handele sich nicht um das Corona-Virus, der Zustand der Festspielchefin sei ernst. Deswegen könne sie die Leitung der Festspiele „bis auf weiteres“ nicht wahrnehmen.
Alle Wagnerianer verfolgen die Neuigkeiten über Katharina Wagners gesundheitlichen Zustand und – je nach der Weltanschauung – beten für ihre Genesung oder drücken ihr die Daumen. Ich wünsche ihr auch vom ganzen Herzen, dass sie sich erholt und zu dem Beruf zurückkehren kann, der sie und ihr treues Publikum so glücklich macht.
Jolanta Łada-Zielke, 16. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.