von Andreas Schmidt (Text und Fotos)
Was mag Maestro Daniel Barenboim, sichtlich von Rückenschmerzen geplagt, an diesem Samstagabend im von den Baukosten her teuersten Konzerthaus der Welt gedacht haben, als er bei Schumann I und II zu seinem Klangkörper, der Staatskapelle Berlin, blickte… und hinter den Musikern oberhalb der Brüstung ACHT Spacken-Jacken von Elphi-Besuchern anschauen musste, die achtlos dort platziert worden waren, statt an der Garderobe?
Komisch, mag der 79 Jahre alte argentinisch-israelische Weltbürger gedacht haben, beim Neujahrskonzert im Goldenen Saal des Musikvereins Wien durfte ich vor 2 Wochen nebenbei auf das weltschönste Blumenarrangement (der Wiener Stadtgärten) schauen, die Kameras haben es einfangen. Und hier, im prachtvollen Akustiktempel an der Elbe Auen, geleitet vom waschechten Wiener Christoph Lieben-Seutter, dem Generalintendanten, der auch schon das feine, prachtvolle Wiener Konzerthaus (Jugendstil vom Feinsten!) in die Spur brachte, platzieren die Leute ihre Klamotten auf Brüstungen, Sitzen und auf den feinen Holzfußböden hinter den Sitzen?
Klassik-begeistert lässt nicht locker. Wie auch beim Konzert am 5. Dezember 2021 (Philharmonisches Staatsorchester Hamburg) und beim Konzert am 10. Januar 2022 (NDR Elbphilharmonie Orchester) glich die Kult-Elphi mal wieder einem Klamottenlager mit den Jacken der Spacken. Diese Spacken sind „Klassik-Liebhaber“, die ihre Klamotten nicht an der Garderobe abgeben: Weil die Elphi-Macher die Preise im September von pro Stück von 1,5 auf 2 Euro erhöht hat, weil sie gaaaaaanz schnell nach dem Konzert wieder raus wollen, um auf die heimische Couch zu kommen oder weil sie einfach nicht wissen, dass sie nicht in einem Cinemaxx-Kino Hollywood-Filme gucken, sondern von den besten Orchestern der Welt unter den besten Dirigenten der Welt die besten Komponisten der Welt präsentiert bekommen – in einem für nicht weit von einer Milliarde Euro – steuerfinanzierten – Bau auf einem Elbspeicher, der am 11. Januar 2022 fünf Jahre geworden ist.
An diesem Abend war jackenmäßig nicht ganz so viel los wie an den bereits aufgeführten Abenden, an denen bei ca. nur 1000 Gästen je rund 200 Gäste ihre Jacken mit in den Großen Saal genommen hatten. An diesem Abend waren es bei 1800 Gästen gut 150 Spackenjacken. Je teurer die Konzerte (am Samstag bis zu 180 Euro pro Karte), desto besser die Jackenabgabe-Disziplin, so die Erkenntnis.
Geld regiert die Welt.
Das Schlimme ist: Die oft, zum Beispiel was den berühmten Elphi-Lärm angeht, pseudodemokratische Elphi – es gibt noch immer keine verlässlichen Ansagen: „Bitte verhalten Sie sich vollkommen ruhig und fotografieren und filmen sie nicht, dies wünschen die Musiker, Dirigenten und die große Mehrheit der zahlenden Zuschauer!“ – gestattet laut Hausordnung den Zuschauern sogar (auch im Internet) ihre Plünnen mit in die Säle zu nehmen!!! Die Jacken-Spacken sind also quasi „im Recht“.
Am Samstag fragte mich ein Zuschauer aus Hamburg-Wellingsbüttel: Dürfen auch Motorradhelme mit in den Saal genommen werden?
Im Wiener Konzerthaus, Herrn Lieben-Seutters letzter Arbeitsstätte, und in der Wiener Staatsoper wäre es wie in der Staatsoper Hamburg undenkbar, dass Zuschauer ihre – oft klitschnasse ! – Funktionskleidung mit in den Saal nähmen. Dies geht nur in einem Konzerthaus, in dem der pseudodemokratische Duktus – „Wir sind ein Haus für alle!“ – sinngemäß sagt: Hier kann jeder mehr oder minder machen und sein was und wie er will.
Wann sind Regenschirme und Skateboards eigentlich auch gestattet im Großen Saal, lieber Herr Lieben-Seutter?
Zahlreiche Besucher ärgern sich indes lautstark über die Jackenepidemie in Hamburgs feinem Klangtempel: „Es fehlt nur noch, dass die Leute mit Popcorn und einem 1-Liter-Becher Cola Zero den Großen Saal entern“, monierte der Wiener Musikprofessor Reinhard Rauner.
Carolin Sauter aus Bad Segeberg bei Hamburg stellte fest: „Dieses Jackendepot in der Elphi beschämt mein ästhetisches Empfinden und ist ein Affront gegen die königliche Musik, die hier von den besten Orchestern der Welt dargeboten wird. Der Gesamteindruck des architektonischen Meisterwerks wird stark ramponiert.“
„Musik hui, Sitten pfui“, brachte es die Hamburgerin Regina Schlüter auf den Punkt.
Wie klassik-begeistert.de von Elphi-Mitarbeitern erfuhr, gibt es in der Elbphilharmonie nicht nur dramatisch zu wenig Toiletten (mit Wartezeiten bis zu 25 Minuten bei den Damen – entwürdigend!), sondern auch zu wenig Kleiderhaken in den Garderoben. Die Elphi KANN in Hamburgs Schlechtwetterperiode von Oktober bis April gar nicht alle Jacken in ihren sehr überteuerten Garderoben beherbergen. Auch ich wurde bereits einmal von allen Garderoben mit meinem feuchten Mantel in den Saal gebeten, weil alle Garderobendamen mangels Platz passen mussten…
So kommt es in der Elphi zu köstlichen Szenen: In der Pause spaziert ein 37 Jahre alter Mann im feinen schwarzen Smoking und mit schwarzer Seidenfliege mit einem langen beigen Daunenmantel über den Unterarm durch Ebene 15. Als ich ihn anspreche, ob er seine Pause nicht komfortabler gestalten möge, antwortet der Wirtschafts-Anwalt: „2 Euro für ein Kleidungsstück sind mir zu teuer.“
Ein etwa 75 Jahre alter Hanseat platzierte am 10. Januar seinen piekfeinen, blauen Dufflecoat von Ladage & Oelke, dem englischen Herrenkleidermagazin seit 1845 in Hamburgs Herzen, über der Rückenlehne. Etwa 80 Zentimeter des feinen Stücks (um die 1200 Euro) schlabberten auf dem Elphi-Boden im P-Bereich, Ebene 15, so dass mehrere Besucherinnen und Besucher über das feine Stöffchen wandelten – vor der Aufführung und in der Pause. Der Hanseat braucht jetzt eine Reinigung zum Preis von mindestens 40 Euro, hat aber 2 Euro eingefuchst im von den Baukosten teuersten Konzertsaal der Welt. Wir gratulieren!
Klassik-begeistert bleibt wie bei der über zwei Jahre Publikum, Musiker und Dirigenten nervenden Lärmfrage in Sachen Toiletten-Gau und Jackendepot Elphi verlässlich am Ball. Es sind einfach zu viele Gäste genervt von der pseudoliberalen Elphi-Jacken-Politik, lieber Herr Lieben-Seutter.
„Es kann nicht sein, dass dieses hanseatische Ausnahmehaus in Sachen Ordnung, Sauberkeit und Disziplin so schlampert umgeht wie ein Vorortkino in Gramatneusiedl vor den Toren meiner Hauptstadt“, bilanzierte der Wiener Musikprofessor Reinhard Rauner.
Andreas Schmidt, 16. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
P.S. Also, liebe Jackenspacken, noch mal zusammengefasst: Die Elphioberen erlauben Euch vollkommen unverständlicherweise:
„Jacken dürfen mit in den Saal genommen werden.
Garderobengebühr: € 2.“
Lieber Herr Schmidt,
dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Gestern abend war dieses Problem sogar Thema zwischen zwei Besucherinnen der Lohengrin-Aufführung in der Staatsoper Hamburg. Denn dort wird konsequent auf die, allerdings kostenfreie, Nutzung der Garderobe hingewiesen. Insgesamt ist meiner Ansicht nach im gesamten Musikbetrieb eine grobe Missachtung des Aufführungsortes festzustellen. Manche Zuschauer tauchen in Freizeitkleidung auf, als ob sie gerade vom Campingplatz kämen. Ich halte das für eine Zumutung nicht nur den anderen Gästen gegenüber, sondern auch den vorn auf der Bühne ihr Bestes gebenden Musikerinnen und Musikern. Wahrscheinlich ist es aber ein Kampf gegen Windmühlenflügel, optische Verwahrlosung gilt mittlerweile offenbar als besonders demokratisch legitimiert.
Dr. Ralf Wegner
Bravo, lieber Andreas!
Und leider “buh!“ für die Elphi-Oberen, die ihrer klingenden, strahlenden Tochter ein würdigeres Geburtstagsgeschenk hätten machen dürfen. Die Bitte um angemessenes Verhalten in einem der wichtigsten Konzerthäuser der Welt hat nichts mit Elitarismus oder Schulmeisterei zu tun, sondern würdigt höchste Kunst, deren Ausführende und auch diejenigen, die mitunter viel Geld bezahlen, diese Kunst genießen zu können.
Dr. Andreas Ströbl
Lieber Herr Schmidt,
Ihre Entrüstung über die „Jacken-Spacken“ kann ich nachvollziehen!
Vergangene Woche durfte ich, aus dem Süden Deutschlands angereist, DIE ELPHI besuchen.
Die unbeschreibliche Architektur, die einzigartige Akustik, das Gefühl, welches mich durch das Konzert getragen hat, dies alles hat den Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis für mich werden lassen.
Meinen Besuch in der Elphi hat einzig die Tatsache dieser Untugend, die Jacken mit in den Saal zu nehmen, ziemlich beeinträchtigt.
Es kann doch nicht sein, dass man seine Garderobe achtlos, kreuz und quer nach Belieben deponiert; teilweise waren es sogar Stolperfallen.
Ein Konzertbesuch ist für mich etwas Besonderes, nicht Alltägliches, und dann so was!
Für dieses Durcheinander, schlimmer als in einer Umkleide, kann ich kein Verständnis aufbringen.
Es ist schade, dass durch das Verhalten etlicher anderer Besucher der Genuss, das Gesamterlebnis, leiden muss.
Weder verstehe ich, dass man(n)/frau nicht bereit ist, die 2 € Gebühr zu bezahlen, noch dass es überhaupt erlaubt ist, die Mitnahme der Bekleidung so zu handhaben.
In anderen Opernhäusern, Theatern gibt es diese überflüssige Problematik definitiv nicht!
Es sollte schnellstmöglichst eine Lösung gefunden werden.
Carolin Sätteli
Lieber Andreas, sehr gute Beobachtung, noch bessere Schilderung der Beobachtungen. Das ist unterhaltsamer Meinungsjournalismus an der Grenze zur Satire und damit durchaus angemessen. Am allerbesten gefallen mir die Jacken-Spacken. Es ist Dir gelungen, mit einem zynischen Schmunzeln den Dampf aus dem Kessel zu nehmen und gleichzeitig ein neues Feuer anzufachen. Unterm Strich: Gute-Laune-Lesegenuss mit einer zulässigen Watschen für die verarmten Jackenfuzzies.
Herzlichst
Reinhard Berger, Journalist
Problematisch ist einzig die Verteilung bzw. Ausschilderung der Klos. Es gibt in Hamburg nur ein großes Haus mit mehr Klos p.P. als die Elbphilharmonie: Das Ohnsorg Theater.
Elphi: 21:1 (21 Personen auf ein Klo)
Laeiszhalle: 50:1
Staatsoper: 25:1
Operettenhaus: 25:1
Schauspielhaus: 31:1
Thalia: 23:1
Ohnsorg Theater: 20:1
Maria Steppuhn
Liebe Frau Steppuhn,
merci, könnten Sie uns bitte ihre dezidierten Quellen nennen?
Herzlich
Andreas Schmidt
Lieber Herr Schmidt,
hier meine Quelle:
https://www.abendblatt.de/hamburg/elbphilharmonie/article210119483/Besucher-klagen-ueber-Toilettenmangel-in-der-Elbphilharmonie.html
mit besten Grüßen
M.S.
Liebe Frau Steppuhn,
ein sehr verdienstvoller Artikel im oft so trägen Hamburger Abendblatt, der klar aufzeigt,
dass die Toilettensituation in der Elphi (dem von den Baukosten her teuersten Konzerthaus der Welt) für die DAMEN ein krasser, entwürdigender Missstand ist, den die Architekten billigend in Kauf genommen haben…. Welche Frau steht schon gerne 25 Minuten in einer Toilettenschlange, besucht verstohlen das Herren-WC oder unterdrückt ihr Anliegen? Die Behörde für Kultur und Medien in Hamburg muss umgehend handeln. Lieber Herr Senator Dr. Carsten Brosda (SPD), der Ball liegt bei Ihnen….
Herzlich,
Andreas Schmidt,
Herausgeber
Das Problem ist auch die grundsätzliche Einstellung des Publikums. Es spricht erstmal nichts dagegen, seine Jacke mit in den Saal zu nehmen. Bei einigen Plätzen, vor allem in den oberen Rängen, ist die Garderobengebühr im Vergleich zum Kartenpreis auch nicht ganz unerheblich. Ein wirkliches Problem entsteht erst dann, wenn die Leute ihre Jacken über die Brüstung wie Badehandtücher im Ferienpark hängen. Die meisten Jacken passen in der Elphi auch unter die Sitze, da werden sie den meisten anderen nicht auffallen. Vor allem bei den äußerst großzügigen Sitzabständen.
Johannes Fischer
Moin, die freundlichen Damen u. Herren an den Eingängen der Etagen achten streng auf die Maskenpflicht. Warum nicht auf den Hinweis der Garderobe?!
Gruß Hans-B. Volmer
Wie können die Leute es wagen, den optionalen Kosten einer Gardarobe zu entgehen!
Vielen Dank für diesen äußerst wichtigen Beitrag in dieser Gesellschaft. Man muss sich ja auch mal über die Jacken der Spacken aufregen dürfen, anstatt einfach gemeinsam die Musik zu genießen!
Fixi Hartmann