Elīna Garanča im Wiener Konzerthaus: Eine bodenständige Diva feiert Geburtstag

Elīna Garanča, Karel Mark Chichon, Wiener KammerOrchester,  Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 16. September 2019

Es ist der 43. Geburtstag der lettischen Mezzosopranistin, den sie mit Sicherheit nicht so schnell vergessen wird. Animiert durch ein „Happy Birthday“ von der Tribüne, stimmen am Ende rund 1900 begeisterte Zuschauer im Wiener Konzerthaus ein Geburtstagsständchen an, das die so anmutig und unnahbar scheinende Lady zu Tränen rührt.

Foto: Elīna Garanča © Gregor Hohenberg / Deutsche Grammophon (Ausschnitt)
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 16. September 2019
Elīna Garanča, Mezzosopran
Karel Mark Chichon, Dirigent
Wiener KammerOrchester

von Jürgen Pathy

Eine Prinzessin kommt selten alleine! Elīna Garanča, gefeierte Operndiva und für viele die beste Mezzosopranistin unserer Zeit, zieht wie üblich im Zweiergespann durch die Lande. Seit 2006 glücklich mit Dirigent Karel Mark Chichon verheiratet, gibt das Ehepaar im Wiener Konzerthaus nicht nur einen viel umjubelten Konzert– und Arienabend, sondern feiert noch dazu einen ganz besonderen Tag. Es ist der 43. Geburtstag der lettischen Diva, den sie mit Sicherheit nicht so schnell vergessen wird.

Animiert durch ein „Happy Birthday“ von der Tribüne, stimmen am Ende rund 1900 begeisterte Zuschauer ein Geburtstagsständchen an, das die so anmutig und unnahbar scheinende Lady zu Tränen rührt. Doch der Schein trügt. Wer die zweifache Mutter, Hausfrau und begnadete Köchin via Social Media verfolgt, weiß wie bodenständig die in Riga geborene Sängerin ihren Alltag bestreitet. Elīna Garanča wühlt im hauseigenen Gemüsegarten, stemmt den Haushalt und bewirtet, wann immer sie Zeit hat, eine mehrköpfige Familie. Eine ganz normale Frau, könnte man meinen. Nicht ganz.

Auf der Bühne, da verwandelt sich Elina in die Garanča. Da liegen ihr die Männerherzen zu Füßen, da entfacht in der nach außen kühlen Blonden ein lodernder Vulkan. Zumindest im zweiten Teil des Abends, der von französischem und spanischem Repertoire dominiert wird. Den Körper in einen roten Rock gehüllt, der bis zum Boden reicht, weißer Bluse und roter Nelke im Bund, springt ihr unbändiges Feuer nun auch endgültig aufs Publikum über.

© Paul Schirnhofer/DG

Mit viel Leidenschaft, Intensität und Herz beseelt, treffen die Interpretationen mir völlig unbekannter Komponisten endlich ins Mark. Mit „Musica proibita“ von Stanislao Gastaldon (Arr.: Karel Mark Chichon) verströmt sie die Süße des italienischen dolce vita, mit „Lela“ von Rosendo Mato Hermida viel Herzschmerz und Nostalgie. Selbst das Wiener Kammerorchester legt nun endlich die nötige Spielfreude an den Tag und verpasst diesem Mix aus feurig-sehnsüchtigen Klängen einen typisch wienerischen Anstrich, der durchdrungen ist von viel Walzerluft und „mahleresker“ Tiefe. Das Publikum tobt, wie vor der Pause nicht Mal ansatzweise erlebt.

Dort konnte die Garanča nicht überzeugen. Mich zumindest nicht. Geprägt war dieser erste Teil durch Arien berühmter Opern Giacomo Puccinis, Francesco Cileas und Giuseppe Verdis. Mögen die Kritiken 2017 noch so frenetisch gewesen sein, als Elina Garanča ihr lange ersehntes Debüt als Eboli in „Don Carlos“ gefeiert hatte, emotional erreichen mich die beiden Arien der Prinzessin, die auch an diesem Abend auf dem Programm stehen, überhaupt nicht. Das Publikum anscheinend ebenso wenig. Zwischen frenetischen Jubelstürmen und bravem Applaus mit Alibi-Charakter liegen doch noch Welten.

Keine Frage: Wer bei der Garanča von „technisch höchstem Niveau“ spricht, der betreibt beinahe Understatement pur. Wer bei dieser trotz dramatischerer Färbung noch immer agilen und wendigen Stimme den Ausdruck „saubere Koloraturen“ in den Mund nimmt, der beleidigt fast schon die Vielseitigkeit dieser großen Künstlerin. Und wer bei dieser Wucht und Durchschlagskraft nicht in bloßes Staunen verfällt, der sollte sich lieber ein Hörgerät beschaffen.

Doch saubere Töne sind nicht der Weisheit letzter Schluss! Nüchternheit und nordische Kühle erreichen fröstelnde Temperaturen. Da helfen auch kein tief ausgeschnittenes Dekolleté, funkelnde Hochkaräter an den Ohren und eine Präsenz à la Marilyn Monroe, mit der Elīna Garanča während der ersten Hälfte des Abends alles in ihren Schatten stellt.

© Paul Schirnhofer/Deutsche Grammophon

Von den dramatischen, seriösen Arien kann mich nur die allerletzte Zugabe überzeugen. Befreit nach so viel Zuwendung und Standing Ovations gibt sie die berühmte Arie der Carmen aus Georges Bizets gleichnamiger Oper. Mit so viel Laszivität und erotischer Koketterie kann man ein Publikum  letztendlich um den Finger winkeln, den Abend gebührend ausklingen und den Gatten, der zuvor schon auf die Couch verbannt wurde, vor Neid erblassen lassen.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 17. September 2019, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi
Ouverture zu »Luisa Miller« (1849)
Nel giardin del bello saracin (Schleierlied der Eboli aus »Don Carlos«) (Libretto: Méry und Du Locle, nach Schiller) (1867)

Giacomo Puccini
Intermezzo 3. Akt (Manon Lescaut) (Libretto: Leoncavallo, M. Praga u. a., nach Prévost) (1893)

Francesco Cilea
Ecco! Respiro appena… Io son l’umile Ancella (Arie der Adriana aus »Adriana Lecouvreur«) (1902)

Giuseppe Verdi
Ouverture zu »La forza del destino« (1862)
O don fatale »Verhängnisvoll war das Geschenk« (Arie der Eboli aus »Don Carlos«) (Libretto: Méry und Du Locle, nach Schiller) (1867)

***

Federico Chueca
Prelude zu »El bateo«

Edvard Grieg
T’estimo (Bearbeitung: Langley)

Stanislao Gastaldon
Musica proibita (Bearbeitung: Karel Mark Chichon) (1881)

Franz von Suppé
Ouverture zu »Leichte Kavallerie« (1866)

Rosendo Mato Hermida, Alfonso Daniel Rodríguez Castelao
Lela (Bearbeitung: Durán)

Carlos Gardel
El dia que me quieras. Tango Canción (Bearbeitung: Karel Mark Chichon)

Jeronimo Gimenez
Intermezzo (La Boda de Luis Alonso)

Pablo Sorozabal
No puede ser (La tabernera del puerto)

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