Komische Oper Berlin, DIE TOTE STADT – Premiere: Tolle Besetzung, lautes Orchester, belanglose Regie

Erich Wolfgang Korngold: Die tote Stadt,  Komische Oper Berlin

Sara Jakubiak, Aleš Briscein. Copyright: Iko Freese/drama-berlin.de (c)
Komische Oper Berlin: Premiere, 30. September 2018
Erich Wolfgang Korngold: Die tote Stadt

„Du bist ja fromm! Ja, wer dich liebt, der muss teilen mit Toten und mit Heiligen. Ich aber, hör mich, ich will dich gar nicht – oder ganz.“ Marietta

von Dr. Ingobert Waltenberger (onlinemerker.com)

Während im Ersten deutschen Fernsehen (ARD), das nicht gerade für sein jugendliches Publikum bekannt ist, mit „Babylon Berlin“ gerade die aufregendste TV-Serie aller Zeiten über das zügellose Berlin der 1920er-Jahre anläuft (und sogar den kultigen Sonntags Tatort verdrängt), herrscht in der für ihre flott-ironisch-sexy-Aufführungen hochgelobten Komischen Oper gepflegtes Mittelmaß. 

Die erste Premiere der Saison ist der „Toten Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold gewidmet. Der spätromantische Komponist erlebt in Berlin nach der überaus gelungenen Wiederbelebung der Oper  „Das Wunder der Heliane“ gerade eine Renaissance. Für die Inszenierung hat man den kanadischen Mainstream-Regisseur Robert Carsen engagiert, der damit auch sein Hausdebüt in der Behrenstraße absolvierte. Und wo Carsen draufsteht, da ist auch Carsen drin. Er und sein Team (Michael Levine Bühnenbild, Petra Reinhardt Kostüme, Rebecca Howell Choreographie, Peter van Praet Licht, Will Duke Video) lassen das Stück in der Zeit der Entstehung also den wilden 1920er-Jahren  spielen. Keine schlechte Idee, wenn so ein Konzept (diesmal ganz ohne Berliner Lokalkolorit) stimmungsvoll und spannend umgesetzt wird.

Für den Psychothriller rund um den bigotten Psycho Paul, der auf Blond steht, aber ein Problem mit starken selbstbewussten Frauen hat, hat Michael Levine als Bühnenbild ein karg möbliertes, steriles Schlafzimmer im großbürgerlichen Stil geschaffen. Die Drehbühne hilft beim minimalen Szenenwechsel. Einmal das Bett von vorn, im dritten Akt dann von hinten. Etwas lebendiger wird es nur im zweiten Akt, als Marietta und ihre Tänzerclique samt Liebhaber die Totenerweckung der Helene im Ballett aus Giacomos Meyerbeers Oper „Robert le Diable“ imitiert.  Da glittert und flittert es wie in einer Hollywood-Show, Marietta wird in eine türkisblaue Federboa gewickelt auf dem Kristallluster nach unten transportiert. Das war wohl als eine augenzwinkernde Hommage an den Filmkomponisten Korngold gedacht. 

„Die tote Stadt“ ist eine Oper zwischen (Alb)Traum und Wachen, eine unentschiedene manisch depressive Geschichte rund um Geschlechterkampf, ontologischer Verunsicherung des Antihelden Paul und individuellen Umgang desselben mit Verlassensein und Einsamkeit. Aber auch ein Stück über die verführerische Tänzerin Marietta, eine zweite Lulu, die sich Männer nimmt und sie wieder wegwirft, wie es ihr passt.  Allerdings bleibt vieles (absichtlich) unklar, wie die Herkunft und genaue Identität des Protagonisten Paul und seines „Freundes „Frank“. Nicht ausgeprochen ist auch, wie Pauls Frau, Marie, ums Leben gekommen ist, oder ob sie ihren Mann nur verlassen und als Andenken ihren blonden Haarzopf dagelassen hat. Jedenfalls ist Pauls Haus nun ein Museum für Marie, eine „Kirche des Gewesenen“, in die er die blonde Marietta und mit ihr ein Verhältnis beginnt. 

Robert Carsen konkretisiert das Ungesagte und lässt Paul hinter einem Gazevorhang sich selbst dabei beobachten, wie er Marie erwürgt. Am Ende, wenn er mit dem in einem gläsernen Reliquienschrein aufbewahrten Haarschopf Maries Marietta stranguliert hat, kommen Frank und Brigitta in weißem Kittel auf die Bühne und führen Paul wohl ins Irrenhaus ab. Banales Regietheater aus der Retorte, das der Oper viel von ihrem Zauber und ihrer Poesie nimmt. 

Das Problem ist überhaupt, dass der Abend trotz dieser einigermaßen präzise skizzierten Ideen nicht zündet. Die Figuren bleiben final blass, eine statische Personenregie tut das ihrige, damit das Drama nicht an Sog aufnimmt.  

Dabei ist die Besetzung ganz vorzüglich: Sara Jakubiak, noch in bester Erinnerung mit ihrem Sensationserfolg an der Deutsche Oper Berlin in der Titelpartie von „Das Wunder der Heliane“ in der gelungenen Regie von Christof Loy, ist eine stimmlich erstklassige Marietta. Mit cremig samtigem Sopran, flutenden Legatobögen und sicheren Akuti durchmisst sie alle Höhen und Tiefen dieser Korngold‘schen „Salome“. Ihrem Lied im ersten Akt „Glück das mir verblieb“ fehlte vielleicht noch ein wenig an Schmelz und Wärme, insgesamt ist aber von einer herausragenden stimmlichen Performance zu berichten.

Der tschechische Tenor Aleš Briscein in der höllenschweren Partie des Paul hat ebenfalls eine von Durchhaltevermögen und technischer Sicherheit her bewundernswerte Leistung erbracht. In den Piani-Höhen wechselte er bisweilen ins Falsett. Sein instrumental geführter Tenor verfügt nicht über großartigen Schmelz oder eine bedeutende Farbenpalette, dennoch hat er mich insgesamt auch in der Darstellung als geschundene Natur, der aus Unvermögen und nicht gefestigter Persönlichkeit heraus zum Mörder wird, am meisten überzeugen können.

Der Berliner Publikumsliebling Günter Papendell in den Baritonrollen von Frank und Fritz, der Pierrot, singt zwar tadellos, bleibt an diesem Abend aber seltsam unbeteiligt. Marisa Fiselier ist eine energische Haushälterin Brigitta, die auch über gut abschattierte Zwischentöne verfügt. Die kleinen Rollen der Juliette, der Lucienne, des Victorin und des Grafen Albert sind bei Georgina Melville, Marta Mika, Adrian Strooper und Ivan Turšić gut aufgehoben. Chorsolisten, Kinderchor und Chor der Komischen Oper sind gut, haben aber diesmal nicht viel zu tun. 

Von der musikalischen Leitung durch den neuen Generalmusik der Komischen Oper Berlin, Ainārs Rubiķis, hatte ich mir mehr erwartet. Er dirigiert das Stück wie eine große sinfonische Dichtung, ohne allzu sehr auf die Sänger zu achten. Ein instrumentaler Rausch sondergleichen ergießt sich aus dem Orchestergraben, bisweilen für meine Ohren aber eindeutig mit zu hohen Dezibel. Finessen der Partitur, das Pralinenhafte der Lyrik sowie die Zuckerwatte der Lieder bleiben so auf der Strecke. Vielleicht muss auch noch ein wenig geprobt werden. Fluidum, Fluss und bessere Koordination zwischen Bühne und Orchester können sicher noch eine Steigerung erfahren. 

Der Schlussapplaus war für die Verhältnisse der Komischen Oper mau. Einige harmlose Buhs, wenige Bravos für das Produktionsteam, verhalten sich steigernder Jubel für die Solisten und das Orchester.

Anm.: Die heutige Vorstellung wurde live im Internet über www.OperaVision.eu übertragen und ist noch sechs Monate verfügbar. Die nächste geplante Übertragung der Saison 2018/19 ist die Uraufführung von Moritz Eggerts „M-Eine Stadt sucht einen Mörder“ (Regie: Barrie Kosky) am 5. Mai 2019.

Weitere Vorstellungen gibt es noch am 6., 14. und 31. Oktober, 18. und 28. November , 14. und 25. Dezember sowie am 28. Juni 2019

Dr. Ingobert Waltenberger, 1. Oktober 2018

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