Karl V inmitten von Wassermassen, Feuerflammen und Fantasie-Kostümen: Kreneks Zwölftonoper überwältigt München

Ernst Krenek, Karl V, Bayerische Staatsoper, 21. Februar 2019

Foto: © Felix Löchner, Bayerische Staatsoper
Bayerische Staatsoper
, 21. Februar 2019
Ernst Krenek, Karl V

von Anna-Maria Haberberger

Die Welt unter dem Kreuze Christi. Eine epische Konzeption, die ausschöpfender nicht sein könnte. Karl V in ausgereifter Pracht alleine auf der Bühne. Inmitten von knietiefen Wassermassen auf der ganzen Bühne, von Feuerflammen, Drehpunkten und einem nicht mehr ganz irdisch-bewegten Bühnenspektakel findet Kreneks Oper, das erste dodekaphone Musiktheaterwerk der Geschichte, in der Bayerischen Staatsoper statt. Überwältigend donnert die Stimme Gottes isotrop-sphärisch durch die gesamte Oper und sucht den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches auf, der zu Beginn alleine und mit fragmentarischer Krone bedeckt ist.

Der Kaiser wird von der Stimme Gottes ermahnt, er habe sein Handeln vor dem Jüngsten Gericht zu verantworten. Dabei werden einzelne Anekdoten aus dem Leben Karls V nach und nach beleuchtet. Karl versucht während der gesamten Oper seine Taten und Lebensstationen gemeinsam mit Juan, seinem Beichtvater – von Janus Torp gesprochen –, zu deuten. Es entwickelt sich ein Wechselspiel aus Gegenwart und Vergangenheit, aus Individuum und Gesetz. Karl rekapituliert unmittelbar vor dem Tod seinLeben, während er einem stetig ablaufenden, inneren Kampf ausgesetzt ist, der sich im Vordergrund der Bühne abspielt. Just steht Karls Todesstunde bevor, wobei vier Uhren auf seine abgelaufene Lebenszeit hinweisen und letztlich sein Werk, die Welt als Einheit in Gott zu verbünden, unvollendet bleibt.

© Wilfried Hösl

Melodramatische, mikrophonverstärkte eingesprochene Stimmen wie auch Videomitschnitte in XXL Größe auf Leinwand projiziert, verstärken das spannungsvolle Ambiente. Noch eindrucksvoller und aufgeladener wird die Raffinesse, als die Tänzergruppe La Fura dels Baus hängend, schwebend, mitten im Publikum des Parketts kriechend und verstreut auf der gesamten Opernbühne das Spektakel aufpeppt. Die Spanierin Lila Cabellut steckt das Ensemble in fantasiereiche Kostüme und verwandelt die Bühne in eine Schau-Blase voller Illustrationen. Dabei alle in Gummistiefeln, um die Wassermassen auf der Bühne zu bewältigen.

© Wilfried Hösl

Der Höhepunkt des Abends ist der brillant inszenierte Karl V alias Bo Skovhus. Sowohl schauspielerisch, als auch sängerisch und als Gesamtpaket betrachtet, schöpft der standhafte Kaiser alles nur Mögliche aus ihm heraus. Virtuose Passagen dieser äußerst originellen und technisch anspruchsvollen, musikalischen Teile meistert er en point! Ein voller Klang, zugleich klar und deutlich, wie auch rund und kontrolliert, zeichnet seine Stimmfarbe aus – die Rolle wie gemacht für den Dänen.

Auch bei allen anderen Rollen hat die Bayerische Staatsoper keinen Aufwand gescheut, diese riesig und hervorragend zu besetzen. Okka von der Damerau ebenso wie Anne Schwanenwilms erzeugten trotz ihres kurzen Auftrittes einen wunderbaren Klang, der die Zuschauer bezaubert. Gun-Brit Barkmin singt strahlend und mit voller Überzeugungskraft die Rolle der Eleonore, allerdings erst nach einer notwendigen Steigerung aus einem stimmlich nicht ganz geglückten ersten Akt. Die Stimme klirrte in hohen Passagen anfangs doch merklich.

Nicht so ganz überzeugt leider Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, der die Balance zwischen Orchester und Sängern noch nicht ganz verinnerlicht hatte und deshalb immer wieder in stimmlicher Kraft instabil wirkt.

Herausragend die Leistung im Orchester. Perfektionistisch ausgearbeitete Polyrhythmik, die das Zusammenspiel zwischen Orchester und Sängern unter der Leitung des Dirigenten Erik-Nielson zu einem Spektakel machen. Kreneks Komposition spielt hier auf den Moment hin. Es scheint, als wäre jeder Klang im Orchester, jedes Instrument und jeder Ton vereint und stünde gleichsam mit Text, Gesang und instrumentaler Sonorität. Bei solch einer spieltechnisch virtuosen Opernmaterie nicht ganz leicht zu erreichen, doch Nielson könnte die Fäden aller Beteiligten nicht besser im Griff haben. Hoch elektrisierend und voller innerer, düsterer und zugleich warmer Spannung musiziert das Orchester diesen wuchtigen Klangapart von Kreneks dodekaphoner Oper, die sich partiell sogar Mahlerische Klänge einholt. Musikalisch wie auch bildhaft ist die Münchner Neuinszenierung von Kreneks Karl V ein voller Genuss!

Anna-Maria Haberberger, 23. Februar 2019, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung, Erik Nielsen
Inszenierung, Bühne, Carlus Padrissa – La Fura dels Baus
Regie Mitarbeit, Esteban Muñoz
Bühne, Kostüme, Video, Lita Cabellut
Video, Marc Molinos
Licht, Michael Bauer
Spezialeffekte,Thomas Bautenbacher
Chöre, Stellario Fagone
Dramaturgie, Benedikt Stampfli
Karl V. , Bo Skovhus
Juana, seine Mutter, Okka von der Damerau
Eleonore, seine Schwester, Gun-Brit Barkmin
Ferdinand, sein Bruder, Dean Power
Isabella, seine Gattin, Anne Schwanewilms
Juan de Regla, sein Beichtvater, Janus Torp
Francisco Borgia, Jesuit, Scott MacAllister
Pizarro,  Kevin Connors
Franz I., Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Frangipani,  Kevin Conners
Luther, Michael Kraus
Ein Anhänger Luthers, Dean Power
Sultan Soliman, Peter Lobert
Sein Hofastrolog, Kevin Conners
Erster Geist / Erste Uhr, Mirjam Mesak
Zweiter Geist / Zweite Uhr, Anaïs Mejías
Dritter Geist / Dritte Uhr, Natalia Kutateladze
Vierter Geist / Vierte Uhr, Noa Beinart
Eingesprochene Stimmen von
Papst Clemens VII.,
Ein Kardinal, Alba,
Ein protestantischer Hauptmann,  Mechthild Großmann

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

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