Fünf Zugaben und stehende Ovationen: München feiert Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch – ein Abend zwischen Kunst und Kalkül

Festspiel-Liederabend Jonas Kaufmann  Nationaltheater München, 24. Juli 2025

Festspiel-Liederabend Jonas Kaufmann © Geoffroy Schied

FESTSPIEL-LIEDERABEND JONAS KAUFMANN

Jonas Kaufmann, Solist
Helmut Deutsch, Pianist

Nationaltheater München, 24. Juli 2025

von Barbara Hauter

Mit gemischten Gefühlen erleben wir den frenetischen Jubel des Münchner Festspielpublikums. Ja – Jonas Kaufmann und sein langjähriger Begleiter Helmut Deutsch präsentieren einen empfindsamen, atmosphärisch dichten Liederabend, der durch präzise Artikulation, klangliche Differenzierung und eine fast kammermusikalische Intimität im Opernsaal beeindruckt. Und doch: Die Spuren der Anstrengung sind nicht zu überhören. Kaufmann scheint lange mit der Stimme gegen den Saal zu arbeiten. Erst im zweiten Teil löst sich die Spannung, und in den Zugaben klingt seine Kunst so frei und beweglich, wie man sie sich von Beginn an gewünscht hätte.

Schubert: „Die Bürgschaft“ D 246 – dramatisches Erzähltheater

Zu Beginn spielt Jonas Kaufmann seine größte Stärke aus: das szenische Singen. In Schuberts seltener, großformatiger Ballade „Die Bürgschaft“ (1815, nach Schiller) brilliert er als stimmlicher Gestalter dramatischer Rollen. Kaufmann erzählt zunächst leicht, fast plaudernd, steigert sich aber mit klarem Rollenwechsel in den dramatischen Höhepunkten bis zum eruptiven Finale. Man hört das Donnern der Fluten, das Klirren der Gefahr, das Zittern der Rettung. Nie verliert er dabei die stilistische Kontrolle – keine Spur von Pathos, keine gesuchte Effekthascherei. Eine sängerische Mini-Oper im besten Sinn, die verdient Applaus findet.

Festspiel-Liederabend Jonas Kaufmann © Geoffroy Schied

Schuberts Heine-Lieder (Schwanengesang D 957): Gefühl und Distanz

Mit den sechs Heine-Liedern aus dem „Schwanengesang“ ändert sich der Ton – von der epischen Erzählung zur introspektiven Seelenlandschaft. Kaufmanns Interpretation bleibt dabei oft auf der Seite des Deklamatorischen: „Der Atlas“ ist mächtig, aber wirkt emotional kontrolliert. „Ihr Bild“ fasziniert durch das perlende Klavierspiel von Helmut Deutsch, doch Kaufmann bleibt merkwürdig unberührbar. „Das Fischermädchen“ fehlt das charmante Zwinkern. „Die Stadt“ gelingt als düsteres Klanggemälde – hier entstehen aus stumpfem Gesang und fahlem Ton atmosphärische Bilder. In „Am Meer“ beginnt sich der Sänger stimmlich zu öffnen, die Tonflächen weiten sich, der Ausdruck gewinnt Tiefe. In „Der Doppelgänger“ schließlich, diesem musikalischen Abgrund aus Schmerz und Selbstbegegnung, trifft Kaufmanns Kühle auf die Radikalität der Musik – beunruhigend und beklemmend. Der Applaus ist höflich – ehrliche Begeisterung will noch nicht aufkommen.

Schumann: Kerner-Zyklus op. 35 – Wandlung zur Innerlichkeit

Erst nach der Pause, mit Schumanns „Zwölf Gedichten von Justinus Kerner“ (1840), beginnt sich der Sänger wirklich zu entfalten. Der Zyklus ist ein lyrisches Tagebuch zwischen Natursehnsucht, Einsamkeit, Freundschaft und Todesnähe. Der stürmische Auftakt „Lust der Sturmnacht“ überzeugt mit klaviermotorischer Energie. Doch in der Folge bleibt vieles auf demselben Ausdrucksniveau – Kontraste sind angedeutet, aber nicht ausgeschöpft. Kaufmanns Interpretation wirkt bis zum sechsten Lied wie im inneren Widerstand gegen die feingliedrige Struktur der Musik.

Doch dann – plötzlich – ein Wandel: Mit „Auf das Trinkglas eines verstorbenen Freundes“ und „Wanderung“ öffnet sich der Klang. Kaufmann singt nun mit freier, atmender Stimme, weich in der Linie, klar im Ausdruck. In „Stille Liebe“ gelingt ihm jene intime, von innen leuchtende Interpretation, die berührt. Die letzten Lieder des Zyklus – darunter das rätselhaft schöne „Alte Laute“ – gehören zum Besten des Abends.

Festspiel-Liederabend Jonas Kaufmann © Geoffroy Schied

Nachklang

Es folgen fünf Zugaben, leicht, frei, spielfreudig. Jetzt ist die Stimme da – offen, klar, präsent. Das Publikum steht, jubelt, feiert seinen Lokalmatadoren. Und doch bleibt ein Nachklang des Zwiespalts:
Jonas Kaufmanns Kunst ist makellos durchdacht, technisch souverän – aber nicht immer berührend.
Helmut Deutschs Klavierspiel dagegen: ein Ereignis. Wie er im riesigen Opernsaal zarteste Pianissimo-Perlen webt, ist ein Meisterstück feinster Liedkunst.

Festspiel-Liederabend Jonas Kaufmann © Geoffroy Schied

Ein Abend zwischen äußerster Kontrolle und spät aufblühender Emotion. Zwischen Konzert und Theater. Zwischen Kunst und Kalkül.

Barbara Hauter, 25. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Franz Schubert (1797–1828)
Die Bürgschaft D 246 (Friedrich Schiller)

Franz Schubert
Lieder nach Gedichten von Heinrich Heine
aus Schwanengesang D 957
Der Atlas
Ihr Bild
Das Fischermädchen
Die Stadt
Am Meer
Der Doppelgänger

PAUSE

Robert Schumann (1810–1856)
Zwölf Gedichte op. 35 (Justinus Kerner)
1. Lust der Sturmnacht
2. Stirb, Lieb’ und Freud’!
3. Wanderlied
4. Erstes Grün
5. Sehnsucht nach der Waldgegend
6. Auf das Trinkglas eines verstorbenen Freundes
7. Wanderung
8. Stille Liebe
9. Frage
10. Stille Tränen
11. Wer machte dich so krank?
12. Alte Laute

Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch, Liederabend Bayerische Staatsoper, Münchner Opernfestspiele, 11. Juli 2024

Festspiel-Liederabend: Jonas Kaufmann Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 23. Juli 2022

Sommereggers Klassikwelt 24: Jonas Kaufmann – Kunst versus Kommerz klassik-begeistert.de

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