Ein Gespräch mit der Organistin Hyunjoo Na
Während eines einfachen Taufgottesdienstes in St. Ansgarii in Bremen habe ich wieder herausgefunden, wie klein die Musikwelt ist. Zunächst bin ich, wie es häufig heute vorkommt, auf Corona-Einschränkungen gestoßen, diesmal hinsichtlich der musikalischen Begleitung der Zeremonie. Ein Mitglied der Pfarrgemeinde sang allein am Altar und die übrigen Gläubigen durften das nicht mitmachen, obwohl alle Masken trugen. Als ich bei dem Lied „Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen“ anfing, die Melodie eine Terz höher zu summen, hörte ich seitlich sofort: „Bitte nicht mitsingen!“ Ich wollte diese Person fragen, warum wir überhaupt Liederbücher bekommen hatten, wenn wir nur zuhören sollten.
von Jolanta Łada-Zielke
Das unangenehme Gefühl verflog jedoch schnell, als ich die Organistin spielen hörte. Während des Gottesdienstes führte sie zwei klassische Musikstücke aus dem Frühbarock auf. Sie spielte die kleine Orgel am Altar, ich konnte also ihre Hände sehen, wie effizient und mit welchem Gefühl sie sich über das Manual bewegten. Und dieser wunderschöne Klang! Nach dem Gottesdienst ging ich sofort auf sie zu, um ihr gegenüber persönlich meine Begeisterung auszudrücken. Und hier traf mich eine riesige Überraschung; mit freudigem Erstaunen erfuhr ich, dass diese Organistin eine ehemalige Studentin von meinem Professor Joachim Grubich ist. Ihm habe ich einst mein Lied über das Orgelpfeifchen gewidmet.
Die aus Südkorea stammende Hyunjoo Na ist Organistin an der Simon-Petrus-Kirche und St. Johannes Kirche in Bremen Arsten-Habenhausen. Bei diesem Taufgottesdienst in St. Ansgarii musizierte sie als Gast. Die zwei Stücke, die sie aufführte, waren die d-Moll-Toccata von Johann Caspar von Kerll und „Mein junges Leben hat ein End“ SwWV 324 von Jan Pieterszoon Sweelinck – ein philosophisches Stück, wie sie selbst sagt.
Ich wollte mehr über diese hervorragende Organistin erfahren und fragte zunächst nach dem Verlauf ihrer Musikausbildung:
„Im Alter von sechs Jahren fing ich an, Klavier zu spielen“, erzählt Hyunjoo. „An der Chongshin Universität in Seoul habe ich Kirchenmusik mit den Schwerpunkten Klavier- und Orgelmusik gewählt. In Südkorea sieht das Programm dieses Studiums ähnlich wie in Europa aus, wir lernen auch Liturgik und ein bisschen Theologie. Viele Südkoreaner sind Christen, obwohl unsere Kultur stark im Buddhismus verwurzelt ist.
Wie sind Sie dazu gekommen, bei Professor Joachim Grubich zu studieren?
Ich habe ihn noch während meines Studiums in Korea kennengelernt, weil er in Seoul 1994–95 als Gastprofessor tätig war. Ich habe drei Semester in Korea und dann ein Semester in Warschau bei ihm studiert, weil er mich überredet hatte, nach Polen zu kommen. Damals war ich noch sehr jung und hatte wenig Erfahrung. Professor Grubich motivierte mich und zeigte mir den richtigen Weg. Er war ein anspruchsvoller, aber auch sehr netter Lehrer für mich. Er wollte, dass ich an der Frédéric-Chopin-Musikhochschule in Warschau bleibe, aber ich traf die Entscheidung, mich in Deutschland, vor allem in der Orgelimprovisation weiterbilden zu lassen.
Sie haben in Deutschland Ihre Weiterbildung an vielen Orten gemacht?
Ja, mein erster Ort in Deutschland war die Johann-Sebastian-Bach-Stadt Leipzig und die dortige Hochschule für Theater und Musik, die mich auf das weitere Studium und auf mein Leben in Deutschland vorbereitete. Ich hatte meinen ersten Studienplatz in Dresden, danach war ich in Halle an der Saale, der Stadt von Georg Friedrich Händel, wo ich Orgelimprovisation und Orgelliteratur bei Martin Stephan an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik erlernte. In Dresden legte ich dann meine Orgelmasterprüfung ab. Dann machte ich ein Aufbaustudium in Bremen, zunächst bei Eckhart Kuper und im Anschluss daran im Bereich Alte Musik bei Professor Harald Vogel, Professor Edoardo Bellotti und Professor Hans Davidsson.
Auf Ihrem Facebook-Profil steht, Sie sind auch Cembalistin.
Das Cembalospielen war mein Nebenfach im Studium. Ab und zu begleite ich ein Barockensemble in Bremen und spiele Basso Continuo.
Einige Organisten machen große Karriere und geben Konzerte, andere spielen in Gottesdiensten. Aber Sie tun beides mit Erfolg, nicht wahr?
Ja, ich mache gerne beides, nicht nur in Deutschland, sondern überall. Als Organistin, die ausschließlich Konzerte gibt, wäre es für mich schwer zu überleben. Übrigens habe ich dafür Kirchenmusik studiert, um in der Kirche zu spielen. Das war von Anfang an mein Ziel. Die Konzerte gebe ich auch mit großem Vergnügen. Natürlich fällt es jetzt wegen Corona schwer, Musikveranstaltungen zu organisieren. Trotzdem habe ich einen Zyklus der Sommer-Orgelkonzerte unter dem Namen „OrgelPlus“ an der Simon-Petrus-Kirche in Habenhausen und an der St. Johannes Kirche in Arsten gegründet, wo ich als Kantorin arbeite. Ich trete als Organistin mit anderen Musikern auf, die verschiedene Instrumente spielen oder mit einem kleinen Ensemble. Die Konzerte finden einmal monatlich statt, das nächste planen wir für den 12. September 2021. Ich leite in der Gemeinde auch einen gemischten Chor, einen Posaunenchor für Erwachsene und einen Kinderchor.
Was bedeutet die Kirchenmusik für Sie? Manche halten diesen Begriff für zu eng und einschränkend.
Ich meine, dass die Kirchenmusik und die geistliche Musik für den Ursprung der allgemeinen Musik stehen. Musik war von Anfang an mit der Kirche verbunden, in der Kirche aufgeführt und fast jeder klassische Komponist hat religiöse Werke in seinem Schaffen. Und solche Werke führt man nicht nur in Kirchen, sondern auch in Konzertsälen auf. Daher kann dieser Begriff nicht als einschränkend angesehen werden.
Die Funktion der Musik ist, Menschen zusammenzubringen und sie zu berühren, sodass sie etwas Schönes erleben können. Wenn ich spiele, kann ich mich immer durch meine Musik ausdrücken.
Wer ist Ihr Lieblingskomponist?
Dietrich Buxtehude.
Ich bin im Netz auf ein Forum gestoßen, dessen Teilnehmer diskutieren, ob die Orgel ein Instrument für Männer oder für Frauen sei[1]. Eine Person behauptet, dass Männer beim Spielen besser aussähen. Die Orgel nennt man die Königin aller Instrumente, die doch nicht nur von Männern bedient werden sollte. Was meinen Sie dazu?
Ich glaube, die Leute sagen, dieses Instrument sei für Männer, weil die Orgelpfeifen groß, sehr zahlreich sind und einen sehr lauten Klang erzeugen können. Ich sehe allerdings mehr Frauen als Männer an der Orgeltastatur. Meiner Meinung nach spielt das Geschlecht der Musiker keine Rolle, wenn ihre oder seine Orgelmusik die Zuhörer rührt und schöne Gedanken sowie Gefühle in ihnen hervorruft. Das ist noch eine interessante Sache für mich.
Gibt es in Ihrer Heimat viele Frauen, die als Profis Orgel spielen oder ist das eher ein „männlicher Beruf“?
In Südkorea gibt es mehr weibliche professionelle Organisten als männliche. Die Frauen haben meistens im Ausland studiert, sind danach in die Heimat zurückgekehrt und jetzt arbeiten sie als Organistinnen.
Haben Sie einen Traum, oder einen Wunsch?
Ich möchte, dass die Menschen durch meine Musik Trost und Kraft bekommen.
Ich würde auch sehr gerne ein Orgelkonzert in Polen geben und meinen ehemaligen Professor Joachim Grubich wieder treffen.
Danke für das Gespräch.
Jolanta Łada-Zielke, 26. Juli 2021, für
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Jolanta Łada-Zielke, 49, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-begeistert.de.
Frauenklang 6: Joana Mallwitz – kompetent und voller Elan am Dirigentenpult
[1] https://orgel-forum.de/viewtopic.php?t=1373