Salzburg bringt eine witzige, spritzige, abgestaubte moderne "Martha" auf die Bühne

Friedrich von Flotow, Martha  Salzburger Landestheater, 3. Mai 2025

Die Handlung der Oper in die heutige Zeit zu holen, ist geglückt, wahrscheinlich sogar notwendig. Die Inszenierung ist größtenteils in sich stimmig und mit dem Libretto konform. Frau Lutz hat überraschende Regieideen.

Friedrich von Flotow
Martha

Musikalische Leitung:  Tobias Meichsner
Dirigat:  Carlo Benedetto Cimento

Inszenierung:  Christiane Lutz
Bühnenbild:  Natascha Maraval
Kostüme:  Dorothee Joisten
Dramaturgie:  Anna N. M. Lea
Videoproduktion:  Tobias Witzgall
Licht:  Micha Vorreiter

Mozarteumorchester Salzburg
Chor des Salzburger Landestheaters

Choreinstudierung:  Mario El Fakih

Salzburger Landestheater, 3. Mai 2025

von Kathrin Beyer

Ich reise “ Martha“ sozusagen hinterher. Mit dieser Oper bin ich aufgewachsen.

Es war die Lieblingsoper meines Vaters, sie wurde sonntäglich vom Plattenspieler in die Weiten der Fritscheschen Wohnung geschmettert. Am Pult vor dem Plattenspieler: Mein Vater…

Gesehen habe ich diese Oper noch nie. Das ist auch sehr schwierig, da aus der in der Mitte des 19. Jahrhunderts weltweit meist gespielten Oper, eine fast vergessene wurde.

Nun also Salzburg…

Tobias Meichsner / Martha SLT © Tobias Witzgall

Das Spiel beginnt

Lady Harriet Durham (Nicole Lubinger) ist hier eine gelangweilte junge Dame der Upperclass, die, schwermütig, weil unzufrieden mit ihrem Leben, ihren Geburtstag per Gruppen-Videochat in ihrem luxuriösen Zimmer in London feiert. Gemeinsam mit ihrer Vertrauten, Nancy (Mona Akinola), beschliesst sie, sich auf einer Datingseite umzuschauen, getreu dem Gesang der Nancy: Ja! Dann wär’ zu eurem Heile nur ein Mittel noch geblieben. Wie gesagt: In höchster Eile müsst ihr sterblich euch verlieben.

Das ist eine sehr komödiantische Szene, wie die beiden vor dem Laptop liegen und sich über die Profile der Männer amüsieren. Es war keiner dabei…

Nicole Lubinger / Martha SLT © Tobias Witzgall

Tristan (Daniele Macciantelli) kommt, um die Damen abzulenken, er ist der Verehrer der Lady, ernsthaft, steif, aristokratisch. Ihn mag sie auch nicht…

Langeweile bringt nicht die schlauesten Ideen hervor, Harriet und Nancy beschließen, sich unters gemeine Volk zu mischen. Sie landen in Richmond.

In der Originalversion wären wir nun auf dem Mägdemarkt zu Richmond angelangt. Dieser ist nun ganz und gar nicht mehr woke und so wurde aus diesem das ABC Jobcenter. Neben diesem liegt die Fahrradwerkstatt Plumketts (George Humphreys) und Lyonels (Luke Sinclair).

Daniele Macciantelli und Chor / Martha SLT © Tobias Witzgall

Jetzt nimmt die merkwürdige Idee der beiden Frauen einen für sie zunächst nicht sehr glücklichen Verlauf, denn die beiden jungen Männer bieten ihnen in ihrer Fahrradwerkstatt einen Job an. Die Damen nehmen an… und sind dann doch sehr erstaunt darüber, dass sie tatsächlich ARBEITEN sollen.  Dreht das Rädchen! Schnurr, Schnurr!  bezieht sich hier also auf Fahrräder. Auch diese Szene ist sehr amüsant; klar wird, beide Mägde sind ein fachlicher Fehlgriff.

Dennoch menschelt es, denn Lyonel verliebt sich aus dem Stand heraus ernsthaft in Harriet, die sich in der Arbeitswelt Martha nennt. Plumkett und Nancy, die jetzt Julia ist, nähern sich unterdessen auf eine sehr freche, unkonventionelle Art und Weise an.

Klar ist, beide Frauen können und wollen hier nicht bleiben und mit Tristans Hilfe gelingt die Flucht.

Lyonel trauert, Plumkett tobt und versucht die Geflohenen wiederzufinden. Zunächst erfolglos, der Zufall hilft am Ende. In Richmond findet ein Junggesellinenabschied statt, aber der scheint eher eine Jagd auf Biker zu sein, die vor der Fahrradwerkstatt ihre Räder checken lassen. Hier trifft man sich also wieder…

Plumkett und Nancy auf ihre unangepasste Art.

Lyonel und Harriet auf ihre ernsthafte, konventionelle  Weise.

Harriet/Martha verleugnet die Bekanntschaft, er erfährt ihr wahre Identität, ist tief getroffen, zieht sich zurück und nach einigen weiteren Wirrungen, steckt Lady Harriet Durham in einem Blaumann und versichert ihrem Lyonel, dass sie allem Reichtum entsagen kann, wenn er nur bei ihr ist.

Der Weg dahin ist, wie soll ich es ausdrücken, manchmal etwas zu gewollt, zu melodramatisch.

Leicht, unterhaltsam und nicht minder zielführend ist die Annäherung Plumketts und Nancys.

Aber… Ende gut, alles gut!

Mona Akinola, Annika Sandberg und Daniele Macciantelli / Martha SLT © Tobias Witzgall

Ein Wort zur Inszenierung

Die Handlung der Oper in die heutige Zeit zu holen, ist geglückt, wahrscheinlich sogar notwendig.

Frau Lutz’ Inszenierung ist größtenteils in sich stimmig und mit dem Libretto konform. Sie hat überraschende Regieideen. So wird ein Duett per WhatsAppverlauf gesungen, der dann durch Video an der Wand mitzulesen ist, ich finde das amüsant.

Die Sängerinnen und Sänger agierten mit einer Leichtigkeit und Natürlichkeit, so dass der allgemeine Eindruck entsteht, am aktuellen Leben der Menschen teilzuhaben.

Irgendwie hat das Ganze Züge einer modernen RomCom, in Symbiose mit wunderschöner alter Musik. Eine wirklich gelungene Verbindung.

Die Kostüme sind Kleider der jetzigen Mode, dem jeweiligen Anlass angepasst.

Als Lady Harriet erfährt, dass Lyonel eigentlich ein Graf und somit ein angemessener Ehemann ist, erscheint sie in einem rosa Kleid mit überdimensionierter Schleife.

Sie sieht sich wohl als Geschenk für ihn… Er will sie so nicht, noch nicht.

Das  Bühnenbild ist schlicht, aber wirkungsvoll und sehr detailverliebt. So hat das moderne Luxusappartement, in dem Harriet in London wohnt, einen Aufzug, an dem sogar die Etagenanzeigen funktionieren. Dank eines Posters, hat man das Gefühl, dass, wenn man aus dem Fenster schaut, über London sieht… sehr wirkungsvoll.

Auch die Fahrradwerkstatt ist sehr detailliert eingerichtet.

Die Rollen

Nicole Lubinger, alias Lady Harriet, alias Martha, ist hier eher die Außenseiterin, weil sie nie von Herzen fröhlich ist. Ihre Schwermut nehme ich ihr nicht so recht ab, sie ist für mich eher die verzogene, gelangweilte höhere Tochter. Ich werde mit ihr nicht so richtig warm. In dieser Rolle hätte mehr Potential gelegen, ihre Entwicklung zu zeigen. Ihr Sopran ist hell und klar. In den Duetten konnte sie sich recht mühelos behaupten, allerdings klang ihre Stimme in den ganz hohen Lagen zuweilen schrill.

Nicole Lubinger, Luke Sinclair, Mona Akinola, George Humphreys und Chor SLT © Tobias Witzgall

Allerdings muss gesagt werden, dass man es neben Mona Akinola auch sehr schwer hat. Diese verkörpert ihre Rolle so intensiv, humorvoll, augenzwinkernd und lebendig, dass der Eindruck entsteht, sie sei die Nancy in persona. Ihr Mezzo ist stark und ebenso wandlungsfähig wie sie selbst. Mal liebevoll warm, mal streitsüchtig kraftvoll oder auch einfach amüsiert. Mit ihrer Stimme vermag sie alles auszudrücken und ich bin gespannt, welchen Weg sie noch gehen wird. Sie ist für mich die Überraschung des Abends.

Luke Sinclair gestaltet die Rolle des Lyonel sehr sympathisch, so als der nette Junge von nebenan. Er ist einfühlsam, empathisch und bodenständig.

Ich verstehe nicht, warum es unbedingt Harriet sein muss… aber, sie kam, er sah und sie siegte. Am Stärksten ist er, wenn er melancholisch in sich ruhend erscheint und seiner vermeintlich verflossenen Liebe nachtrauert : Ach, so fromm, ach so traut, hat mein Auge sie erschaut…“. Keine schmerztriefenden Gesten, kein vor Kummer verzerrtes Gesicht, einfach nur ein trauriges Sein. Das ist sehr wirkungsvoll.

Sein eleganter Tenor hat eine strahlende Höhe und ist klar und kräftig.

George Humphreys und Nicole Lubinger / Martha SLT © Tobias Witzgall

George Humphreys ist ein wunderbarer, amüsanter, lebendiger und moderner Plumkett.

Sein komödiantisches Talent gibt seinem Zusammenspiel mit Mona Akinola eine Dynamik, die sowohl leicht, als auch intensiv und witzig ist. Was Lyonel und Harriet nur mit großer Mühe, und großen Liebesarien schaffen, bekommen diese beiden so nebenher mit Spöttelei, Reibereien, Flirterei und Leichtigkeit hin.

Sein Bariton ist weich und sehr dunkel und extrem ausdrucksstark.

Daniele Macciantelli und Mona Akinola / Martha SLT © Tobias Witzgall

Daniele Macciantelli gibt einen aristokratischen, stolzen und snobistischen Sir Tristan. Seine Gesten scheinen so übertrieben würdevoll, dass es Spaß macht, ihm zuzuschauen. Noch größere Freude bereitet es, im zuzuhören. Ich bin von jeher ein Freund tiefer Männerstimmen und diese ist umwerfend tief und sehr voluminös und erdig.

Schade, dass er nicht öfter singen darf.

Alle anderen Gesangsrollen haben ebenfalls zu einem sehr gelungenen Abend beigetragen.

Der Chor in dieser Oper hat sehr viel zu tun und seine Sache ausgezeichnet gemacht. Viele der musikalischen Ohrwürmer, nicht zuletzt das Finale, sind Chorgesänge.

Chor / Martha SLT © Tobias Witzgall

Erwähnenswert ist ebenfalls, dass einige kleinere Solopartien von Chorsängern übernommen wurden.

Das Mozarteumorchester spielte in manchen Momenten zu forsch auf.
Dann wurden die Sänger leider übertönt.

Zum guten Schluss

Vielleicht liegt es daran, dass ich mit Martha Kindheitserinnerungen verbinde, dennoch finde es sehr schade, dass diese Oper so in Vergessenheit geriet.

Mal abgesehen von dem nicht mehr zeitgemäßen Inhalt, hat die Oper doch eine große Anzahl zauberhafter Musikstücke zu bieten, die sich durchaus als Ohrwurm eignen.

Es war mir ein großes Vergnügen, Martha in Salzburg erleben zu dürfen.

Falls sich Ihnen einmal die Gelegenheit irgendwo bietet, wäre mein Rat: Greifen Sie zu!

Kathrin Beyer, 4. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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