Atemberaubend:
Händels „Saul“ im Theater an der Wien

Georg Friedrich Händel, Saul  Theater an der Wien, 17. Februar 2018

Foto: Werner Kmettich (c)
Georg Friedrich Händel, Saul

Theater an der Wien, 16. Februar 2018

Von Charles E. Ritterband

Musikalische Leitung, Laurence Cummings
Inszenierung, Claus Guth
Ausstattung, Christian Schmidt
Choreographie, Ramses Sigl
Video, Arian Andiel
Licht, Bernd Purkrabek
Dramaturgie, Yvonne Gebauer
Saul, Florian Boesch
David, Jake Arditti
Merab, Anna Prohaska
Michal, Giulia Semenzato
Jonathan, Andrew Staples
Abner / High Priest / Doeg, Marcel Beekman
Witch of Endor, Ray Chenez
Amalekite, Quentin Desgeorges
An evil spirit, Paul Lorenger
Freiburger Barockorchester
Arnold Schoenberg Chor (Leitung, Erwin Ortner)

Wie immer verlässt man das historische Theater an der Wien erschöpft – aber vor Begeisterung über das Gebotene, das ausnahmslos Weltniveau hat. So auch diese phänomenale Inszenierung eines schwer (oder gar nicht) inszenierbaren Stücks, das bereits bei seiner Uraufführung als Oratorium am 16. Januar 1739 im Londoner King’s Theatre am Haymarket umjubelt wurde – ebenso wie die Premiere im Theater an der Wien am 16. Februar 2018. Selbst seine Majestät, der König, sowie Angehörige des Hochadels waren damals im Haymarket-Theater im begeisterten Publikum. Doch das Oratorium war dennoch kein Publikumshit – es wurde nach der triumphalen Uraufführung nur noch sechsmal aufgeführt und blieb bis heute im Schatten des ungleich populäreren „Messias“. Im 19. Jahrhundert bemühten sich selbst Beethoven und Brahms um das großartige aber unterschätzte Werk und organisierten Aufführungen. Szenische Darbietungen folgten erst viel später – nämlich ab 1920.

Die Inszenierung von Claus Guth im Theater an der Wien war meisterhaft. Mit höchst ästhetischen Mitteln überbrückte er die langen „handlungsfreien“ Passagen. Die Figuren in ihren farbbetonten Kostümen hoben sich plastisch von dem oft nachtschwarzen oder weißen, kargen Bühnenbild ab; wirkungsvolle Nebel-Effekte und passend eingesetzte pantomimisch-gestische Passagen ergänzten die großartigen gesanglichen Leistungen. Das abstrakt gehaltene Bühnenbild wurde ergänzt durch das zuletzt ins gigantische vergrößerte grandiose Meisterwerk Rembrandts „Saul und David“ aus dem Mauritshuis in Den Haag, dessen Echtheit lange Zeit umstritten war und schließlich von Experten bestätigt werden konnte.

Florian Boesch © Lukas Beck

Der große Star dieser Aufführung war die Titelfigur selbst – der vielschichtige, facettenreiche, zunehmend von Paranoia heimgesuchte Saul. Er wurde verkörpert von dem in Saarbrücken geborenen Bassbariton Florian Boesch, dessen darstellerische Stärke ausgewogen mit seiner tragenden, sonoren Stimme harmonierte. Der vielleicht bewegendste Moment – in der Inszenierung subtil gelöst, indem er uns den Rücken zuwendet – ist jener, in dem der von Gott und der Welt verlassene König Saul in seiner Verwirrung und Verzweiflung mit Hilfe von Hexerei den Propheten Samuel um Rat und Hilfe anfleht. Boesch gibt hier einen gewaltigen Dialog zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen ihm, Saul und Samuel, zwischen Bariton und Bass. Besonders wenn man sich vor Augen hält, dass es in der Vorgeschichte der Prophet Samuel war, der den von Gott erwählten Saul zum ersten König Israels salbt. Eine grandiose Szene, die das Publikum sichtlich erschütterte, dieser vom selben Sänger dargebotene Dialog – ein dramatisches inneres Zwiegespräch, ein Ringen der „Zwei Seelen“ in Sauls Brust. Florian Boesch war auf dieser Bühne erst vor kurzem zu bewundern – als faszinierender Wozzek in Alban Bergs hier ebenfalls großartig inszenierter Oper.

Ein weiterer bewegender Höhepunkt wurde uns von den beiden anderen Stars des Abends beschert: Das unglaublich schöne Liebesduett zwischen Sauls Tochter Michal, die dem durch Sauls Mordpläne bedrohten David zur Flucht verholfen hat, und David, dem künftigen König Israels. Vom ersten Auftritt an hat Giulia Semenzato als Michal mit ihrem wunderschönen, hellen Sopran und ihrer Präzision unsere Sympathie. Während Anna Prohaska als ihre Schwester Merab, die David ursprünglich heiraten sollte, ihn aber wegen seiner niedrigen Geburt (trotz seiner Heldentat als Besieger Goliaths) verachtet, mit einem dunklen Mezzo betört. Eine wahre Sensation war der aus einer Musikerfamilie stammende, britische Countertenor Jake Arditti als David. Seine Darstellung des jungen, unendlich tapferen und doch in Bezug auf die Bosheit der Menschen naiven Helden war ebenso bewegend wie glaubhaft; seine stimmliche Bewältigung der schwierigen Partie des David war von ungetrübtem, glockenhellem Wohlklang geprägt. Zusammen mit Giulia Semenzato bot Arditti einen Auftritt, der zu den absoluten Glanzpunkten dieses in jeder Beziehung überwältigenden Abends gehörte.

Das Freiburger Barockorchester unter Laurence Cummings, dem Musikdirektor des London Händel Festivals bot eine Interpretation des „Saul“, die ihresgleichen sucht. Cummings gilt weltweit als einer der führenden Experten für historische Aufführungspraxis an der Royal Academy of Music. Wir, das Publikum, waren privilegiert dieses Orchester mit diesem Dirigenten in Wien genießen zu dürfen. Zum perfekten Hochgenuss wie in jeder Aufführung des Theaters an der Wien gehört natürlich auch der längst zur Institution gewordene, in seiner musikalischen und darstellerischen Perfektion nicht zu übertreffende Arnold Schoenberg Chor unter der stets bewährten Leitung von Erwin Ortner.

Charles E. Ritterband, 4. Februar 2018, für
klassik-begeistert.at

Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.

 

 

Bild: Saul 2017/18 008 – © Monika Rittershaus

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