Foto: John Lundgren und Anja Kampe
© Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper, 16. März 2019
Giacomo Puccini, La Fanciulla del West
von Sarah Schnoor
Endlich einmal keine reine Liebesschnulze. Die Western-Oper „La Fanciulla del West“ wurde seit dem Zweiten Weltkrieg nun das erste mal wieder an der Bayerischen Staatsoper aufgeführt. Eine Oper, in der keiner stirbt, zumindest niemand von den Singenden. Das ist schon verwunderlich, erst recht bei dieser Thematik.
Die „Fanciulla“ ist eine Oper ohne bekannte, mitsingbare Arien, aber mit farbenfroher Musik, einem Libretto, das Handlung und Ort sehr genau beschreibt und vor Western-Klischees nur so strotzt. Der Regisseur Andreas Dresen nutzt sie zwar, setzt alles aber in eine recht schlichte, modernisierte Kulisse. Es wird Karten gespielt in der einzigen Bar zur „Polka“, Whiskey getrunken, mit Waffen gedroht und natürlich gibt es nur eine einzige Frau in der Horde Männer: Minnie. Jeder will sie, die Frau, die allen Bibelunterricht gibt. Auch der verheiratete Sheriff Jack Rance und der als Dick Johnson getarnte Bandit sind verrückt nach ihr. Jeder auf seine Art.
Die in ein Bergwerk einer armen Region verlegte Bühne (Mathias Fischer-Dieskau) ist sehr schlicht gehalten. Es soll die unwirkliche Arbeitswelt gezeigt werden, das Heimweh und die Lieblosigkeit, die an solchen Orten vorherrscht. Auch im zweiten Akt bleibt die Bühne schlicht. Es wird eine kleine Hütte aufgebaut, wie sie öfter zu sehen ist: Holz, grau-braun, eine Wand und Decke. Alles ist sehr dunkel und zum Glück der Sänger gibt es wenige Gegenstände auf der Bühne. Die Kostüme (Sabine Greunig) wirken eher halbherzig erdacht. Zwar kann dies zum Konzept gehören, aber alles ist eine Nummer zu groß und wirkt ein wenig wahllos bis auf die optisch herausstechende blaue Bluse von Minnie, die für ihr Date mit Johnson geschickt in ein Kleid verwandelt wird. Die Stimmung dieser einsamen Männer wird in den düster-kalten Farben allerdings sehr gut eingefangen.
Farbenprächtiger ist dagegen das Bayerische Staatsorchester. Schöne, mächtige Puccini-Klänge hört man aus dem Graben. Dabei meint es James Gaffigan manchmal wohl zu gut und die Stimmen der Sänger, die allesamt wagner-erprobt sind, werden teilweise übertönt, was das Orchester jedoch nicht weniger fabelhaft macht.
Auch die Besetzung ist wirklich gut. Minnie wird von einer jugendlich-süß klingenden Anja Kampe gesungen. Auch ihr Spiel ist überzeugend, zwischen liebevoll und bestimmend. Obwohl sie die Frau ist, die die Hosen anhat, besticht sie vor allem in den lyrisch-lieblichen Passagen. Auch das Libretto geht hin und her zwischen Entschiedenheit und Unterwürfigkeit.
Denn als Dick Johnson auftaucht, wird sie zum schüchternen Mädchen, das sich ihm fast augenblicklich in die Hände gibt. Bei dem Gesang von Brandon Jovanovich ist das allerdings fast kein Wunder.
Der Tenor bringt wenig italienisch-tenorales Sentiment mit, sondern singt der Musik gerecht werdend laut, präsent und leidenschaftlich. Seine Stimme ist klar und hell. Wenn Johnson so zauberhaft „un bacio“ fordert, will man ihm gleich einen geben. Jovanovich dreht besonders zum Ende hin immer mehr auf. Die Liebe zu Minnie und seine Stimme werden immer größer.
Auch John Lundgren ist eine gute Partie für den Jack Rance. Nach etlichen Anmachversuchen und völlig unnötig inszenierter übler sexueller Belästigung, scheitern Jack Rances Avancen schließlich an einem getricksten Kartenspiel. Dieser Mann lässt sich halt nicht von einer Frau, sondern von einem Spiel und der Spielerehre sagen, was richtig und falsch ist. Lundgren portraitiert diesen verlorenen Mächtigen sehr passend mit voller Kraft seiner Bassbariton-Stimme und schafft trotzdem schön geführte Linien.
Auch das restliche Ensemble kann sich hören lassen. Besonders der Männerchor der Staatsoper, der zum Schluss noch einmal im Bergwerk-Stil mit Taschenlampen bewaffnet um Minnie und ihren Mr. Johnson steht, ist herrlich harmonisch und bringt noch mehr Farbe in diese großartig romantische Musik. Ob absichtlich oder nicht, erinnert das Phantom der Oper nicht umsonst an die „Fanciulla“, was einen merkwürdigen anachronistischen Höreffekt produziert.
Am Ende stirbt keiner. Die Liebe zu Minnie, die schwesterliche, das Erkennen, dass sie für alle immer wieder da war, als Lehrerin, Freundin und Begleiterin, gewinnt die Herzen der Arbeiter. Sie lassen den als Banditen erkannten Dick Johnson frei und mit Minnie ziehen. Nur Jack Rance ist sich nicht ganz sicher und greift beim Fallen des Vorhangs noch schnell nach der Pistole. Was für ein überwältigendes Ende voller Liebe, Milde und schönem Gesang. Diese selten gespielte Oper ist ein Schatz und wird zum Glück gerade wiederentdeckt. Vielleicht kann sie so auch bald weiter weg vom Ort der Handlung auf ihre Darstellung von Zwischenmenschlichkeit hinterfragt werden.
Sarah Schnoor, 18. März 2019, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung: James Gaffigan
Inszenierung: Andreas Dresen
Minnie: Anja Kampe
Jack Rance: John Lundgren
Dick Johnson: Brandon Jovanovich
Nick: Kevin Conners
Ashby: Bálint Szabó
Sonora: Tim Kuypers
Trin: Manuel Günther
Sid: Alexander Milev
Bello: Justin Austin
Harry: Galeano Salas
Joe: Freddie De Tommaso
Happy: Christian Rieger
Larkens: Norman Garrett
Billy Jackrabbit: Oleg Davydov
Wowkle: Noa Beinart
Jake Wallace: Sean Michael Plumb
José Castro: Ogulcan Yilmaz
Ein Postillon: Ulrich Reß
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper