Foto: Archiv 2015 © Brinkhoff / Mögenburg
Im Schlussbild des dritten Aufzuges, vom Bühnenbild her eher anspruchslos, kommt es zu einem wahren Stimmenfest auf voll besetzter Bühne. Kein Trauerschmerz, nur Klangschönheit pur. Eine grandiose Aufführung einer Oper, die ohne große Fülle an Einzelarien auskommt und trotzdem ihre emotionale Wirkung nicht verfehlt.
Giacomo Puccini: „La fanciulla del West“
Oper in drei Akten
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung: Antonino Fogliani
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Chorleitung: Christian Günther
Hamburgische Staatsoper, 4. April 2025
von Dr. Holger Voigt
Wann bietet sich tatsächlich einmal die Gelegenheit, Giacomo Puccinis Oper „La fanciulla del West“ (deutsch: „Das Mädchen aus dem Goldenen Westen“) auf der Opernbühne zu erleben? Dieses Werk, am 10. Dezember 1910 an der Metropolitan Opera in New York City uraufgeführt, fristet auf den internationalen Spielplänen ein wahres Schattendasein.
Sehr zu Unrecht allerdings! Der Komponist selbst hielt es für eines seiner bedeutsamsten Werke, und auch zahlreiche Musik- und Opernkenner sahen das genauso und hielten die Partitur für einen großen Wurf. Nicht verschwiegen sei aber auch, dass es andere Stimmen gab und gibt, die mit hämischer Spöttelei bemerkten, „Puccini sei Puccini, sei Puccini, sei Puccini…“, klinge eben immer nach Puccini! Zeit und Gelegenheit also, sich ein eigenes Bild zu machen.
An der Hamburgischen Staatsoper wurde die hier gezeigte Inszenierung von Vincent Boussard am 1. Februar 2015 aus der Taufe gehoben. Frühere Aufführungen reichen sogar bis in das Jahr 1931 zurück. Seither ist historisch und gesellschaftspolitisch vieles passiert. Da es zur Zeit der Werksentstehung und Erstaufführung innovative Momente waren, dass der Komponist hier ein US-amerikanisches Sujet zugrundlegte – nach David Belascos „The Girl of the Golden West“ – und dieses Werk auch stringent durchkomponierte.

Giacomo Puccini, ein Meister der Erschaffung fremdländischer Klangwelten, zeigte hiermit auf, dass er in der Lage war, sich in jeden Weltenraum musikalisch einfühlen zu können und dabei kein außenstehender Beobachter war. Musikalisch ist dieses – insbesondere ab dem 2. Aufzug – deutlich herauszuhören, was die Glaubwürdigkeit des kompositorischen Zuschnitts verdeutlicht. Hier ging es nicht um fernöstliche Klangwelten, für die Puccini eine besondere Vorliebe hatte („Turandot“, „Madama Butterfly“), aber eben auch nicht um eine aufgesetzt erscheinende, profane Plattheit im Sinne eines Karl Mays.
Der Begriff „Italo-Western“, wie hier betitelt, bezieht sich strenggenommen auf das italienischsprachige Libretto (Guelfo Civinini, Carlo Zangarini) in Einbettung in eine US-amerikanische Goldgräber-Welt, die Schauplatz einer Dreiecksbeziehung zwischen der Saloonwirtin Minnie, dem Sheriff Jack Rance und dem Banditen Dick Johnson ist.
Im Unterschied zu anderen Puccini-Opern ist der Plot außerordentlich überschaubar. Alles ist für einen erfahrenen Opernkenner leicht durchschaubar und vorhersehbar. Etwas überraschend mag erscheinen, dass die finale Tragödie ausbleibt, niemand stirbt und alle gehen mehr oder weniger friedlich auseinander. Vielleicht ist dem hartgesottenen Western-Kinofan das alles zu brav und bieder, doch sollte man nicht vergessen, dass die große Zeit des Western-Films erst noch kommen sollte, und Erich Wolfgang Korngold befand sich als Filmkomponist noch in den Startlöchern…
Das Bühnenbild von Vincent Lemaire überzeugt nur bedingt. Der erste Aufzug findet in einem die gesamte Bühne einnehmenden Restaurant/Kneipe (Saloon Polka) nebst Bartheke statt, in dem sich geradezu Heerscharen von Abenteuersuchenden Goldgräbern treffen, amüsieren und sich natürlich auch kräftig betrinken. Bereits hier blitzt die überragende stimmliche Qualität der Sängersolisten auf, die von den Chormitgliedern (Chorleitung: Christian Günther) stimmgewaltig getragen wird. Beeindruckend die darstellerische Spielfreude der Akteure, die eine quirlige Kneipenatmosphäre auf die Bühne brachten. Das hervorragend aufspielende Philharmonische Staatsorchester der Hamburgischen Staatsoper unter der umsichtigen Leitung von Maestro Antonino Fogliani brachte Puccinische Klangfarben mit musikalischer Pracht zum Erblühen, ohne dass sich das Orchester jemals in den Vordergrund spielte.

Die Wirtin Minnie (Anna Pirozzi, Sopran) fungierte mit resoluter, bisweilen aber auch verletztlicher Autorität (Bibelszene) als Dompteurin Testosteron- und Alkoholgefüllter Abenteurer, wie man es sich trefflicher kaum vorstellen kann. Obwohl sich die Sängerin vorab als etwas erkältet entschuldigen ließ, war davon absolut nichts zu bemerken. Im Gegenteil, sie bot eine absolute Spitzenleistung mit wunderbaren Legatobögen und dramatischen Spitzentönen.
Ich habe Frau Pirozzi das letzte Mal 2015 in Piacenza (als Abigail in Giuseppe Verdis „Nabucco“) gesehen und gehört und muss feststellen, dass ihre Stimme sehr viel volumiger und kräftiger geworden ist, was zweifelsfrei belegt, dass sie über die letzten Jahre hinweg nunmehr im dramatischen Fach angekommen ist. Es wird sehr interessant sein, ihre weitere Stimmentwicklung zu verfolgen, wenn man sich vorstellt, welche Rollenpartien ihr zukünftig möglich sein werden. Am heutigen Abend war sie zweifellos die absolute Match-Winnerin.

Claudio Sgura, Bariton, als Sheriff Jack Rance war in Wien begeisternder Einspringer gewesen und avancierte daraufhin zu einer erstklassigen Stammbesetzung, wann immer diese Oper zur Bühnenproduktion anstand. In der Rolle des Vertreters von Recht und Ordnung, selbst in die Wirtin Minnie verliebt, wird er zu einem von Eifersucht Getriebenen, der auf Nebenbuhler-Jagd ist und Minnie immer wieder in Bedrängnis und Erklärungsnöte bringt. Seine hünenhafte Gestalt verstärkt dabei seinen Druck umso mehr, als auch die ganze Kraft seines schön klingenden Baritons fast wie eine Waffe wirkt. Eine brilliante Gesangesleistung, die zu Recht mit viel Beifall bedacht wurde.

Gregory Kunde, Tenor, in der Rolle des Liebhabers Dick Johnson, der als Bandit Ramerrez eine abgründig finstere Seite hat, ist eine herausragende Besetzung. Er ist so staunenswert professionell, dass er sein gewaltiges Stimmvermögen mühelos jederzeit abrufen kann. Als ob das noch nicht genug wäre, glänzte er mit raumfüllenden Spitzentönen, die scheinbar ansatzlos und stets ausgewogen dynamisiert und klangschön vorgetragen wurden. Dazu ist er darstellerisch überzeugend und – mit 71 Jahren – noch immer absolut jugendlich wirkend. Viel Jubel für diese beeindruckende Leistung.
Im Schlussbild des dritten Aufzuges, vom Bühnenbild her eher anspruchslos, kommt es zu einem wahren Stimmenfest auf voll besetzter Bühne. Kein Trauerschmerz, nur Klangschönheit pur. Eine grandiose Aufführung einer Oper, die ohne große Fülle an Einzelarien auskommt und trotzdem ihre emotionale Wirkung nicht verfehlt.
Dr. Holger Voigt, 4. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giacomo Puccini, La fanciulla del West Hamburgische Staatsoper, 26. März 2025
Puccini, La fanciulla del West Hamburgische Staatsoper, 21. März 2025
Giacomo Puccini, „La Fanciulla del West“, Staatsoper Unter den Linden Berlin, 16. Juni 2021