Foto: Opera National de Paris, © Vincent Pontet
Giacomo Puccini
Tosca
Paolo Bortolameolli, Dirigent
Orchestre et Choeurs de l’Opéra national de Paris
Maîtrise des Hauts-de-Seine/Choeur d’enfants de l’Opéra national de Paris
Pierre Audi, Regie
Christof Hetzer, Bühne
Robby Duiveman, Kostüme
Jean Kalman, Licht
Elena Stikhina, Floria Tosca
Brian Jagde, Mario Cavaradossi
Ambrogio Maestri, Barone Scarpia
Sava Vemić, Cesare Angelotti
Renato Girolami, Il Sagrestano
Michael Colvin, Spoletta
Philippe Rouillon, Sciarrone
Christian Moungoungou, Un Carceriere
Opéra national de Paris, 20. Oktober 2022
von Sandra Grohmann
Gibt es Glück in diesen unseren interessanten bis schweren Zeiten? Aber ja. Sonst wären wir gar keine Menschen mehr. Deshalb leuchten, glücklicherweise, auch die Sterne am Opernhimmel weiter und helfen, uns in unserer Menschenwürde zu erhalten. Sie zeigen auf der Bühne die Verderbtheit von Macht um der Macht willen und zeigen uns zugleich, was Menschsein heißt: auch und gerade mit den Mitteln der Kunst. Kunst als Teil der conditio humana und zugleich als deren Ausdruck ist hierzu vielleicht sogar, darüber ist schon viel geschrieben worden, in besonderer Weise berufen – und sei es in der Form der veristischen Oper. Die muss man nur ernst nehmen, wie in Paris derzeit zu hören und zu sehen ist.
Die Sterne leuchten hell in der Pariser Tosca – und einer strahlt ganz besonders, das ist Elena Stikhina. Wie ihr Gesang unmittelbar ans Herz rührt, wie ihr alles mühelos zu gelingen scheint, habe ich hier kürzlich schon für ihre Aida beschrieben. Ihre Floria Tosca steht dem in nichts nach. Ihr Vissi d’arte beginnt klagend im zartesten pianissimo (selbstverständlich ohne veristischen Schluchzerquatsch) und füllt gleichwohl sofort den Riesenraum der Bastilleoper. Elena Stikhina singt die Arie dabei trotz aller Delikatesse vom ersten Ton an mit warmer, stets perfekt geführter Stimme, die zugleich die Fassungslosigkeit eines aus seinem naiven Frohmut in die Hölle gerissenen Menschen porträtiert: Das ist einzigartige Weltklasse. Und es geht wieder zu Herzen. Meine Begleiterin braucht nach dem Ende der Vorstellung einige Minuten, um die Fassung zurückzuerlangen.
Ausgesprochen hilfreich ist es dabei es an diesem Abend, dass auch die übrigen Rollen sehr erfreulich besetzt werden konnten. Ich gebe zu, dass ich jedem Auftritt eines Tenors heutzutage sorgenvoll entgegenzittere. Diese Sorge zerstreut Brian Jagde indes schnell. Schon optisch ein Traumpartner für Stikhina, ist seine kräftige, ausgewogen geführte, herzliche Zugewandtheit verströmende, lyrische Stimme auch dem Zwiegesang gewachsen. Mit seiner Hymne auf das Leuchten der Sterne (E lucevan le stelle) steigt die Luftfeuchtigkeit im Saal deutlich, sprich so manche Träne rollt über die Wangen der Zuhörer. Das ist viel, viel mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte.
Eingesprungen als Scarpia überzeugt Ambrogio Maestri mit ruhigem, eindringlichem, die Widerlichkeit seiner machtbesessenen Figur transportierendem Bass. Dieser Scarpia ist sich seiner Unangreifbarkeit hörbar sicher. Dass er, dazu passend, im ersten Akt ganz in Leder gekleidet ist, unterstreicht die Abscheulichkeit dieses Schlächters von Rom. Umso überzeugender kontrastieren die Regieleistung und das Spiel Stikhinas damit die Figur der Floria Tosca – wir erleben eine Gequälte, die sich trotz aller erlittener Ungerechtigkeit und Schmach ein ums andere Mal von neuem aufrafft: Die sich nicht zum Spielball machen lässt, sondern nach jedem Rückschlag die Fäden selbst wieder in die Hand zu nehmen versucht, bis zum bitteren Ende. In eindrucksvoller und leiser Weise behält diese Tosca gegenüber Scarpias übermächtigem System aus Willkür, Blutdurst und Sadismus ihre Würde bei. Die Regie braucht, um den Abend aktuell zu machen, übrigens nicht eine einzige aus heutiger Zeit stammende Requisite. Und doch weist sie auf den grundlegenden, erst in jüngster Zeit wieder grausam zutage tretenden Konstruktionsfehler des Menschen hin, nämlich dass er andauernd versucht, seine Interessen mit Gewalt und Hinterlist durchzusetzen. Der Opernabend zeigt, was man tun kann, wenn man nichts mehr tun kann:
Ganz langsam, ganz ruhig und erhobenen Hauptes geht diese Tosca am Ende ihren Weg in das gleißende Licht. Wie gut, dass die Personenregie und Stikhinas künstlerische Gesamtleistung sich perfekt ergänzen. Wir hören und sehen: Wenn man auf Effekthascherei verzichtet, kann man aus Puccinis veristischer Oper ganz große, sehr zeitgemäße und ins Mark treffende Kunst machen. Und zeigen, wie der Kopf am besten auf geradem Rückgrat zu tragen ist.
Sandra Grohmann, 21. Oktober 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdis „Aida“, Großes Festspielhaus Salzburg, 12. August 2022
Giacomo Puccini, Tosca Römische Arena Martigny, Wallis, 10. August 2022
Giacomo Puccini, Tosca, Nationaltheater Bayerische Staatsoper München, Donnerstag, 24. Februar 2022