Foto: © Monika Rittershaus
Diese vorletzte Produktion vor dem großen Umbau ist tatsächlich ein großer Wurf für das Haus – die mediale Aufregung ist sicher bald vergessen und zurück bleiben die Eindrücke einer großartigen Aufführung.
Theater an der Wien, 23. Januar 2022
Giacomo Puccini, Tosca
Oper in drei Akten
Kristīna Opolais (Floria Tosca)
Jonathan Tetelman (Mario Cavaradossi)
Gábor Bretz (Scarpia, Polizeichef)
Martin Kušej Regie
Arnold Schoenberg Chor
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Marc Albrecht Dirigent
von Herbert Hiess
Diese Produktion ist fast keine Regie mehr, sondern viel mehr eine Bearbeitung des Regisseurs Martin Kušej. Der gebürtige Kärntner ist ja dafür bekannt, den Werken seinen eigenen Stempel aufzudrücken; so wie auch bei der „Carmen“ in der Berliner Staatsoper unter den Linden.
Bei dieser Wiener „Tosca“ geht es noch viel weiter. Hier gibt es keinen Schließer und keinen Mesner und auch keine Kinder; weder den Kinderchor noch den Hirtenknaben im dritten Akt – diese kurze Passage singt Cavaradossi selbst. Der Regisseur setzt die Handlung in einer Schneewüste an, wo es neben einem kargen Baum nur einen schäbigen Wohnwagen gibt.
Interessanterweise gehören diese Gefährte offenbar mittlerweile zum Standardbestandteil modern wirken wollender Regisseure. Toscas Ende ist hier auch kein Selbstmord, sondern sie wird ein Racheopfer von Angelottis Schwester Gräfin Attavanti, die ihr damit den Verrat von Angelotti bei Scarpia heimzahlt.
Nur in diesem Fall hat Kušej tatsächlich ein interessantes Konzept durchgezogen. Diese Handlung in einer tief verschneiten Umgebung hat nichts mit Rom, nichts mit der Engelsburg und nichts mit dem Palazzo Farnese zu tun. Sie könnte eigentlich überall spielen und zeigt, wie Brutalität, Machtgier und politische Tyrannei de facto „ortsungebunden“ sind. Sieht man von der Figur der Schwester Angelottis, Gräfin Attavanti ab.
In dieser Produktion wird das Terrorregime genial wiedergegeben. Gábor Bretz ist die personifizierte Bösartigkeit und zeigt es mit jedem Wort, mit jeder Note und mit jeder Handbewegung. Seine willfährigen und speichelleckenden Handlanger können überall vorkommen. Rafał Pawnuk (der nebenbei den Mesner und Schließer singt) als Sciarrone und Andrew Morstein als Spoletta präsentieren diese Rollen eindrucksvoll.
Ausgezeichnet Kristīna Opolais als „Tosca“, die eine schauspielerische Glanzleistung vollbringt und mittlerweile eine recht schwere und dramatische Stimme hat. Manchmal würde man sich von ihr ein gehauchtes Piano wünschen, wie im Duett mit Cavaradossi im ersten Akt oder in ihrer berühmten Arie „Vissi d’arte“ im zweiten Akt. Denn dann wäre ihre sängerische Leistung vollkommen.
Die Entdeckung des Abends ist der 1988 geborene chilenische Tenor Jonathan Tetelman. Äußerlich schaut er ein bisschen Jonas Kaufmann ähnlich (also offenbar der Wunschtyp von Frau Opolais?), stimmlich hat er dem Deutschen einiges voraus. Ein strahlender und metallischer Tenor mit einer grandiosen Durchschlagskraft. Das „Vittoria! Vittoria!“ im zweiten Akt war unvergesslich. Was man ihm wünscht, ist eine ausgeprägte Pianokultur. Hier gäbe es noch Einiges nachzuholen. Das Duett „O dolci mani“ im dritten Akt wäre dann ein Fest des Tenors geworden.
Der Schoenberg-Chor und das ORF Orchester waren wie immer verlässliche Partner. Marc Albrecht dirigierte recht schön – wenn auch absolut nicht eindrucksvoll. Das Scarpia-Motiv zu Beginn der Oper, das dem Werk mit den schneidenden Blechbläsern den ganzen Charakter gibt, wurde unspektakulär „runtergeschludert“. Die Schlusspassagen (vor allem aus dem ersten Akt) wurden leider viel zu hektisch gespielt und letztlich wurden viele sinnliche Momente „liegen gelassen“.
Schade, denn die „Tosca“ hat fast eine symphonische Partitur und Herbert von Karajan hat 1989 bewiesen, wie man aus diesem Werk des Standardrepertoires eine Sternstunde machen kann.
Es ist verständlich, dass diese Produktion Kušejs in Wien so viel Aufregung verursacht. In der Wiener Staatsoper ist man seit 1958 die Inszenierung Margarete Wallmanns (Dirigent war damals Herbert von Karajan) und letztlich in Salzburg die großartige Karajan-Produktion von 1988 und 1989 gewöhnt. Natürlich zeichnet Kušej das Werk nach seinen Vorstellungen und konnte letztlich trotzdem einen großen Eindruck hinterlassen. Schließlich zeigte er Facetten auf, die sonst nie beachtet werden. Und gut, dass diese Oper dieses Mal ohne Pause gespielt wurde – das war ein Atout für die Dramaturgie.
Diese vorletzte Produktion vor dem großen Umbau ist tatsächlich ein großer Wurf für das Haus – die mediale Aufregung ist sicher bald vergessen und zurück bleiben die Eindrücke einer großartigen Aufführung.
Herbert Hiess, 24. Januar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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