Haus für Mozart, Salzburg, 8. August 2022
Gioachino Rossini (1792 – 1868)
Il barbiere di Siviglia
von Frank Heublein
Im Haus für Mozart in Salzburg wird heute Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ aufgeführt. Die begeisternd klatschende Feierlaune bricht gleich zweimal vor dem eigentlichen Schluss los. Ich denke mich zeitlich zurück in die Zeit der Uraufführung 1816 in Rom. Flippte da das Publikum genauso aus? Diese Operninszenierung ist schmissige Unterhaltung. Das Klatschen lässt Rosina und den Grafen in der Liebesumarmung einfrieren. So lange, bis Cecilia Bartoli nicht mehr an sich halten kann und lachend losgluckst. So gut gefällt es sowohl dem Publikum als auch den Ausführenden, dass ein Ausschnitt aus dem Finale da capo gegeben wird. Partylaune.
Einen bedeutenden Anteil der Unterhaltung trägt Pantomime Arturo Brachetti bei. Fast immer ist er auf der Bühne, zuvorderst ist er stummer Initiator. Denn die Inszenierung beginnt in einem Requisitenlager. Arturo Brachetti sortiert die Dinge als Lagerchef und schaut sich alte Filme an. Genau aus diesen springen die Protagonisten heraus, die das Stück bevölkern. Ein schöner Einfall, eine tolle inszenatorische Klammer. Im Ablauf des Stücks wird diese Inszenierungsidee „Personen springen aus Film in die Wirklichkeit und wieder zurück“ mehrmals wieder erfolgreich eingesetzt. Zugleich gelingt es Brachetti glänzend, die wenigen Längen des Stücks charmant zu verkürzen.
Gianluca Capuano dirigiert Les Musiciens du Prince – Monaco konzentriert – selbst auf der Bühne beim da capo. Sehr gute Tempi höre ich. Nicht zu schnell, die Sänger und Sängerinnen können schön pointieren. Cecilia Bartoli als Rosina zeigt einmal mehr ihre große Klasse. Wie schön, wie warm, wie elegant sie Rossinis Belcanto singt! Ihre Stimme ist wie ein Nest, in das ich mich kuscheln möchte.
Ihr Auserwählter Conte d’Almaviva singt Edgardo Rocha. Ein warmer in den Höhen strahlender Tenor, der auch das lange anstrengende Solo am Ende des finalen zweiten Aufzugs sehr gut meistert. So richtig schlau stellt er sich nicht an, um zu seiner Liebe Rosina vorzudringen. Doch hat er Figaro, der ihm Ideenmäßig auf die Sprünge hilft.
Den Figaro singt Bariton Nicola Alaimo dynamisch voller Power, ich meine das ganz und gar anerkennend: er ist eine Wuchtbrumme im Gesamteindruck. Ein Barbier war zu der Zeit eine Person, die Bärte und Haare schnitt, aber auch Zähne zog, eine Art Arztersatz war. Quasi das Schweizer Taschenmesser unter den Berufen. Genauso so einer ist Rossinis Figaro, burlesk und bauernschlau spielt ihn Nicola Alaimo. Niemals um eine Lösungsidee verlegen, wenn denn die Bezahlung stimmt.
Sopran Rebeca Olvera singt Berta, die im zweiten Aufzug ihre Arie beschwingt, beherzt und sowohl gesanglich wie spielerisch toll auf die Bühne bringt. Bartolo singt Bassist Alessandro Corbelli. Er will sich das Geld seines Mündels Rosina durch Heirat sichern. Seiner vollen runden Stimme fehlt es nie an Kraft. Er vermag Verwirrung, Misstrauen und gelegentliche gedanklich geistige Einfachheit wunderbar stimmlich auszudrücken.
Bass Ildebrando D’Arcangelo singt Basilio, den Musiklehrer Rosinas, der käuflich ist. Zugleich mimt er in dieser Inszenierung die Filmfigur Nosferatu. Die überlangen übergroßen Hände sind an einigen Stellen Anlass zur humoristischen Einlage. Basilio wie all die anderen handelnden Personen scheuen sich nicht, in die Klamotte zu driften, eine aus meiner Sicht unterschätzte Form der Unterhaltung, wenn denn wie hier mit Bedacht und nur gelegentlich eingesetzt. Seine Stimme ist die sonorste voluminöseste unter allen Bässen, mir gefällt sein fulminantes Solo im ersten Aufzug sehr.
Rolando Villazón sitzt der Schalk im Nacken. Er lässt ihn von der Leine, die Requisitenidee bildet einen schönen Rahmen, selbst die Pause wird durch Stummfilmschnipsel für diejenigen verkürzt, die sitzen bleiben. In meinen Augen gelingt die Inszenierung.
Was macht Rossinis Barbier außer Belcanto und turbulenter Handlung aus? Die Massensologesangsszenen am jeweiligen Schluss der Aufzüge. Im ersten Aufzug wirbelt und schäumt die Musik geradezu, die Sänger und Sängerinnen müssen durchs Libretto jagen. Am Schluss des zweiten nach Almavivas und Rosinas Solo ist Champagnerlaune angesagt. Die läutet das Publikum schon vorher zweimal ein. Spielt keine Rolle. Ein Spaß. Ein Rausch. So geht Unterhaltung. Danach dürstet das Publikum.
Frank Heublein, 09. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Gioachino Rossini
Il barbiere di Siviglia
Besetzung
Musikalische Leitung Gianluca Capuano
Choreinstudierung Walter Zeh
Regie Rolando Villazón
Bühne Harald B. Thor
Kostüme Brigitte Reiffenstuel
Licht Stefan Bolliger
Video rocafilm
Choreografie Ramses Sigl
Dramaturgie Christian Arseni
Il Conte d’Almaviva Edgardo Rocha
Bartolo Alessandro Corbelli
Rosina Cecilia Bartoli
Figaro Nicola Alaimo
Basilio Ildebrando D’Arcangelo
Berta Rebeca Olvera
Fiorello José Coca Loza
Ambrogio Max Sahliger
Domenico La Forza Manfred Schwaiger
Unter besonderer Mitwirkung von Arturo Brachetti
Philharmonia Chor Wien
Les Musiciens du Prince – Monaco
Gioachino Rossini, Il turco in Italia Wiener Staatsoper, 3. Juli 2022
Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia Salzburger Pfingstfestspiele, 5. Juni 2022
Gioachino Rossini, La Cenerentola, Bayerische Staatsoper, München, 21. März 2022