Vom Begehren nach Rache berauscht: An der Semperoper Dresden hebt sich erstmals der Vorhang für Giuseppe Verdis „Attila“

Giuseppe Verdi, Attila  Semperoper Dresden, 4. Februar 2023 PREMIERE

Foto: Timothy Oliver (Uldino), Georg Zeppenfeld (Attila), Tilmann Rönnebeck (Leone), Anna Smirnova (Odabella), Tomislav Mužek (Foresto), Sächsischer Staatsopernchor Dresden © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Giuseppe Verdi, Attila (Premiere)
Konzertante Aufführung

Dramma lirico in einem Prolog und drei Akten
Libretto von Temistocle Solera und Francesco Maria Piave

Jordi Bernàcer, Dirigent
André Kellinghaus, Chor
Gunda Mapache, Spielleitung
Benedikt Stampfli, Dramaturgie

Attila, König der Hunnen, Georg Zeppenfeld
Ezio, ein römischer General, Andrzej Dobber
Odabella, Tochter des Herrschers von Aquileia, Anna Smirnova
Foresto, Ritter aus Aquileia, Tomislav Mužek
Uldino, ein junger Bretone, Sklave Attilas, Timothy Oliver
Leone, ein alter Römer, Tilmann Rönnebeck

Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden

Semperoper Dresden, 4. Februar 2023

von Pauline Lehmann

 

Nicht nur Richard Wagner, sondern auch sein im gleichen Jahr geborener und vielfach zum Antipoden stilisierter Zeitgenosse, Giuseppe Verdi, nimmt sich in seinem Opernschaffen der heidnischen Götterwelt und ihren Protagonisten an, wenn er in seiner neunten Oper den legendären Hunnenkönig der Völkerwanderungszeit im Namen des Gottes Wotan gegen das christliche Italien in den Krieg ziehen lässt.

Am bekanntesten ist der heidnische Heerführer wohl durch das „Nibelungenlied“: Hier ermöglicht Attilas bzw. Etzels Werbung um die verwitwete Kriemhild es dieser, ihren von Hagen ermordeten Siegfried zu rächen; die Reise der Burgunder an Etzels Hof besiegelt schließlich deren Untergang. Vom deutschen Nationalepos des 19. Jahrhunderts schlechthin ist der Weg zu Wagners „Ring“ nicht weit, sodass die Semperoper Dresden die Erstaufführung von Verdis selten gespielter Oper dramaturgisch geschickt zwischen die beiden „Ring“-Zyklen platziert und sich mit einer konzertanten Aufführung dafür entscheidet, Verdis Musik in den Mittelpunkt zu stellen. Unter der Leitung des Spaniers Jordi Bernàcer ist dieser Premierenabend ein überaus gelungener und mit vielen Bravo-Rufen gelobter. Darüber hinaus geben Georg Zeppenfeld in der Titelpartie sowie Tomislav Mužek als Foresto und Tilmann Rönnebeck als alter Römer Leone – Verdi kaschierte hier den Papst Leo I. für die Zensur – überzeugende und geglückte Rollendebüts.

Georg Zeppenfeld (Attila), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

In gut zwei Stunden werden wir zu Zeugen, wie Odabella, die Tochter des Herrschers von Aquileia, ihren Entschluss, den vom Hunnenkönig Attila ermordeten Vater zu rächen, unerschrocken, berechnend und mit schwindelerregender Entschiedenheit und Schnelle in die Tat umsetzt. Sie sieht sich als eine zweite Judith und Attila ist ihr Holofernes, den sie mit seinem eigenen Schwert ersticht. Dafür geht sie soweit, dass sie den von ihrem Verlobten Foresto geplanten Anschlag auf Attila vereitelt, indem sie diesen vor dem vergifteten Becher warnt. Während Odabella schließlich ihre blutige Tat umsetzt, überfallen die Truppen des römischen Generals Ezio das Lager der Hunnen. „Du auch, Odabella?“ sind die letzten, fragenden wie vorwurfsvollen Worte des sterbenden Attila, der ihr zuvor – angetan von ihrer Tapferkeit und ihrer Wut – zwischen den Ruinen des niedergebrannten Aquileias sein eigenes Schwert schenkte. Abschließend bekräftigt der Chor: „Gott, das Volk und der König / Sind ganz gerächt!“ Wie der Dramaturg Benedikt Stampfli anmerkt, ist Odabellas Blutrache auf offener Bühne vor aller Augen ein kühnes Novum und findet sich in der Operngeschichte erst viel später wieder – wenn Tosca im Januar des Jahres 1900 den Polizeichef Scarpia erdolcht.

Anna Smirnova (Odabella) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Uraufgeführt am 17. März 1846 am Teatro La Fenice in Venedig, steht „Attila“ in Verdis Opernschaffen zwischen „Alzira“ und „Macbeth“ und der damals 32-jährige Komponist schafft ein Drama um Liebe und Macht, Treue und Verrat, Heimat und Flucht. „Attila“ ist ein monumentales musikalisches Historienbild, in dem das christliche Italien siegreich gegenüber den heidnischen Hunnen hervorgeht, und nicht zuletzt ein Kampf der Geschlechter, wenn Odabellas Mut Attilas Furcht vor Traumgestalten und Wolkenschatten und damit seiner Nähe zum Wahn gegenübersteht. Und dennoch: Verdis Figuren schillern, ein eindeutiges Gut oder Böse gibt es nicht.

Andrzej Dobber (Ezio), Georg Zeppenfeld (Attila), Sächsischer Staatsopernchor Dresden © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Auch wenn Verdi neben Giuseppe Garibaldi und Giuseppe Mazzini immer wieder zum Fahnenträger des Risorgimento, d.h. der italienischen Nationalbewegung, stilisiert wird, lässt sich eine politische Intention seiner Musik in diesem Sinne nicht ohne Weiteres festzurren und der Komponist selbst beteiligte sich erst mit dem Unabhängigkeitskrieg von 1859/60 aktiv am politischen Geschehen. In den Jahren 1847 bis 1849, als es auch in Italien im Zuge des Vormärz brodelte und sich Aufstände gegen die habsburgische Vorherrschaft forcierten, lebte Verdi vorrangig in Paris. Aber vom zeitgenössischen Publikum wurden die Worte seiner „Attila“-Protagonisten sehr wohl als politisches Statement verstanden, so Forestos Worte bei seiner Ankunft in der von christlichen Eremiten bewohnten Küstengegend: „Cara patria, già madre e reina“ („Teures Heimatland, ehemals Mutter und Königin“). Und Odabella, die im Libretto als eine kühne und reine Jungfrau beschrieben wird, wird auch als eine weibliche Verkörperung der italienischen Nation – gleich der Germania – gelesen.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Jordi Bernàcer zeichnet den Kontrast zwischen einem stürmischen Vorwärtsdrängen und einem In-sich-Gehen der Figuren, der für Verdis frühe Opern typisch ist, eindringlich nach. Es entstehen starke Gegensätze zwischen den monumentalen Chören und Momenten, in denen die Musik quasi stillzustehen scheint und durchsichtig wird. Ein beeindruckender Tiefenblick in die Gefühlszustände Attilas gelingt Georg Zeppenfeld in der sechsten Szene des ersten Aktes, als der Hunnenkönig in einer albtraumhaften Erscheinung am Himmel zwei Riesen mit flammenden Augen und Schwertern erblickt. Überhaupt ist Georg Zeppenfelds Attila sehr vielschichtig, aus dem Moment heraus entwickelt er die verschiedenen Gefühlslagen der Figur.

Jordi Bernàcer, Sächsische Staatskapelle Dresden © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Allenfalls an manchen Stellen fehlt ein scharfes Objektiv. Der gleichsam aus dem Dunkel kommende Beginn der Oper gerät ein Müh zu laut, zu schnell denken sich die Musikerinnen und Musiker in die sich anschließenden melancholisch-emphatischen Passagen der Streicher. Auch Odabellas Romanze, eine Szene im Mondschein begleitet von Englischhorn, Violoncello und Harfe und mit den Einwürfen der Querflöte, verliert ihre intime Szenerie und gerät ebenfalls zu laut. Zu sehr gilt Anna Smirnova Odabella als eine Heroin. Die hochvirtuose Partie meistert die Sopranistin mit einer beweglichen und in allen Registern gut greifenden Stimme, allenfalls gibt sie den Tönen zu viel Vibrato bei.

Anna Smirnova (Odabella), Tomislav Mužek (Foresto) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Gelungen sind die musikalisch gemalten Natureindrücke und die Lichtmetaphorik, so der Sonnenaufgang, der in ein Fortissimo des Orchesters mündet, und die Dramatik im zweiten Akt, als das Gewitter plötzlich die Flammen auslöscht und das Fest verdunkelt wird. André Kellinghaus differenziert die verschiedenen Chöre wunderbar aus, so die lärmenden Hunnen und der leise und ätherische Gesang der Christen.

Tilmann Rönnebeck (Leone) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Tilmann Rönnebeck leiht dem imposanten Auftritt des alten Römers Leone seinen klaren Bass und dem polnischen Bariton Andrzej Dobber gelingt ein resoluter römischer General Ezio. Der kroatische Tenor Tomislav Mužek begeistert als Verlobter Odabellas mit einem weichen Stimmeinsatz und italienischen Schmelz. Dennoch: richtig ausgewogen wirken die Stimmen der Solisten erst im Finale, dem Quartett „Tu, rea donna, già schiava“ („Du, böse Frau, früher eine Sklavin“).

Pauline Lehmann, 6. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CD-Besprechung, Giuseppe Verdi, Attila, klassik-begeistert.de

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